Männer, Frauen, VorerkrankteWer ist besonders gefährdet, an Long Covid zu erkranken?

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Zu Long-Covid-Symptomen zählen Müdigkeit, Konzentrationsschwäche oder Schmerzen in Muskeln und Gelenken.

Köln – Expertinnen und Experten aus der Medizin haben einen Leitfaden zu Langzeitfolgen von Covid-19 veröffentlicht. Darin informieren sie, was bisher zu den Erkrankungen Long Covid und Post Covid bekannt ist und welche Behandlungsansätze es gibt. Die Empfehlung wurde von Fachgesellschaften und Verbänden wie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie oder der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung und anderen Experten gemeinsam erarbeitet. Das Dokument soll laufend aktualisiert werden.

Die Veröffentlichung entspricht nach den Kriterien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) einer S1-Leitlinie. Das bedeutet, dass die Empfehlung die Meinung und den Wissensstand innerhalb einer Expertengruppe widerspiegelt, aber nicht den Kriterien einer evidenzbasieren Leitlinie (S3) entspricht. Die Autorinnen und Autoren verweisen darauf, dass die Empfehlung eine „Orientierung auf dem Boden einer sehr häufig noch begrenzten Datenlage liefern soll“. In Deutschland und weltweit werden die Langzeitfolgen von Covid-19 von Wissenschaftlern derzeit untersucht.

Wie sind Long Covid und Post Covid definiert?

Bisher gibt es keine einheitliche Definition von Long Covid, weil Krankheitsverläufe und Symptomatik extrem unterschiedlich sind. Die Autorinnen und Autoren des Leitfadens bezeichnen als Long Covid, wenn Betroffene vier Wochen nach einer Infektion mit Covid-19 noch immer Beschwerden haben. Ab einer Dauer von über zwölf Wochen bezeichnen sie diese Langzeitfolgen als Post-Covid-Syndrom.

Im Juni diesen Jahres sagte Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Wir haben lernen müssen, dass Covid-19 keine reine Lungenkrankheit ist, sondern auch andere Organe betreffen kann. Zum Beispiel die Nieren, das Herz und eben auch das Gehirn“. Die DGN hat als Fachgesellschaft an der S1-Leitlinie mitgewirkt.

Wie viele sind von den Erkrankungen betroffen?

Die Autorinnen und Autoren des Leitfadens gehen davon aus, dass über alle Covid-Patienten hinweg bis zu 15 Prozent von Langzeitfolgen betroffen sind. Eine repräsentative Studie des Imperial College London ergab, dass fast 40 Prozent der Covid-Patienten drei Monate nach der Infektion noch Symptome hatten. „Unterschiedliche Studien kommen zu sehr unterschiedlichen Schätzungen für den Anteil der Covid-19 Erkrankten, die an langfristigen Auswirkungen der Krankheit leiden“, so das RKI. Ein Grund für die stark voneinander abweichenden Schätzungen ist, dass je nach Studie sehr unterschiedliche Patientengruppen mit eingeschlossen werden. Beispielsweise zählen manche Wissenschaftler auch Betroffene mit sehr schwachen oder unspezifischen Beschwerden als Post-Covid-Fall, andere nur Patienten mit schwersten Symptomen.

Wer ist besonders gefährdet an Long Covid oder Post Covid zu erkranken?

Bestanden bereits vor einer Covid-19 Infektion körperliche oder psychische Belastungen, kann das die Entstehung von Post Covid begünstigen. Die Autorinnen und Autoren der Empfehlung stellen aber fest, dass Erkrankungen die neben Covid-19 bestehen die Häufigkeit von Long Covid nicht zu beeinflussen scheinen.

Zum Einfluss des Covid-Verlaufs auf Langzeitfolgen heißt es in der Empfehlung: „Grundsätzlich kann Long/Post-Covid sowohl nach leichten, als auch nach schweren Verläufen auftreten“. Das RKI vermutet, dass Menschen mit schweren Verläufen häufiger langfristig mit Beschwerden zu kämpfen haben, als Menschen mit mildem Covid-Verlauf. Aber auch sie können laut RKI Symptome entwickeln, die über lange Zeit bestehen. Aus einer Studie von Wissenschaftlern am Kings College London geht hervor, dass Langzeitfolgen von Covid-19 öfter bei Menschen auftreten, die während einer Covid-Infektion unter Durchfall und eingeschränktem Geruchssinn litten.

Laut RKI zählen ein hohes Alter, Adipositas und Vorerkrankungen der Lunge und des Herzens zu den Risikofaktoren, die eine Post-Covid-Erkrankung wahrscheinlicher machen.

