DepressionenReich und traurig?

Dr. Magnus Heier ist Neurologe und Wissenschaftsautor
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Wie oft soll, wie oft darf man Antidepressiva verschreiben? Für wen sind sie geeignet? Eine gerade veröffentlichte Studie beklagt den sehr häufigen Einsatz von Antidepressiva in den reichen Ländern. Der OECD-Gesundheitsreport untersucht Menschen in den 34 reichen OECD-Mitgliedsländern, vor allem in Europa und Nordamerika. Island führt die Liste an – dort würden etwa 106 Tagesdosen pro 1000 Einwohner verschrieben; statistisch würde also jeder neunte Isländer täglich ein Antidepressivum einnehmen. In Deutschland seien es 50 Tagesdosen pro 1000 Einwohner, was dem unteren Mittelfeld entspricht.
Klischees und Unterstellungen
Was die Wissenschaftler beunruhigt, ist die drastische Zunahme der Verschreibungen: Nehmen die Depressionen zu oder verschreiben die Ärzte zunehmend leichtfertig? Die Frage kann der Bericht nicht beantworten – vermutlich ist die Leichtfertigkeit mit dem Rezeptblock die Hauptursache.
Interessant ist ein anderer, gegenläufiger Aspekt: Häufig hört man das Klischee, dass Depressionen eine Krankheit der Reichen seien, dass Arme gleichsam „keine Zeit“ für eine Depression hätten. Und der OECD-Report mit seinen erstaunlich hohen Verschreibungszahlen von Antidepressiva in reichen Ländern scheint diesen Gedanken ja auch zu bestätigen.
Aber so ist es eben doch nicht: Eine andere weltweite Studie, in der es um die globalen Folgen depressiver Erkrankungen geht, zeigt erstaunlicherweise eben nicht die reichen, sondern einige arme Länder als besonders von Depressionen betroffen. Besonders fallen einige afrikanische Staaten, aber auch Afghanistan und Syrien auf – Länder also, deren Lebenssituation von Armut und Unsicherheit geprägt ist (die Zahlen wurden vor dem Krieg in Syrien erhoben). Auch Russland und einige Staaten in Mittel- und Südamerika haben problematische Zahlen. Umgekehrt weisen Europa, Nordamerika sowie China und Indien eher niedrige Raten auf. Am besten stehen Japan, Neuseeland und Australien da.
Depression ist eben doch keine Krankheit der Reichen. Damit ist auch die unterschwellige Unterstellung hinfällig, dass sie keine wirklich ernst zu nehmende Krankheit sei. Im Gegenteil: Häufig werden Depressionen viel zu spät erkannt und viel zu spät behandelt. Was nicht akzeptabel ist, denn vor allem eine schwere Depression lässt sich durch eine konsequente Behandlung meist zumindest lindern. Und noch eine gute Nachricht zum Schluss: Entgegen aller Klischees sieht es ganz so aus, als wenn Depressionen weltweit nicht zunehmen würden.