Corona in NRWSchülerausweis als Testnachweis – richtig oder unverantwortlich?

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Schulpflichtige Kinder werden zweimal pro Woche getestet. Reicht das nicht? 

  • Für Jugendliche in NRW gilt der Schülerausweis seit Freitag als Nachweis eines negativen Corona-Tests. Ist das sinnvoll?
  • Ja, meint Lioba Lepping. Sie leitet das Ressort Stadtteile und einen zweiköpfigen Familienbetrieb. Ihr Sohn ist fast zwölf und freut sich darauf, eines Tages wieder ohne Maske in die Schule zu gehen.
  • Nein, sagt Christine Meyer aus dem Newsteam des „Stadt-Anzeiger“. Sie hat zwei Töchter und bewundert, wie professionell die meisten Kinder inzwischen mit Tests, Masken und anderen Einschränkungen umgehen.

Köln – Schülerinnen und Schüler gelten aufgrund ihrer Teilnahme an den verbindlichen Schultestungen als getestet. Sie müssen nur ihren Schülerausweis vorlegen. Ist das eine richtige Entscheidung oder unverantwortlich? Unser Streit der Woche.

Pro: Das Leben von Familien vereinfacht sich enorm

Vergangenen Samstag, in Köln ist ausnahmsweise Sommer, die Entscheidung, noch ins Agrippabad zu gehen, fällt spontan. Die Mutter und ihr Lebensgefährte sind doppelt geimpft. Der Freund des Sohnes steht unmittelbar vor einer Chorfahrt und führt deshalb schon einen aktuellen Negativ-Test im Handy mit sich, aber der Elfjährige? Na, gut, dann halt noch schnell ins Testzentrum… Das Schwimmbad wird mit einer Stunde Verzögerung erreicht, der Einlass ist dank schriftlich bescheinigtem Negativtest in Kombination mit der Vorlage des Schülerausweises zwar kein Problem mehr, aber umständlich allemal.

Die Ungleichbehandlung von Personen, die zur gleichen Familie gehören, war zwar formal nachvollziehbar, aber tatsächlich im Alltag unglaublich nervig. Dass der Einkehrschwung ins Testzentrum nun der Vergangenheit angehört, mag manchen banal oder gar gefährlich vorkommen. Er ist aber richtig. Und vereinfacht das Familienleben, das seit Beginn der Corona-Pandemie ohnehin mehr denn je einem Hindernislauf gleicht.

Schulpflichtige Kinder werden in den Schulen ja sowieso ständig getestet

Die Landesregierung hat entschieden, dass schulpflichtige Kinder erwachsenen Menschen mit nachgewiesenem G (Getestet, Geimpft, Genesen) gleich gestellt werden. Ein Kind kann also wieder ins Museum, zum Training und ins Schwimmbad, ohne sich eigens vorher testen zu lassen.

Der Gedanke dahinter: Schulpflichtige Kinder werden in den Schulen ja sowieso ständig getestet. Ihnen und ihren Eltern soll deshalb nicht mehr zugemutet werden, wegen jeder Freizeitaktivität nochmal eigens einen negativen Test beizubringen. Im Zweifel reicht das Vorzeigen des Schülerausweises. Denn nicht immer lässt sich alleine dem Aussehen nach feststellen, ob ein Kind noch ein Kind ist. Das Dokument ist so wertvoll wie der Cov-Pass auf dem Smartphone der Eltern. Es ist nicht weniger als eine Eintrittskarte in die Normalität.

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Schon gibt es Menschen, die einwenden: Oh je! Und wenn Philipp oder Leonie nun nach einem positiven Test in der Schule nichts Besseres zu tun haben, als mit ihrem Schülerausweis statt in Quarantäne ins Schwimmbad zu spazieren? Oder wenn der kleine Tom das Stäbchen nicht weit genug in die Nase gesteckt hat und deshalb unentdeckt positiv einen Ausflug ins Museum plant? Ich erwidere: Hat uns die Pandemie nicht gelehrt, dass gerade die jungen Menschen sich uneigennützig und vernünftig an Regeln gehalten haben? Nichts legt nahe, den Kindern und Jugendlichen die kriminelle Energie einer versuchten Masseninfektion zu unterstellen. Und was die korrekte Durchführung der Tests angeht, so sei gesagt: Ein Restrisiko bleibt ohnehin. Ob in der Schule oder der Teststation.

Die Regelung vereinfacht das Leben von Familien und Kindern kolossal

Deshalb sollten sich alle freuen, denen etwas an Kindern und Familien liegt: Was für ein Glück. Die Regelung vereinfacht das Leben von Familien und Kindern kolossal. Es bringt die Leichtigkeit und Spontaneität zurück, die in den letzten Monaten so schmerzlich gefehlt hat. Mal eben ins Kino, mal eben ins Restaurant, mal eben zum Indoor-Spielplatz, zum Fußball- oder Tischtennistraining.

Kinder und Jugendliche waren und sind die Bevölkerungsgruppe, die während der Pandemie am meisten Opfer gebracht haben. Klassenfahrten, ja der ganze herkömmliche Schulalltag fiel aus, dazu der Sport. Und im Rudel Geburtstag feiern ging auch nicht. Höchste Zeit, ihnen jetzt zumindest ihre Freizeitgestaltung zurückzugeben. Ohne störende und manchmal auch bremsende Testhürde.

