Männerberater„Männer müssen nicht so über Gefühle reden, wie Frauen es tun“

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Es reicht auch, wenn Männer neben einem anderen Mann sitzen und schweigen, echt schweigen, sagt Richard Schneebauer.

„Das größte Problem von Männern ist nach wie vor, dass sie so wenige andere Männer haben, von denen sie mitbekommen, wie es ihnen wirklich geht.“ Wie Männer das ändern können, weiß Dr. Richard Schneebauer. Er ist Soziologe und arbeitet in Oberösterreich als Männerberater und Autor. Sein aktuelles Buch „Männerherz. Was Männer bewegt, Freiheit, Beziehung, Selbstbestimmung“ hat er nach der Trennung von seiner Frau geschrieben. Ebenfalls von ihm ist das Buch „Männerabend. Warum Männer einen Mann zum Reden brauchen und was Frauen darüber wissen sollten.“ Ein Gespräch.

Herr Schneebauer, Sie nennen sich selbst „der Männerkenner“ und beraten seit 20 Jahren Männer, die ihr eigenes Leben und ihre Beziehungen bewusst gestalten wollen. Sie sind Soziologe. Wie wurden Sie Männerberater?

Dr. Richard Schneebauer: Ich habe meine Doktorarbeit über Jugendarbeit geschrieben und selbst in diesem Bereich gearbeitet. Damals wurde die Männerberatung gerade aufgebaut und ich sollte ein Konzept für die Arbeit mit Jungs in Schulen entwickeln. So bin ich als Jungspund, noch nicht tausendfach durchreflektiert, in ein Team von Psychotherapeuten gekommen.

Wie genau arbeitet ein Männerberater?

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Soziologe und Männerkenner Dr. Richard Schneebauer

Es ist eine Lebensberatung von Mann zu Mann. Das Besondere ist, dass wir ein Team von Männern sind. Seit 20 Jahren arbeite ich nun bereits in der Männerberatung und war zusätzlich immer auch selbstständig tätig, indem ich etwa das Männerthema in Unternehmen brachte. Ich halte auch sehr gerne Vorträge oder gebe Seminare.

Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Männer zu Ihnen kommen? Wonach suchen die Männer?

Die häufigsten Themen sind Beziehung, Trennung und Scheidung. Aber auch berufliche Überlastung und Gewalt in der Beziehung veranlassen die Männer zu kommen. Die Themen sind seit 20 Jahren die gleichen, aber immer mehr Männer kommen immer früher. Zum ersten Gespräch kommen einige, weil die Frau es „empfohlen“ hat. Zum zweiten Gespräch kommen sie dann meist für sich selber. 

Beraten Sie auch homosexuelle Männer? Haben die andere Probleme?

Es kommen schon auch homosexuelle Männer in der Beratung, aber die meisten wenden sich an spezielle Beratungsstellen für Homosexuelle. Die, die zu uns kommen, haben keine speziellen Themen. Es geht auch um Beziehungen, Abgrenzung, Kontakt zu den Eltern.

Sie sagen, Männer müssten sich selbst besser kennenlernen, ihre Gefühle zulassen und ihnen vertrauen. Das ist doch in den vergangenen Jahren vermehrt geschehen oder täuscht dieser Eindruck? Müssen Männer etwa immer noch die unnahbaren Draufgänger sein?

Es hat sich viel verändert, aber in der Tiefe gibt es noch viel zu tun. Wie ich sagte, es kommen immer mehr Männer in die Beratung. Einerseits, weil die Bereitschaft steigt, mit jemandem darüber zu reden, aber natürlich auch, weil der Druck steigt. Den spüren wir alle. Die Zeiten der Draufgänger à la John Wayne sind zwar vorbei, aber der Anspruch an sich selbst ist ja da. Und der wird auch noch lange nachscheppern. Den Anspruch, ein Held zu sein, haben wir in uns drin. Wir wissen natürlich, dass wir mal Gefühle zeigen dürfen und nicht mehr nur die harten Hunde von früher sein müssen, aber innerlich ist diese Prägung noch da. Nach wie vor ist das größte Problem, dass Männer so wenige andere Männer haben, von denen sie mitbekommen, wie es ihnen wirklich geht. Einen wirklichen Freund zu haben, der einen gut kennt, ist eine große Entlastung.