Forscher haben außerdem festgestellt, dass es häufiger Frauen sind, die an Long Covid leiden. Dabei wird ihnen zum Verhängnis, dass ihr Immunsystem besonders stark ist, denn es kämpft immer noch gegen einen längst besiegten Feind an. Der Pariser Krankenhausverband meldete schon im vergangen Jahr, dass dort viermal so viele Frauen mit Long-Covid-Symptomen behandelt werden wie Männer.

Was sind die Ursachen dafür, dass Langzeitfolgen entstehen?

„Die genauen Ursachen für ein Post-Covid-Syndrom sind bislang nicht bekannt“, heißt es in dem Leitfaden. Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass Viren, die über Wochen oder Monate im Körper von Covid-19 Patienten verbleiben, eine Rolle für die Entstehung von Langzeitfolgen spielen. Auch Gewebeschäden, verursacht durch eine vorhergehende Covid-19-Infektion oder Nebenwirkungen der Behandlung von Covid-19, sind mögliche Faktoren.

Woran erkennen Betroffene, dass sie erkrankt sind?

Unabhängig von ihrem Alter sind Frauen mit Post Covid überdurchschnittlich oft von einem Erschöpfungssyndrom – Fatigue – betroffen. Patienten fühlen eine Abgeschlagenheit, die mit Schlaf oder Erholung nicht zu überwinden ist. Auch Männer, Kinder und Jugendliche mit Post Covid sind häufig von Fatigue betroffen. Weitere Symptome sind Luftnot und eine eingeschränkte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.

Laut RKI sind die häufigsten Symptome, von denen Patienten bisher berichten, Müdigkeit, Erschöpfung, Kopfschmerzen, depressive Verstimmungen, Geruchs- und Geschmacksbeeinträchtigungen und Schlafstörungen. Daneben hätten Betroffene über Herzstolpern, Haarausfall und Brustschmerzen geklagt.

Wie werden die Langzeitfolgen von Covid-19 behandelt?

Für ein spezifische Therapie gebe es bislang noch keine wissenschaftlich belastbaren Belege, heißt es in dem Leitfaden. Die Therapie orientiere sich aktuell darum an den Symptomen Betroffener.

In verschiedenen deutschen Städten wurden Post-Covid-Ambulanzen eingerichtet. Am Uniklinikum Köln gibt es eine „post Covid-Sprechstunde“ für Menschen, die auch Monate nach überstandener Covid-Infektion noch Symptome haben. Betroffene können sich in Köln – je nach Beschwerden – an den Bereich HNO, die Klinik für Neurologie oder den Bereich Psychiatrie und Psychotherapie wenden. Daneben haben sich verschiedene Corona-Selbsthilfegruppen gegründet.

Was weiß man über Post Covid bei Kindern und Jugendlichen?

Zu Langzeitfolgen von Covid-19 bei Kindern und Jugendlichen liegen bislang nur wenige systematische Daten vor. „Es sind häufiger Jugendliche betroffen. Insgesamt trifft es auch eher Mädchen“, sagte Dr. Daniel Vilser im Juni diesen Jahres dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Er leitet die deutschlandweit erste Kinder-Long-Covid-Ambulanz an der Uniklinik Jena. Es sei „brutal schwer, Long-Covid bei Kindern zu diagnostizieren“, so Vilser. Es gebe keinen eindeutigen Diagnose-Marker, an dem Long Covid festzumachen sei. Betroffene unter 18 Jahren würden bislang ähnliche Symptome zeigen wie Erwachsene.

Bei den meisten Kindern und Jugendlichen verläuft Covid-19 symptomfrei. Nach der Einschätzung der Expertinnen und Experten, dass Menschen mit leichtem Covid-Verlauf seltener von Langzeitfolgen betroffen sind, müssten Kinder und Jugendliche also weniger häufig Post-Covid-Syndrome entwickeln als Erwachsene.

Was sind die Langzeitfolgen von Post Covid?

Ebenso wie bei Covid-19, gibt es bisher zu den Langzeitfolgen von Long Covid und Post Covid kaum gesicherte Erkenntnisse. In dem Leitfaden heißt es, bei einigen Patienten komme es von selbst zu einer Spontanheilung oder einem deutlichen Rückgang der Symptome. Zu den Langzeitfolgen für Kinder und Jugendliche sagte Dr. Daniel Vliser von der Uniklinik Jena, man könne immer nur einzelne Symptome behandeln. Die langfristige Behandlung von Long Covid und Post Covid erfolge bei jedem Patienten individuell.

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