Einschränkende Schutzmaßnahmen gibt es ja ohnehin noch genug. Masken müssen Kinder weiterhin einen Acht-Stunden-Schultag lang tragen, während ihre Eltern längst wieder befreit davon am Bildschirm arbeiten dürfen. Um die wirklich wahre Freiheit zurückzuerlangen, fehlen noch ein paar Schritte. Zum Beispiel eine Einigung im Streit um die Luftfilter. Außerdem 30 Prozent der Bundesbürger, die sich ihre Impfdosis noch nicht abgeholt haben. So lange die Maske zum Schulalltag gehört, ist jeder kleine Schritt zu einer Decoronasierung des Alltags ein willkommener Etappensieg. Den es zu feiern gilt. Gerne auch mit vielen anderen wöchentlich zweimal in der Schule getesteten. Und zwar in der Trampolinhalle oder beim Schwarzlicht-Minigolf. (Lioba Lepping)

Contra: Selbst ein positiver Test würde nicht bemerkt

Haben Sie ein Kind an einer weiterführenden Schule? Können Sie sich erinnern, wann es zum letzten Mal seinen Schülerausweis gebraucht hat? Ich weiß nur, dass meine Töchter zu Beginn der 5. Klasse ein lappiges Papierstück ausgehändigt bekamen mit einem Stempel der Schule. Inzwischen dürften sie komplett anders als auf dem Foto aussehen, und der erste und gleichzeitig letzte Eintrag darin ist mit Sicherheit der aus der 5. Klasse. Genau wissen wir das aber nicht, weil die Ausweise nicht mehr aufzufinden sind.

Will sagen: Der Schülerausweis wird in der Praxis kaum eingesetzt. Theoretisch müsste man ihn jedes Schuljahr neu abstempeln lassen, aber bislang tut das außer Bahnfahrerinnen und-fahrern kaum jemand. Das könnte sich jetzt allerdings ändern, denn die NRW-Landesregierung hat in ihrer neuen Corona-Schutzverordnung festgelegt, dass für Jugendliche der Schülerausweis als Testnachweis reicht. Hintergrund ist, dass jede Schülerin und jeder Schüler ab der weiterführenden Schule zweimal pro Woche getestet wird. „Schulpflichtige Kinder und Jugendliche gelten aufgrund ihrer Teilnahme an den verbindlichen Schultestungen als getestete Personen“, heißt es auf der Seite des Laumann-Ministeriums.

Was ist, wenn mit dem Schülerausweis die Oma im Pflegeheim besucht wird?

Nun ist es ja löblich, dass die Landesregierung das Leben von Kindern und ihren Familien erleichtern will, so dass sie nicht zusätzlich zu den Schultests für außerschulische Aktivitäten wie bisher noch zum Schnelltest-Zentrum gehen müssen. Und auch die für Lehrerinnen und Lehrer eigentlich unzumutbare Aufgabe, einzeln Testnachweise für den Alltag auszufüllen, entfällt. Allerdings geht dies eindeutig zu Lasten der gesundheitlichen Sicherheit. Für die Kontakte innerhalb der Schule sind die Selbsttests ein gutes Mittel, damit der Präsenzunterricht aufrechterhalten werden kann. Aber wer kann schon kontrollieren, wie sorgfältig jede und jeder das Stäbchen in die Nase führt und die richtige Anzahl an Tropfen auf den Teststreifen aufbringt? Lehrer berichten, dass es an ihren Schulen teilweise noch nie einen positiven Test gegeben hat. Das sollte nachdenklich stimmen.

Junge Menschen selber sind nicht in dem Maße wie ältere von Covid-19 gefährdet, daher überwiegt in der Tat der Nutzen von Schultests die Gefahren von falsch negativen Ergebnissen. Aber was ist, wenn mit dem Schülerausweis die Oma im Pflegeheim besucht wird, eine Veranstaltung im Innenraum oder in der Halle Sport mit Körperkontakt gemacht wird? Die Infektionszahlen steigen auch durch Delta stetig, und längst nicht alle gefährdeten Personen sind geimpft.

Niemand weiß, ob die Schülerin oder der Schüler in den vergangenen Tagen in der Schule war

Der eigentliche Denkfehler liegt allerdings darin, dass niemand wissen kann, ob die Schülerin oder der Schüler auch wirklich in den vergangen Tagen am Unterricht und damit an den Tests teilgenommen hat. Möglicherweise war der Jugendliche krank oder hat die Schule geschwänzt. Möglicherweise geht er auch gar nicht mehr zur Schule und hat den Ausweis gefälscht, denn die Sicherheit dieses Dokuments dürfte sich ungefähr auf dem Niveau eines Grundschul-Fahrradführerscheins bewegen. Vor allem werden jedoch positive Testergebnisse nicht vermerkt. Das heißt, ein nachweislich infizierter Jugendlicher kann mit seinem Schülerausweis auch weiterhin als Virusschleuder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Natürlich sollte man niemanden zunächst böse Absicht unterstellen. Hätte sich die gesamte Pandemie-Politik der vergangenen Monate allerdings derart blauäugig und vertrauensselig dargestellt, müssten wir vermutlich noch ganz andere Todeszahlen in Deutschland vermelden. Die Realitätsferne des Gesundheitsministeriums zeigt sich auch daran, dass die Verordnung offenbar direkt nachgebessert werden musste. Der Schülerausweis muss erst ab 15 Jahren vorgelegt werden. Bei den bis 14-Jährigen bestehe ohnehin Schulpflicht, daher sei automatisch von durchgeführten Tests auszugehen, und außerdem stellt demnach nicht jede Schule Ausweise für unter 15-Jährige aus. Da hätte man ja auch mal nachfragen können. Das bedeutet aber auch: Kinder bis 14 Jahren gelten jetzt im Gegensatz zur vorherigen Verordnung automatisch als getestet, auch ohne Schülerausweis. Und was ist eigentlich in Ferienzeiten? Möglicherweise wird die Verordnung nach dem 17. September ein weiteres Mal geändert. (Christine Meyer)

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