Suchtexperte im InterviewAlkohol am Arbeitsplatz ist offiziell verbannt – praktisch nicht

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Eine Schnapsflasche liegt in einer Schreibtischschublade zwischen Büroutensilien.

Alkoholkranke versuchen häufig, ihren Konsum zu verstecken.(Symbolbild)

Wenn jemand am Arbeitsplatz trinkt, betrifft das häufig nicht nur die Person. Suchtexperte Michael Klein erklärt, wie damit umzugehen ist.

Alkohol am Arbeitsplatz ist ein heikles Thema und betrifft nicht nur die Person, die trinkt, sondern kann alle Angestellten tangieren. Kürzlich berichtete der „Spiegel“ über Exzesse, Schikane und Gewalt an Til Schweigers Filmsets. Kollegen und Kolleginnen erzählten, Schweiger komme betrunken zum Set, reagiere wütend und verhalte sich beleidigend gegenüber seinen Mitarbeitenden.

Wie verbreitet ist Alkohol heutzutage am Arbeitsplatz? Der Psychotherapeut und Professor für Klinische Psychologie und Suchtforschung an der Katholischen Hochschule NRW Michael Klein erklärt im Interview, wie man erkennt, ob Kolleginnen und Kollegen einen problematischen Alkoholkonsum haben und wie man darauf reagieren sollte.

Alkohol am Arbeitsplatz ist offiziell verbannt – praktisch nicht 

Herr Klein, wie verbreitet ist Alkohol am Arbeitsplatz?

Der Alkoholkonsum am Arbeitsplatz ist in den letzten Jahrzehnten relativ erfolgreich offiziell verbannt worden. Es gibt immer mehr Betriebe mit Alkoholverbot, aber das ist keine sichere Mauer. Es ist ein Leichtes vor und nach der Arbeit zu trinken, in der Mittagspause zu trinken oder am Arbeitsplatz Verstecke anzulegen. Menschen, die Probleme mit Alkohol haben, scheuen sich nicht, am Arbeitsplatz für Alkohol zu sorgen. Auch durch die Stärkung des Homeoffice gibt es neue Konsum-Muster, weil die Verzahnung zwischen Arbeit und Privatleben immer enger wird.

Was meinen Sie mit Menschen, die ein Problem mit Alkohol haben, genau?

Es gibt in Deutschland etwa 1,6 Millionen alkoholabhängige Erwachsene und zusätzlich 1,6 Millionen alkoholmissbrauchende Erwachsene, also Menschen, die Alkohol in Problemsituationen missbrauchen. In der Summe haben wir also etwa 3,2 Millionen Menschen mit einem relevanten Alkoholproblem. Und ein Alkoholproblem kommt oft aus dem privaten Bereich und schwappt dann in die Arbeitswelt über – oder natürlich umgekehrt.

In sogenannten Hyper-Stress-Berufen gibt es mittlerweile eine immer höhere Anfälligkeit für Alkohol, also im Bereich Informatik, Mediendesign, aber auch im Krankenhaus und in der Altenpflege.
Michael Klein, Suchexperte

Gibt es Betriebe, die noch kein offizielles Alkoholverbot haben?

Ja, interessanterweise teilweise noch in der Autoindustrie, aber vor allem in kleinen Handwerks- oder Industriebetrieben. Generell haben eher kleinere bis mittlere Unternehmen oft noch kein klares Alkoholverbot.

Und gibt es Branchen, die eher betroffen von Alkohol am Arbeitsplatz sind als andere?

Bei dem Bereich Gastronomie ist die Griffnähe sehr gering. Da wird zwar immer empfohlen, dass das Personal nicht trinkt, viele halten sich auch dran, aber generell ist Alkohol recht verbreitet. Es gibt auch klassische alkoholnahe Berufe, zum Beispiel im Baugewerbe und Transport, aber da ist vieles besser geworden. In sogenannten Hyper-Stress-Berufen gibt es mittlerweile eine immer höhere Anfälligkeit für Alkohol, also im Bereich Informatik, Mediendesign, aber auch im Krankenhaus und in der Altenpflege.

Suchtkranke mit Arbeitsplatz haben bessere Prognosen als Suchtkranke ohne

Ab wann ist das ein Problem?

Das geht nicht nach den Mengen, sondern eher nach der Frage, wozu das jemand macht. Wenn man Leute beispielsweise fragt, warum sie trinken, werden sie mit vorgefertigten Entschuldigungen antworten. Bei der Frage wozu, erfährt man die wirklichen Motive – zum Beispiel, um zu vergessen, besser zu funktionieren oder um Ängste zu reduzieren.

Michael Klein lächelt in die Kamera.