Den Männern fehlen also Vorbilder, die ihnen zeigen, dass es in Ordnung ist, Gefühle zu zeigen?

Genau. Viele Frauen wünschen sich, dass Männer mehr Gefühle zeigen. Wenn man es aber zu viel macht, ist es auch nicht immer gut. Wenn eine Frau sagt: „Das ist in Ordnung“, dann ist das schon besser als früher. Wenn man aber von den anderen Männern nicht mitkriegt, dass es ihnen auch so geht, dann denkt man eben, dass man der einzige ist, der diese Gefühle hat.

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Wie könnte man das ändern? Wie kann man Männer dazu bringen, auf ihre Gefühle zu hören oder die zu äußern?

Ich versuche, über meine Bücher und Vorträge ein für Männer zugängliches Bild meiner Arbeit zu zeichnen. Ich betreue etwa auch eine Baufirma. Die Bauarbeiter brauchen auch einen direkteren Zugang zu diesen Themen nicht nur ein „Wie fühlst du dich gerade?“. Über die Männerberatung organisieren wir auch Männertagungen. Individuell sollte man sich fragen, bei welchem Freund man sich am wenigsten verstellen muss. Vor einer echten Veränderung muss es aber leider zumeist schwierig werden.

Sie schreiben, dass Problem in vielen Beziehungen sei, dass die Männer sich zwar auf die Gefühle der Frau einlassen, darüber aber ihre eigenen Gefühle aus den Augen verlieren und passiv werden. Können Sie das näher erklären?

Viele Männer wollen die Frau sehr wohl verstehen und ihr helfen, damit es ihr gut geht. Damit ginge es ihnen ja dann selbst auch gut. Männer fragen auch manchmal nach, weil sie verstehen wollen, was bei der Frau gerade los ist. Sie wollen das Problem lösen oder reparieren, damit dann wieder ein entspannter Abend möglich ist. Wenn sie gut zuhören, das Problem aber aus ihrer Sicht nicht lösen können, bekommen sie selbst ein hilfloses Gefühl. Mit dieser Hilflosigkeit können Männer dann aber schlecht umgehen. Also gehen sie einfach weg oder machen einfach einen Lösungsvorschlag. Wenn man sich besser um sich selbst kümmern könnte und etwa sagen könnte: „Puh, ich weiß auch gerade nicht, wie ich dir helfen kann, bitte sag du es mir“, wäre das ziemlich gut.

Sie schreiben: „Männerherzen wollen gehört und verstanden, geliebt und geachtet und erklärt werden“. Wie sollten Frauen am besten mit Männern umgehen?

Viele Frauen versuchen, auf irgendeine Art an den Männern herumzudoktern. Am einfachsten wäre es, wenn die Frauen sich selbst lieben würden und dadurch die Männer mehr so nehmen könnten, wie sie sind. Frauen möchten, dass Männer Gefühle zeigen. Sie haben aber selbst auch oft nicht den Mumm, ihre wahren Wünsche und Gefühle zu äußern. Es kommt dann oft genau wie bei den Männern eher wie ein vorwurfsvoller Nebel oder eine Gewitterwolke daher.

Wäre dann das Fazit für eine gelungene Beziehung, dass jeder bei sich selbst bleibt und maximal offen mit dem anderen ist?

Eine schöne Vorstellung, aber natürlich schwer zu verwirklichen. Zuerst muss man sich selbst eingestehen: „Wie geht es mir gerade wirklich?“ Dafür muss ich noch mit dem anderen über meine Gefühle sprechen. Ich muss zu mir selbst ehrlich sein. Das ist einfach, wenn ich mich gerade stark und sicher fühle, aber viel schwieriger, besonders als Mann, wenn ich mich schwach oder unsicher fühle. Es ist eine hohe Kunst der Liebe dem anderen ehrlich zu zeigen, wie es mir gerade geht. Wenn wir das besser könnten, egal, was die momentane Wahrheit gerade ist, wäre die Verbindung in einer Beziehung sicherlich liebevoller und ehrlicher.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Ein häufiges Beispiel ist, dass auch Frauen sich lange Probleme nicht eingestehen oder nur mit sich selbst ausmachen. Dann konfrontieren sie plötzlich den Mann mit der Trennung und sind innerlich schon durch. Wenn Männer dann in die Beratung kommen und sagen: „Bis gestern hat es noch gepasst und heute verlässt sie mich“ kommt nach einem längeren Gespräch allerdings auch oft heraus, dass er selbst sich auch schon oft gefragt hat, ob er diese Frau eigentlich noch liebt. Es geht nicht darum, in jedem Moment immer die Wahrheit zu leben. Wer weiß das schon immer so genau? Aber wer sich selbst Zweifel eingestehen kann, mit einem Freund darüber reden und dann zur Frau sagen kann „Irgendwie fühle ich es gerade nicht“, hat schon viel geschafft.

