„Super Nanny“ Katia SaalfrankSchläge haben immer fatale Folgen

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„Kinder sind unschlagbar“, findet Katia Saalfrank.

„Kinder sind unschlagbar“, findet Katia Saalfrank.

Kinder haben das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Und trotzdem werden in Deutschland täglich Kinder geschlagen, physisch und psychisch misshandelt. Wöchentlich sterben sogar drei bis vier Kinder durch Gewalt oder Vernachlässigung.

Gewalt gegen Kinder ist noch immer sehr verbreitet

Lisa Harmann & Katharina Nachtsheim

Lisa Harmann & Katharina Nachtsheim

Auf Stadt Land Mama tauschen sich zwei junge Mütter mit fünf Kindern zwischen ein und neun Jahren aus. Mal witzig, mal nachdenklich – mal verzweifelt. Lisa Harmann (li.) und Katharina Nachtsheim.

Doch auch wenn die Schläge nicht tödlich enden, haben sie in jedem Fall für das Kind dramatische und irreparable Folgen. Unsere Gastautorin Katharina Nachtsheim vom Blog „Stadt-Land-Mama“ hat mit der aus dem Fernsehen bekannten Diplom-Pädagogin Katia Saalfrank gesprochen.

Gibt es Schätzungen, wie viele Kinder zu Hause Gewalt erfahren?

Katia Saalfrank: Eine im Jahr 2012 vom Forsa-Institut im Auftrag der Zeitschrift Eltern erstellte Studie offenbart dramatische Zahlen. 40 Prozent der Eltern gaben an, ihre Kinder zu schlagen („Hintern versohlen“), weitere 10 Prozent schlagen ihre Kinder sogar ins Gesicht („Ohrfeige“). Die Hälfte aller Eltern greift also zu körperlicher Gewalt.

Gewalt findet hinter geschlossenen Türen statt, findet oft im Verborgenen und nicht sichtbar statt und ist deshalb schwer zu schätzen. Die Dunkelziffer ist sehr hoch.

Welche Spuren hinterlassen Schläge bei einem Kind?

Saalfrank: Schläge hinterlassen fatale Spuren. Sie zerstören beim Säugling und Kleinkind die unersetzliche Sicherheit, geliebt zu werden. Das Urvertrauen ist gestört – wie man auch beim Erwachsenen später erleben kann, außerdem erzeugen sie Ängste beim Kind. Die Erwartung der nächsten Strafe ist immerzu präsent. Die Beziehung ist also nicht von Liebe und Vertrauen, sondern von Angst geprägt.

Aber es gibt noch weitere fatale Auswirkungen auf Kinder. Wenn Kinder Schläge erleben, wird bei ihnen das Mitgefühl und die Sensibilität für andere und für sich selbst zerstört. Desensibilisierung ist die Folge. Die Fähigkeit, sich einzufühlen, Empathie zu entwickeln, ist nicht gegeben oder wird zerstört.

Wo fängt für Dich Gewalt an? Ist der Klaps auf die Finger noch ok?

Saalfrank: Nein! Gewalt ist Gewalt. Die Botschaften an das Kind, die selbst durch vermeintlich „leichte“ Schläge gesendet werden, sind – wie schon erläutert - vielschichtig und fatal. Das Kind erfährt keinen Respekt und keine Wertschätzung und wird in seinem Urvertrauen tief erschüttert. Es wird fortan, wenn es auf die Eltern reagiert, häufig nur aus Angst handeln. Das Kind lernt, dass es den eigenen Schmerz nicht fühlen darf, dass dieser vielmehr ignoriert werden muss. Die Botschaft ist: Du hast meine Grenze überschritten – Deine ist mir aber nichts wert. Das ist elterlicher Machtmissbrauch.

Warum auch ein Klaps schadet. Mehr über die fatalen Folgen elterlicher Gewalt auf der nächsten Seite.

„Ein Klaps hat noch keinem geschadet!“ Wer so etwas sagt, hat wahrscheinlich, physisch oder psychisch, selbst gewaltvolle Erfahrungen gemacht – und beweist mit diesem Satz das Gegenteil, nämlich, dass ein Klaps durchaus schaden kann.

Wie erlebst Du Eltern, die ihre Kinder geschlagen haben?