Michael Klein ist Psychologischer Psychotherapeut und Professor für Klinische Psychologie und Suchtforschung an der Katholischen Hochschule NRW.

Viele Unternehmen haben zwar ein Alkoholverbot, kann man deswegen gekündigt werden?

Nicht ohne weiteres und das wäre auch nicht gut. In der Regel gibt es eine Eskalationsleiter. Das heißt, zunächst gibt es ein Gespräch, dann eine erste Abmahnung, vielleicht eine Therapie-Empfehlung und irgendwann kommt möglicherweise die Kündigung. Die meisten Betriebe wollen heute aber gar nicht mehr ihre eingearbeiteten Fachkräfte entlassen, sondern diese im Krankheitsfall behandeln lassen.

Außerdem haben Suchtkranke, die noch einen Arbeitsplatz haben, viel bessere Prognosen als Suchtkranke, die arbeitsuchend oder gar obdachsuchend sind. Es gibt ganz viele Hilfen, beispielsweise von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Und je früher die Hilfe kommt, desto besser – da profitieren alle von.

Signale können erkennbar machen, ob jemand ein Alkohol-Problem hat

Woran kann ich denn merken, dass ein Kollege, eine Kollegin ein Problem hat?

Das ist nie eindeutig, aber es gibt Signale: abrupte Verhaltensveränderungen, dass jemand unzugänglich, geheimniskrämerisch oder sogar aggressiv ist. Abwehrverhalten ist auch typisch. Gerade Wechselhaftigkeit zwischen all dem ist auffällig. Vor allem, dass sich jemand in seinem ganzen Verhalten verändert.

Was mache ich, wenn ich das merke?

Wenn man eine freundschaftliche Beziehung zu der Person hat, kann man sie natürlich ansprechen. Sie wird in der Regel mit Abwehr reagieren, aber so kann man versuchen das anzugehen.

Mobbing am Arbeitsplatz wird in Deutschland noch viel zu sehr geduldet, aber das gehört zur Personalverantwortung, genauso wie betriebliches Gesundheitsmanagement.
Michael Klein, Professor für Psychologie und Suchtforschung

Ansonsten wäre es geboten, die Sorgen gegenüber einem Vorgesetzten auszudrücken. Dieser muss dann entscheiden, was zu tun ist. Das wäre etwa ein entsprechendes wohlwollendes Gespräch, das dem Betroffenen im Grunde nur signalisiert: „Wir haben wahrgenommen, dass bei dir etwas nicht stimmt.“ Man muss im betrieblichen Bereich dann immer konkrete Situationen dokumentieren und benennen – eine wahrnehmbare Alkoholfahne zum Beispiel, sichtbares Trinken am Arbeitsplatz oder besonders viele unerklärliche Fehltage.

Was kann ich tun, wenn ich oder andere unter dem Alkoholkonsum leiden?

Wenn zum Beispiel ein Kollege, eine Kollegin chronisch aggressiv ist, andere immer wieder mobbt, dann ist das ebenso Vorgesetzten-Sache. Mobbing am Arbeitsplatz wird in Deutschland noch viel zu sehr geduldet, aber das gehört zur Personalverantwortung, genauso wie betriebliches Gesundheitsmanagement. Zu den Hilfen gehören nicht nur Bewegung und Sport, sondern auch psychische Gesundheit und damit insbesondere problematischer Substanzkonsum. Und da sollte von den Vorgesetzten zumindest ein Anreiz zum Nachdenken gegeben werden und das Angebot zur Hilfe bestehen.

Und was kann ich tun, wenn ich unter dem Alkoholkonsum meines Vorgesetzten leide?

Wenn Vorgesetzte einen chronischen Alkoholkonsum zeigen, unter dem Mitarbeiter leiden, können diese den Vorgesetzten direkt darauf ansprechen, was manchmal riskant sein könnte. Sie können sich auch Hilfe und Rat beim Betriebsrat holen. Schließlich ist auch ein Gespräch mit einer Führungskraft auf einer höheren Ebene denkbar.


Hier finden Sie Hilfe

Blaues Kreuz Köln Piusstraße 101 50823 Köln 0221/527979 bkz-koeln@blaues-kreuz.de

Anonyme Alkoholiker Zentrale Beratung: 08731/32573 12 (täglich von 8 Uhr bis 21 Uhr). Auf der Seite www.anonyme-alkoholiker.de finden Sie eine Karte, auf der die Treffpunkte der Gruppen aufgeführt sind.

Kölner Suchthilfe e. V. Telefonische Beratung: 02234/6806291 www.koelnersuchthilfe.de

Alexianer Köln Kölner Straße 64 51149 Köln Tel. 02203/369111700 E-Mail: rehasucht@alexianer.de

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