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Das Ende der PanikEin Leben ohne Angst ist möglich – aber ist es auch sinnvoll?

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Symbolbild

  1. Viele Menschen leiden unter ihren Ängsten. Wäre es nicht traumhaft, wenn man sie einfach abstellen könnte?
  2. Medizinisch betrachtet ist das möglich. Denn zuständig für Ängste im Gehirn sind Mandelkerne, die sich gezielt zerstören lassen.
  3. Aber was wäre der Preis für ein Leben ohne Furcht?

Der ultimative Traum wäre erfüllbar: Ein Leben ganz ohne Angst! Keine brüchige Stimme bei Reden vor großem Publikum. Kein Zittern im Fernsehstudio bei aggressiven Nachfragen. Kein Schweißausbruch im taumelnden Landeanflug eines Flugzeugs im Sturm. Vor allem aber: Schluss mit den diffusen Angststörungen, der sinnlosen Form der Angst – vor Spinnen, Aufzügen, oder gar vor dem Verlassen des Hauses. Diese lähmende, alles umfassende Angst kann das ganze Leben zerstören. Und sie betrifft in der einen oder anderen Form jeden siebten Menschen mindestens einmal im Leben. Die gute Nachricht: Ein Leben ohne all diese Ängste ist möglich! 

Wie bei den Menschen, die unter dem seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom leiden, einer selektiven Verkalkung der Mandelkerne, der Angstzentren des Gehirns. Sind die zerstört, ist die Angst weg. Wie auch bei den Versuchsaffen, bei denen man die Angstzentren gezielt entfernt hatte: Sie hatten jede Angst verloren. Auch in lebensbedrohlichen Situationen. Aber nicht nur die Angst war weg – die Versuchstiere hatten auch jede Wut und Aggression verloren. Tatsächlich wurde in den 1930er Jahren sogar diskutiert, ob die operative Zerstörung der Mandelkerne nicht eine geeignete Behandlung von Schwerkriminellen sein könnte.

Die Mandelkerne liegen tief im Gehirn, etwa auf Höhe der Ohrläppchen.

Der Eingriff wäre vergleichsweise einfach. Man weiß, dass die so genannte Amygdala, der Mandelkern, die zentrale Schaltstelle für die Angst ist. Sie liegt tief im Gehirn, ungefähr auf Höhe der Ohrläppchen. Und es gibt zwei davon: eines in der rechten, eines in der linken Hirnhälfte. Die Mandelkerne koordinieren die Angstreaktion und sorgen dafür, dass im Ernstfall Hormone ausgeschüttet werden, die den ganzen Körper in Alarm versetzen: dass Muskeln sich anspannen, Pupillen sich weiten, der Blutdruck steigt – und dass dem Schweiß Stoffe beigemischt werden, die das Signal aussenden: Dieser Mensch hat Angst. Ein Signal, das unterbewusst verschickt und wahrgenommen wird. Ein Signal, das auch der coolste Politiker nicht unter noch so viel Deo verstecken kann – es wäre sehr spannend, Donald Trump oder Boris Johnson nicht nur zu sehen und zu hören, sondern auch zu riechen!

Mandelkerne zu zerstören, hätte erhebliche Nebenwirkungen

Die Mandelkerne zu zerstören, hätte erhebliche Nebenwirkungen, denn sie sind nicht nur für die Angst zuständig: Sie spielen eine große Rolle beim Speichern von Erinnerungen, vor allem von emotional aufgeladenen Erinnerungen, positiv wie negativ. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass wir uns an den ersten Kuss sehr präzise erinnern. Und an den ersten schmerzhaften Sturz vom Fahrrad. An die erste langweilige Etüde auf dem Klavier eher nicht. Die Mandelkerne scheinen aber auch eine entscheidende Rolle im Umgang mit Mitmenschen zu spielen. Die operierten Affen jedenfalls hatten Probleme, mit ihren Artgenossen umzugehen und waren schließlich völlig isoliert. Der Preis eines Lebens ohne Angst ist hoch. Der Mensch ohne Mandelkerne wird zum emotionalen Krüppel.

Hirnwelten-Vorträge 2019

Neue Vortragsreihe mit Neurologe und Magazin-Kolumnist Dr. Magnus Heier im studio dumont, Breite Straße 72

Termine:– Mittwoch, 30. Oktober, 19 Uhr: „Das emotionale Gehirn – über Angst, Hass und Liebe“– Dienstag, 5. November, 19 Uhr: „Das getäuschte Gehirn“– Dienstag, 12. November, 19 Uhr: „Das Gedächtnis“(Ein Update des allerersten Hirnwelten-Vortrags)

Tickets: 15 bzw. 13 Euro (Abocard) auf www.koelnticket.de

Die Mandelkerne sind etwas Besonderes. Auffallend ist ihre extrem gute Vernetzung mit anderen Hirnarealen. Die Informationen, die sie bekommen – etwa aus Augen, Ohren oder Mund – sind bis auf eine Ausnahme in anderen Arealen schon analysiert und bearbeitet worden. Und damit vom Verstand kontrolliert. Die auffällige Ausnahme: Gerüche. Die kommen ungefiltert direkt aus den Riechkolben der Nase. Entsprechend unmittelbar, emotional und unkontrollierbar reagieren wir auf Gerüche – auf Angstschweiß wie auf Brandgeruch oder erregendes Parfum. Die meisten Reaktionen werden bewusst gar nicht bemerkt. Ängstliche Menschen werden über den Schweiß unterbewusst demaskiert, auch wenn sie äußerlich beherrscht wirken. Was evolutionär gut ist. Denn die Angst des anderen zu bemerken, kann das eigene Leben retten.