Saalfrank: Ich erlebe, dass es den Eltern sehr schlecht geht. Sie sind traurig, sehr enttäuscht von sich selbst und haben große Schuld- und Schamgefühle. Damit gehen wir dann um und erarbeiten einerseits wie sie als Eltern Verantwortung übernehmen und diese Situation in der Beziehung zum Kind gut klären können und entwickeln andererseits auch neue Handlungsalternativen, damit sie in Zukunft anders damit umgehen können.

Ganz praktisch: Wenn ich merke, dass meine Nerven so angespannt sind, dass mir gleich die Hand ausrutscht – was kann ich unternehmen, dass es eben NICHT passiert?

Saalfrank: Man kann hier auf zwei Ebenen arbeiten: Einmal im Konfliktmoment und die andere Ebene ist die Reflektion danach. In der konkreten Situation ist es gut, sich so früh wie möglich selbst zu unterbrechen, sich herauszunehmen. Am besten ist es, kurz aus dem Zimmer zu gehen oder die Situation zu verlassen, durchzuatmen und sich zu beruhigen. Wenn dann die Anspannung und der Stress etwas nachlassen, kann man besser mit der Situation umgehen.

Die Reflektion danach zeigt häufig, dass der Ärger und die Wut oft nicht nur durch das Verhalten des Kindes, sondern durch verschiedene Faktoren ausgelöst wurden. Deshalb ist es hilfreich, neue Alternativen und die Reflektion gemeinsam und im Austausch mit jemandem begleiten zu lassen. Wichtig ist, dass Eltern in dieser Umbruchzeit möglichst viele gute Erfahrungen machen können.

Wohin können sich Eltern wenden, wenn sie merken, dass sie in eine Gewalt-Spirale hereingerutscht sind?

Saalfrank: Es gibt zahlreiche kostenlose Beratungsstellen. Zum Beispiel haben Eltern die Möglichkeit, sich anonym im Internet beim Bündnis für Kinder von erfahrenen Psychologen und Pädagogen zu holen. Unter www.kinderundjugendtelefon.de findet man auch Kontakt-Telefonnummern und Adressen für hilfesuchende Kinder und Eltern. Auch das zuständige Jugendamt bietet natürlich kostenfreie Beratung und Unterstützung an.

Warum schlagen Eltern zu? Mehr über die Gründe von Kindesmisshandlung auf der nächsten Seite.

Warum schlagen Eltern überhaupt zu?

Saalfrank: Nicht nur Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten sind gefährdet. Auslöser für Gewalt gegen Kinder sind Stress und Überforderung, und so existiert Gewalt in allen Formen als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Eltern, die ihre Kinder schlagen, sind meist selbst geschlagene Kinder oder zumindest Kinder, die gestraft wurden.

Sie haben einen ganz bestimmten Mechanismus erlebt und sind von ihren Eltern nicht nur in Bezug auf ihr kindliches „Fehlverhalten“ mit Vorwürfen und Drohungen, sondern auch noch wegen der dann folgenden Tränen geschimpft und kritisiert worden, ja vielleicht sogar gestraft oder geschlagen worden. Diese stark emotionalen Erfahrungen werden gespeichert, miteinander gekoppelt und führen so im Gehirn zu bestimmten Vernetzungen, die die Betroffenen im Erwachsenenalter dann die erlebte Gewalt weitergeben lassen werden.

Eure Initiative „Kinder sind unschlagbar“ richtet sich gegen Gewalt an Kindern. Seit wann engagierst Du Dich in dieser Initiative und was war der Ausschlag dafür?

Saalfrank: Kinder sind Unschlagbar ist eine Plattform gegen Gewalt an Kindern und für eine gewaltfreie Beziehung zu Kindern. Diese Initiative gibt es jetzt seit März 2015. Ausschlag dafür war die Aussage des Papstes, der das Schlagen von Kindern in der Erziehung befürwortet hat. Das hat mich so schockiert, dass ich einen offenen Brief an den Papst geschrieben habe. Mit Unschlagbar bieten wir Eltern und Familien eine Plattform um sich auszutauschen, um Vorurteile zu beseitigen und wir wollen Hilfestellung für alle geben, groß oder klein.

Dieses Interview erschien ursprünglich auf www.stadtlandmama.de

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