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Neue Beikost-MethodeBabys mögen Fingerfood statt Brei

Lesezeit 5 Minuten

Möhrensticks und Brokkoliröschen statt Brei – vielen Babys gefällt das.

„Ein Löffelchen für Mama, ein Löffelchen für Papa.“ Längst nicht alle Babys sperren fröhlich den Mund auf, um den bunten Plastik-Löffel auf der Zunge landen zu lassen. Wie schön wäre es doch, wenn der Nachwuchs nicht ständig spucken, prusten oder gar den Kopf wegdrehen würde. Jetzt verspricht ein neuer Trend der Baby-Ernährung stressfreie Beikost-Einführung: Baby-Led-Weaning (BLW) ersetzt den Babybrei ausschließlich durch Fingerfood, damit sich Babys von Anfang an selbstbestimmt ernähren können.

Schluss also mit Möhrenpüree und Getreide-Obst-Brei – es sei denn, das Kleine kann schon selbst ein bisschen löffeln. Immer mehr Babys dürfen nach Herzenslust zulangen, lutschen und knabbern wie sie wollen. Aktiv und selbstbestimmt erobern sie sich so die Welt des Geschmacks. Dabei steuern sie den Prozess des Abstillens, denn je mehr sie selbstständig essen, umso weniger Milch wollen und brauchen sie. Kein Wunder, dass Baby-Led-Weaning frei übersetzt heißt: Das Baby abstillen lassen.

Buchtipp: Gill Rapley und Tracey Murkett: „Baby-led Weaning. Das Grundlagenbuch“, Kösel-Verlag 2013, 256 Seiten, 19,99 Euro.

Beikost einführen ohne Füttern:babyled-weaning.de

Deutsches BLW-Forum:www.babyledweaning.de

Homepage von Gill Rapley, die Begründerin der neuen Baby-Led-Weaning-Methode:www.rapleyweaning.com

Längst hat sich eine große Fan-Gemeinde der Methode im Internet gebildet. „Ich habe meiner Tochter anfangs Brötchen, weiche Birne, Gurke, Kartoffeln und Nudeln gegeben. Sie hat schnell das Schlucken gelernt. Bei uns hat das frühe Selbst-Essen die Situation beim Essen sehr entspannt“, so und ähnlich tauschen sich Eltern in Foren zum Thema aus.

Von Anfang an bei den Mahlzeiten dabei

Wer sein Kind nach der Fingerfood-Methode ernähren will, lässt es schon früh bei den Mahlzeiten dabei sein. „Mit einem Löffel oder einer Tasse in der Hand hat es das Gefühl, dabei sein zu dürfen“, sagt die britische Mütterpflegerin, Hebamme und Stillberaterin Gill Rapley, die das Baby-Led-Weaning entwickelt hat. Vom Schoß oder Hochstuhl aus kann es neugierig verfolgen, wie die Großen lustvoll essen. Sobald es mitmachen möchte, darf es seinem Forscherdrang nachgehen. Die Eltern bestimmen den Rahmen der Lebensmittel, die das Kind testen darf. Sie sorgen dafür, dass nur Baby-geeignete Lebensmittel bei der Familien-Mahlzeit in Reichweite liegen, zum Beispiel Bananenstücke, Salatgurke, Melonen und Papaya, weiche Äpfel, gedämpftes Hühnerfleisch, Hackfleisch, weich gekochtes Gemüse wie Brokkoli-Röschen, halbierte Möhren oder Kartoffeln. Hauptsache, die Lebensmittel sind weich, vollwertig und verträglich – ohne Salz, Zucker und Kuhmilch.

