Nicht mehr jung, längst nicht altWarum das Alter zwischen 35 und 55 so kompliziert ist

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Smiling woman on the beach with family in background, Foto: Getty Images/Oliver Rossi

Erste Abschiede, aber auch der Mut zum Neuanfang: Im mittleren Alter überdenken viele ihr Leben.

Vieles ist schon vorbei – aber auch so viel noch möglich! Über die Herausforderungen der Lebensmitte hat Katja Bigalke ein Buch geschrieben. Ein Gespräch.

Viel wird geschrieben über die Freuden und Nöte des Jungseins und des Älterwerdens. Aber was ist eigentlich mit der langen Mitte des Lebens? Es wird Zeit, dass mehr über das „Midlife“ gesprochen wird, sagt Journalistin Katja Bigalke.

Ich bin Anfang 40 und habe das Gefühl, ich stecke in einem großen Dazwischen. Warum ist es für Menschen mittleren Alters so schwer, sich zu verorten?

Katja Bigalke: Es liegt genau an dieser Zwischenposition, man fühlt sich nicht mehr wirklich jung, aber auch längst noch nicht alt. Vieles ist noch möglich, aber von manchen Dingen muss man bereits Abschied nehmen: ob es die Kinder sind, die ausziehen oder die Eltern, die pflegebedürftig sind, oder die Liebesbeziehung, deren Ende naht. Abschied bedeutet natürlich auch Neuanfang. Aber man fragt sich: Auf welcher Seite des Lebens stehe ich eigentlich gerade?

Oft ist es der Körper, der einen unsanft daran erinnert, dass man nicht mehr ganz frisch ist …

Ja, es machen sich die ersten Alterserscheinungen bemerkbar. Vielleicht kann man nicht mehr so gut lesen, entwickelt Zipperlein oder bekommt auf einmal einen Bandscheibenvorfall oder Hexenschuss. Und obwohl man sich genauso viel bewegt und isst wie früher, nimmt man trotzdem auf unerklärliche Weise zu. Es kommt einem der Gedanke: Geht das jetzt weiter stetig bergab? Mit grauen Haaren, Falten und einem lockeren Bindegewebe geht zudem gerade bei vielen Frauen eine große Verunsicherung einher. Auch deshalb nehmen minimalinvasive Eingriffe wie Botox in der Mitte des Lebens rasant zu. Aber auch Männer hadern oft mit körperlichen Veränderungen. Gerade der Verlust der Haare ist für viele ein unglaublich kränkender Moment.

Wie groß ist die Angst, dass die Umwelt einen plötzlich anders wahrnimmt?

Das darf man nicht unterschätzen. Es gibt immer noch gesellschaftliche Strukturen und Bilder, die vorgeben, wie man ab einem gewissen Alter zu sein hat. Dann wird man schnell in eine Schublade einsortiert, in der man sich unwohl fühlt und überhaupt nicht hineinzupassen scheint. Es ist gar nicht so einfach, sich davon ganz freizumachen.

Trifft oft das emotionale auf das physische Alter?

Ich würde das emotionale Alter gar nicht vom körperlichen trennen. Ein Arzt erklärte mir, dass vieles, was wir gemeinhin als Midlife-Crisis kennen, oft auch mit einer schleichenden Entfremdung vom eigenen Körper zu tun hat. Denn in der Lebensphase zuvor sind viele in erster Linie damit beschäftigt, Jobs und Familie auf die Reihe zu kriegen, dass sie dabei ihren Körper total vernachlässigt haben. Dann trifft sie die Krise umso härter.

Ich habe das Gefühl, über das mittlere Lebensalter wird immer nur im Krisenmodus geredet. Gibt es „Midlife“ eigentlich auch ohne „Crisis“?

Schon. Auch deshalb wollten wir dieses Buch schreiben. Denn wenn man sich bewusst mit dieser Zeit auseinandersetzt, kann man leichter damit umgehen. Es müsste grundsätzlich dringend mehr über die Veränderungen in dieser Phase gesprochen und aufgeklärt werden.

Sie zitieren im Buch eine Studie, die zeigt das tiefste Tal der Glückskurve bei 47 Jahren. Es ist also schon eine eher „unglückliche“ Zeit?

Diese Glückskurve ist etwas ungenau, weil sie etwa den ökonomischen Status außer Acht lässt. Aber eine Tendenz ist schon zu erkennen, dass es in der Mitte des Lebens einen tiefen Punkt gibt. Es ist eine Zeit mit vielen Herausforderungen, weil in dieser Sandwich-Position zwischen Alt und Jung wahnsinnig viel aufeinander prallt und unglaublich viele Aufgaben parallel laufen. Das kann ganz schön stressig sein. In dieser Phase verfestigt man die Karriere, zieht Kinder groß und die eigenen Eltern werden älter, brauchen möglicherweise Unterstützung oder sterben. Und auch im eigenen Freundeskreis nehmen in diesem Alter Krankheiten und schwere Diagnosen zu. Es ist deshalb sicher auch eine Zeit, in der man sich bewusster mit der Endlichkeit auseinandersetzt.