Depressive Menschen riechen weniger als Gesunde

Dass Gerüche auf Emotionen wirken ist bekannt. Aber es geht auch umgekehrt: Depressive Menschen nehmen Gerüche erst mit höheren Konzentrationen wahr. Bei ihnen ist der Riechkolben sogar messbar kleiner als bei Gesunden! Wobei die Frage nach Ursache und Wirkung noch ungeklärt ist: Wird das Riechvermögen von der Depression unterdrückt – oder führt eine reduzierte Geruchswahrnehmung zu Depressionen? Ein Hinweis: Wenn der Riechkolben bei Ratten zerstört wird, entwickeln sie depressive Symptome. Und umgekehrt: Senioren, die regelmäßig angenehme Düfte schnuppern, fühlen sich später wohler. Riechen wirkt! Über den Mandelkern. Positiv wie negativ.

Angst kann töten

Die Erwartung des Todes kann töten. Legendär ist das Beispiel von Derek Adams. Er hatte an einer Medikamentenstudie teilgenommen, in der Antidepressiva getestet wurden. Im Laufe dieser Studie unternahm der 26-Jährige einen Suizidversuch – mit einer Überdosis aus den Resten seiner Studienmedikation. Adams wurde in die Notfallambulanz eingeliefert, behandelt – aber die Ärzte konnten ihn nicht stabilisieren. Schließlich gelang es ihnen, die Studie zu „entblinden“: Sie stellten fest, dass Adams zum Placeboarm der Studie gehörte. Das heißt, er hatte statt Tabletten mit Wirkstoff nur Placebos bekommen. Und er hatte versucht, sich mit diesen Placebos das Leben zu nehmen. Beinahe wäre es ihm gelungen: Er wäre nicht an dem nicht vorhandenen Wirkstoff gestorben, sondern an dem Glauben an dessen tödliche Wirkung.

Die Mandelkerne können sich sogar dauerhaft verändern: In einer Studie wurde nachgewiesen, dass Kinder aus unsicheren Familienverhältnissen noch im Erwachsenenalter messbar vergrößerte Angstzentren hatten. Jahrelange Angst führt offensichtlich zu dauerhaften, anatomischen Veränderungen. So wie Vokabeln oder Musikstücke erlernt werden, wird auch Angst erlernt. So wie Klavierspielen nach kurzer Zeit automatisiert, unterbewusst, abläuft, so wird auch die Angst nicht mehr vom Bewusstsein kontrolliert. Sie kann sich verselbstständigen und generalisieren. So wird etwa aus der Angst vor Spinnen eine Angst vor Wiesen, vor dem Garten, vor dem Verlassen des Hauses. Oder die Angst vor Auftritten vor Publikum steigert sich langsam in eine generalisierte Angst vor Personen.

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Das Gehirn kennt keine Löschtaste

Das Problem dabei: Zwar können wir bewusst lernen – aber schlecht aktiv vergessen. Das Gehirn kennt keine Löschtaste. Einmal erworbenes Wissen, Gefühle, Einschätzungen oder Fähigkeiten gehen nicht mehr verloren. Und das Gehirn kennt kein „nein“: Stellen Sie sich jetzt bitte keinen rosa Elefanten vor! Geht nicht. Ebenso wenig lassen sich angstbesetzte Erlebnisse einfach ausblenden. Wenn wir vergessen, vergessen wir durch Nichtbenutzung. Aktives Vergessen ist nicht vorgesehen. Aber Angst und andere Erfahrungen lassen sich überschreiben. Nicht durch Ignorieren, sondern durch Konfrontation. So können Angststörungen verhaltenstherapeutisch „verlernt werden“. Die Panikattacke dauert nur wenige Minuten. Danach ist der Körper entspannt – ein evolutionär sinnvolles Verhalten! Denn die akute Gefahrensituation dürfte sich mittlerweile geklärt haben: Entweder wurde man vom Mammut zertreten oder man war erfolgreich geflüchtet. Wenn die Panik nun aber vorbei ist und die ängstigende Situation ist noch da (Spinne, Höhe), dann lernt das Gehirn plötzlich, dass es gar kein Problem gibt. Denn objektiv ist alles gut! Der angstbesetzte Reiz koppelt sich an das Gefühl großer Entspannung. Angst ist verlernbar.

Wobei Angst auch schön sein kann: Der Thrill, am Fallschirm in die Tiefe zu stürzen – Sekunden später die Kontrolle wieder zu haben, ist die reine Lust. Hier werden beide Funktionen der Mandelkerne gleichzeitig aktiviert - Angst und Freude.