Wie viel es isst, entscheidet das Baby

Gleichgültig, ob das Baby anfangs immer zu denselben Lebensmitteln greift oder möglichst viel ausprobieren möchte: „Es bleibt dem Baby überlassen, wie viel es isst und wie schnell es die Palette der Lebensmittel erweitert, die es mag“, erklärt Gill Rapley. Noch geht es nicht ums Sattwerden. Stattdessen ist das Kind damit beschäftigt, mit allen Sinnen Geschmack und Konsistenz des ausgewählten Lebensmittels zu erforschen. Es will im wahrsten Sinne des Wortes die Möhre oder die Kartoffel begreifen – und trainiert dabei ganz nebenbei seine Geschicklichkeit: seine Fingerfertigkeit und die Hand-Augen-Koordination.

Dabei nimmt es sich genau die Zeit, die es braucht, ohne dass Mama mit dem Löffel vor seinem Gesicht kreisend warten muss.

Gesellschaft für Ernährung bleibt vorsichtig

„So lernt das Baby die unterschiedlichsten Formen, Farben und Geschmacksrichtungen kennen und lieben“, erklärt Susanne Klug, Autorin des Ratgebers „Die neue Baby-Ernährung“ (GU-Verlag). Weil das Baby selbst in der Hand hat, was es probiert und was nicht, bleibe es offen für Neues. „Studien belegen, dass Babys, die von Anfang an selbstständig essen lernen, später viel häufiger zu Gemüse und Vollkornprodukten als zu zuckerhaltigen Lebensmitteln greifen“, berichtet sie.

Prozess des Abstillens

Noch bleibt die Milch die Sättigungsgrundlage Nummer eins. Erst wenn aus anfänglichem Lutschen ein vorsichtiges Knabbern und der Appetit auf die Beikost größer geworden ist, beginnt der Prozess des Abstillens. Susanne Klug: „Erst nach und nach lernt das Baby, kleine Stückchen abzubeißen und schließlich zu kauen und zu schlucken.“

Erbse für Erbse: Kann es mit Daumen und Zeigefinger kleinere Gegenstände greifen, sind Eltern oft erstaunt, mit welcher Geduld und Konzentration ein Baby selbst essen kann. Mit der Routine wird die Portion immer größer – und die Lust auf Milch immer kleiner. So entwickelt sich das Abstillen ganz von selbst. Schluss mit Essen ist – wie beim Stillen – wenn der Bauch voll ist. Überfütterung ist nicht möglich.

Keine saubere Angelegenheit

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) in Bonn bleibt vorsichtig: Sie empfiehlt erst ab dem zehnten Monat feste Nahrung wie Vollkornbrot, Brötchen, weiches, rohes Obst und Gemüse, Kartoffel und Fleisch. „Je nach Entwicklungsstand kann der Säugling dann ohne Unterstützung sitzen, präzise mit den Händen greifen, selbstständig mit Löffel oder Gabel essen und den Becher halten. Ab dann können feste, mundgerechte Stücke gegessen werden“, so Antje Gahl, Ernährungswissenschaftlerin der DGE.

„Bekommt mein Kind mit der BLW-Methode all die Nährstoffe, die es braucht, um sich gut zu entwickeln?“, fragen sich viele Eltern besorgt. Noch gibt es keine Untersuchung, wie gut sich die Nährstoffabdeckung so erreichen lässt.

Wer sich dennoch dafür entscheidet, muss deshalb darauf achten, dass die dem Kind angebotenen Speisen alle notwendigen Nährstoffe enthalten und die Kost nicht einseitig gestaltet wird. Obst und Gemüse, Kartoffeln und Getreideprodukte braucht das Baby ebenso wie Fleisch, Hülsenfrüchte und Fett. In vielen Fällen lasse sich eine optimale Nährstoff-Abdeckung besser erreichen als mit Brei-Nahrung, die das Baby verweigert, argumentieren BLW-Befürworter.

Einen Nachteil ihrer Methode aber lassen auch sie gelten: BLW ist keine saubere Angelegenheit. „Aber alle Babys müssen irgendwann anfangen, selbst zu essen“, so Hebamme Gill Rapley. „An einem gewissen Gematsche und Geschmiere führt also ohnehin kein Weg vorbei.“