Viele trauen sich vielleicht nicht, Probleme und Zweifel ehrlich anzusprechen, weil man nicht weiß, welche Konsequenzen sich daraus entwickeln.

Irgendwann kommt es ohnehin raus, zumeist über Krisen. Die einen kriegen gesundheitliche Probleme, die anderen Berufliche oder es zeigt sich eben in der Beziehung. Irgendwann kriegt es jeder präsentiert. Dadurch könnten wir wieder echter, wahrhaftiger und bewusster werden. Das habe ich in den letzten 20 Jahren meiner Arbeit und auch bei mir selbst sehr häufig erlebt. Eine Krise erscheint oft traumatisch und problematisch. In Wahrheit ist es eher wie ein langes fürchterliches Gewitter am Himmel, nach dem die Sonne wieder durchkommen kann.

Sie selbst haben mit der Trennung von ihrer Frau zuhause eine Krise erlebt, aus der ihr Buch „Männerherz“ hervorgegangen ist. Würden Sie rückblickend sagen, dass diese Krise nützlich war?

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Buchcover

Ja. Es war sehr schmerzhaft. Was wir dabei aber richtig gemacht haben, ist, dass jeder mit dem Finger auf sich selbst gezeigt hat und nicht auf den anderen. Dadurch ist eine liebevolle Verbindung geblieben, für die ich sehr dankbar bin, weil sie ehrlich und wahrhaftig ist. Ich denke, es ist noch immer viel Liebe zwischen uns, aber es ist jetzt eben so, wie es gerade lebbar und ehrlich ist.

Haben Sie die Trennung kommen sehen oder war das für Sie so überraschend wie für viele Männer in Ihrer Beratung?

Es war von beidem etwas. Teilweise muss ich fast darüber lachen, welchen Klassiker wir abgeliefert haben, wie im Lehrbuch. Wir waren das symbiotische Pärchen, das hüpft, springt, tanzt und glücklich ist. Ein Paar, bei dem es vor lauter Verschmelzung irgendwann zur Trennung kommen musste, damit jeder wieder eine eigenständige Persönlichkeit werden konnte. Ich wollte das Buch auch schreiben, um das Ganze selbst noch tiefer zu verstehen. Das Schreiben war ein heilsamer Prozess.

Natürlich sind nicht alle Männer gleich, schon klar. Aber wenn sie es auf den Punkt bringen müssten: Worin unterscheiden sich Männer von Frauen?

Vor allem darin, wie sie ihre Gefühle nach Außen zeigen und leben. Innen drin wollen wir alle das gleiche. Wir wollen alle geliebt und anerkannt werden und lieben. Aber der Weg dorthin ist unterschiedlich. Ich möchte gerne den Männern sagen, dass sie nicht so über Gefühle reden müssen, wie Frauen es tun. Es reicht auch, wenn sie neben einem anderen Mann sitzen und schweigen, echt schweigen. Ich erinnere mich an ein Männerseminar, wo wir herausgearbeitet haben, dass hinter der Wut meist das Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit steckt. Da schaut der eine den anderen an und sagt: „Echt, du auch?“ Und es ist Stille und Tiefe im Raum. Wir müssen nicht alles so machen wie die Frauen. Aber in Beziehungsdingen kann man schon auch was von ihnen lernen.

Buchtipp: Richard Schneebauer: „MÄNNERHERZ – Was Männer bewegt: Freiheit, Beziehung, Selbstbestimmung“, 200 Seiten, 22,00 Euro

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