Verändert sich dadurch auch der Blick auf das eigene Leben?

Ich glaube schon. Vieles relativiert sich natürlich auch mit dem Alter, Prioritäten verschieben sich. In den 30ern arbeitet man noch ganz viel auf berufliche und private Ziele hin. Das verändert sich in der Mitte des Lebens. Jetzt wird das Hier und Jetzt wichtiger. Es geht um Sinnsuche. Viele überlegen, wie und mit wem sie ihr Leben ab jetzt füllen möchten – schließlich ist ja noch Zeit, neue Richtungen einzuschlagen.

Ist die Mitte des Lebens deshalb auch die große Trennungszeit?

Es kommt in der Mitte des Lebens tatsächlich oft zu Trennungen in ernsthaften längeren Beziehungen. Das durchschnittliche Scheidungsalter liegt bei 45 Jahren. Eine Expertin sagte uns, dass man die gleichen Tendenzen auch bei nicht registrierten Beziehungsformen erkennen kann. Das ist natürlich ein harter Einschnitt für viele, der oft als krisenhaft empfunden wird. Öfter geht die Trennung übrigens von den Frauen aus – da hat sich etwas gedreht, weil Frauen heute ökonomisch unabhängiger sind. Männer leiden dagegen meist stärker unter diesen Trennungen und gehen auch früher wieder neue Beziehungen ein, ihre Gesundheit und Zufriedenheit ist viel stärker an den Beziehungsstatus gekoppelt. Frauen brauchen in der Regel länger, bis sie sich neu binden.

Wie sieht es mit der Sexualität aus?

Auf der einen Seite gibt es viele mittelalte Langzeitbeziehungen, in denen beklagt wird, dass die sexuelle Aktivität etwas eingeschlafen ist. Auf der anderen Seite ist das mittlere Lebensalter aber auch eine besonders fruchtbare Zeit, was das sexuelle Experimentieren angeht – was für eine gewisse Gelassenheit und Selbstsicherheit spricht. In der sexpositiven Szene tummeln sich jedenfalls recht viele Mid-Menschen. Und eine norwegische Studie bestätigt auch, dass das Ausprobieren unterschiedlicher sexueller Spielarten und Konstellationen im Midlife durchaus an Fahrt aufnimmt, wenn Sex denn noch praktiziert wird.

Würden Sie sagen, Mid-Menschen haben eine gewisse Gelassenheit, weil die Lebenserfahrung sie schon ein bisschen weise gemacht hat?

Die Gelassenheit ist einer der großen Pluspunkte der mittleren Jahre. Aufgrund der Erfahrungen und Routinen wird vieles einfacher und es entsteht eine gewisse Form der Entspannung. Man weiß irgendwann, dass manche Situationen vorübergehen und es einfach nicht nötig ist, sich Stress zu machen. Themen werden nicht mehr so hoch gehängt.

Wird so eine gewisse Zen-Einstellung auch in der Freizeit gesucht?

Ja, in dieser Altersgruppe gewinnen zum Beispiel spirituelle und meditative Themen an Bedeutung. Entweder ganz gezielt in Yoga- und Meditationspraktiken, aber auch bei Wanderungen oder beim Sport. Das lange Laufen und Radfahren, also die gleichmäßige Fortbewegung in der Natur, hat für viele in diesem Alter etwas Meditatives. Auch Männer erleben das Sportmachen in dieser Lebensphase mitunter ganz anders als früher in der Jugend: Damals ging es viel mehr um Wettkampf und Ergebnisse, nun wird selbst im Extremsport die Bedeutung von Ganzheitlichkeit und des Sich-Verlierens im Moment betont. Es ist tatsächlich ein Klischee, dass mittelalte Männer, die exzessiv mit dem Rennrad durch die Gegend brausen, nur daran interessiert sind, sich zu messen oder einander zu übertreffen.

Schwindet der Leistungsgedanke auch im beruflichen Bereich, denken viele hier um?

In diesem Alter fragen sich schon viele, ob sie sich wirklich mit dem identifizieren, was sie die letzten 15 Jahre gemacht haben und ob sie das auch noch die nächsten 20 Jahre tun wollen. Das führt dazu, dass viele nochmal den Job wechseln oder etwas ganz Neues machen – wenn das möglich ist und sie nicht von existenziellen Nöten betroffen sind. Manchmal funktionieren diese Änderungen gut und sind erfolgreich. Aber abseits von selbständigen Tätigkeiten werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jenseits der 50 nicht immer mit offenen Armen empfangen. Und auch Auszeiten und Leerlauf im Lebenslauf sind oft immer noch nicht wirklich akzeptiert. Hier müsste sich auf dem Arbeitsmarkt dringend etwas tun. Würde man den Lebenslauf flexibler betrachten, könnte man etwas Druck aus der Mitte des Lebens nehmen.

Buchtipp: Katja Bigalke/Marietta Schwarz: „Midlife – Das Buch über die Mitte des Lebens“, Aufbau Verlag, 238 Seiten, 22 Euro

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