Der Kölner Chefarzt erzählt im Interview, was die Krankheit so komplex macht und warum der Leidensweg betroffener Frauen oft sehr langwierig ist.
Thomas Römer„Unsere jüngste Patientin war 13 mit einer schweren Endometriose“

Prof. Dr. Thomas Römer, Experte für Endometriose, Chefarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Evangelischen Klinikum Köln Weyertal.
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Endometriose betrifft in Deutschland geschätzt rund 2 Millionen Frauen, weltweit 10 bis 15 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter. Die Krankheit ist mit Schmerzen, körperlichen Einschränkungen und nicht selten einem langen Leidensweg verbunden. Prof. Dr. Thomas Römer ist Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe am Evangelischen Klinikum in Köln-Weyertal. Er leitet dort auch das Endometriosezentrum, mit rund 1200 Operationen pro Jahr das größte in Deutschland. Ein Interview.
Was verrät das Wort Endometriose über die Krankheit?
Endometriose kommt von Endometrium, was Gebärmutterschleimhaut bedeutet. Die Erkrankung besteht darin, dass sich Gebärmutterschleimhaut im Körper an Stellen festsetzt, wo sie nicht hingehört, also außerhalb der Gebärmutter. Die Erkrankung ist schon seit über 100 Jahren bekannt, die Ursache allerdings noch nicht. Das macht die Behandlung schwierig. Außerdem ist es eine chronische Erkrankung, die Frauen über Jahrzehnte begleitet. Da muss man einen guten Plan haben – der nicht nur aus Operationen besteht.
Was macht die Gebärmutterschleimhaut so besonders, dass sie an anderen Stellen im Körper solche Probleme verursacht?
Dass sie auf Hormone reagiert. Wenn die Schleimhaut in der Gebärmutter wächst, was bei jedem Menstruationszyklus passiert, wächst auch diese Schleimhaut außerhalb mit – und zwar besonders aggressiv. Das macht dann Schmerzen, auch wegen der Substanzen, die diese Schleimhaut absondert. Sie wächst auch in andere Organe hinein und macht dort den Zyklus mit, was ebenfalls Beschwerden hervorruft. Ein klassisches Beispiel: Die Schleimhaut wandert in die Blase. Dann blutet die Patientin alle vier Wochen aus der Blase.
Warum wird die Endometriose häufig erst spät erkannt?
Regelschmerzen von Frauen werden immer noch oft unterbewertet. Meine klassische Frage lautet immer: Wie oft müssen sie während der Regel Schmerzmittel nehmen? Wenn das regelmäßig geschieht, ist das hochpathologisch und sehr verdächtig.
Was können weitere Symptome sein neben starken Regelschmerzen?
Verstärkte Blutungen sind typisch. Oder es treten Schmerzen beim Wasserlassen auf, weil die Endometriose auf der Blase sitzt. Die Frauen berichten dann, immer wieder Blasenentzündungen zu haben, es sind aber nie Keime entdeckt worden, wie das bei einer bakteriellen Infektion der Fall ist. Wenn der Darm betroffen ist, können Frauen während der Regelblutung Probleme mit dem Darm bekommen, Schmerzen, Durchfälle oder auch Verstopfungen. Das vierte wichtige Symptom, das man gezielt erfragen muss, sind Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Denn die Endometriose setzt sich typischerweise auch am Ende der Scheide fest.
Gibt es Statistiken dazu, wie lange es dauert, dass eine Endometriose entdeckt wird?
In den deutschsprachigen Ländern sind das bis zu sieben Jahre von den ersten Symptomen bis zur Diagnose. Das hängt oft damit zusammen, dass die Frauen ihren Regelschmerz nicht ernst nehmen. Die sagen dann: Meine Mutter hatte das doch auch so schlimm. Dazu kommt, dass Ärzte die Krankheit nicht erkennen oder beschriebenen Symptome sogar auf eine psychosomatische Ebene gerückt werden. Ein Problem ist, dass vielen Betroffenen mit Regelschmerzen die Pille verschrieben wird. Die Pille unterdrückt dann zwar die Symptome, aber die Endometriose kann darunter weiterwachsen. Eine Scheintherapie.
Kann die Pille dann sogar nachteilig sein?
Genau. Man sollte darum bei starken Regelschmerzen immer an Endometriose denken, auch schon bei ganz jungen Mädchen. Unsere jüngste Patientin war 13 mit einer schweren Endometriose. Oft setzen die Frauen die Pille mit 30 Jahren die Pille ab, um schwanger zu werden und haben dann gleich zwei Probleme: Sie haben wieder deutlich stärkere Schmerzen und sie werden nicht schwanger. Wir finden dann oft sehr ausgeprägte Endometriose-Befunde, bei denen man deutlich früher aktiv hätte werden müssen.
Warum ist die Früherkennung so hilfreich?
Bei einem Befund am Eierstock kann ich den hormonell behandeln, solange er noch klein ist und muss kein Gewebe am Eierstock zerstören. Wenn die Endometriose in Blase und Darm oder andere Organe reinwächst, kann das beispielsweise zum Nierenstau führen. Je früher man es entdeckt, desto konservativer kann man behandeln, desto weniger Spätschäden hat die Patientin, desto kürzer ist der Leidensweg. Für den späteren Kinderwunsch ist das ebenfalls sehr wichtig.
Lässt sich die Krankheit heute besser diagnostizieren als früher?
Zum Glück ja. In den letzten zehn Jahren haben wir bessere bildgebende Verfahren bekommen, es braucht heute nicht unbedingt mehr eine Bauchspiegelung. Auch das Verständnis für die Erkrankung hat sich gebessert. Wir haben in Deutschland sehr gute Strukturen auch im internationalen Vergleich mit den zertifizierten Endometriose-Zentren. Es gibt ein gutes Netz an Selbsthilfegruppen. Sogar die Politik hat erkannt, dass die Krankheit bedeutsam ist, nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen, weil so viele erkrankte Frauen im Beruf ausfallen.
Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass eine Krankheit, die so viele Männer betreffen würde, deutlich besser erforscht und mit deutlich mehr Zentren ausgestattet wäre?
Der Vorwurf war berechtigt. Inzwischen hat sich die Situation verbessert. Wobei neben den Exzellenzzentren die Basisversorgung im niedergelassenen Bereich noch verbessert werden kann. Da wäre die Politik gefordert. Eine Endometriose-Patientin zu behandeln, ist zeitaufwendig, das müsste sich für die Praxen auch in der Vergütung abbilden. Darum werden die Endometriose-Zentren oft überrannt von Patientinnen, die man eigentlich gut in der Praxis behandeln könnte. Dadurch fehlt uns wiederum die Zeit für die wirklich schweren Fälle. Wir haben teilweise Wartezeiten bis zu neun Monaten. Neun Monate zusätzliche Schmerzen, das ist einfach zu lang.
Endometriose kann das Leben von Frauen wirklich massiv beeinträchtigen. Was sind besonders schwere Formen der Erkrankung?
Die Spannbreite ist wirklich riesig. Ich habe kürzlich eine Patientin operiert, die hatte schon 13 Bauchspiegelungen und einen sehr langen Leidensweg hinter sich. Es gibt diese Endometriosen, die richtig in die Blase reinwachsen, wo man Stücke der Blasenwand entfernen oder einen Harnleiter neu einpflanzen muss. Im Extremfall ist auch mal ein künstlicher Darmausgang erforderlich. Auch die chronischen Schmerzen sind ein großes Thema. Das geht bis zu einer Schwerbehinderung dieser Frauen, die oft nur schwer anerkannt wird, weil es eben keine Krebserkrankung ist. Dabei haben aus meiner Erfahrung manche Endometriose-Patientinnen einen genau so hohen Leidensdruck wie Krebspatientinnen. Und manchmal gelingt es trotz aller Bemühungen nicht, betroffene Frauen wieder schmerzfrei zu kriegen.
Wie oft sind Frauen psychisch durch die Erkrankung belastet?
Ich erlebe immer wieder, dass ich Patientinnen nach einer Operation erkläre, dass wir eine Endometriose gefunden haben, und die Antwort ist dann: Gott sei Dank, endlich habe ich eine Diagnose. Bei welcher Krankheit gibt es das sonst? Oft haben die Frauen vorher gehört, dass ihr Leiden wohl eher psychisch ist oder sie sich ziemlich anstellen. Da hilft die Diagnose enorm.
Endometriose ist im Vergleich zu anderen häufigen Erkrankungen immer noch vergleichsweise unbekannt? Liegt das immer noch am Tabu? Man möchte auf der Arbeit eben nicht über Regelschmerzen sprechen.
Früher war das so. Aber in den vergangenen zehn Jahren hat sich sehr viel getan, weil die Krankheit immer mehr in die Öffentlichkeit geraten ist. Auch die Selbsthilfegruppen sind da sehr aktiv. In den letzten zehn Jahren hat das nochmal Schub bekommen.
Dr. Google ist bei Ärzten in der Regel nicht sehr beliebt. Wie geht Ihnen das?
Man muss ein bisschen aufpassen, dass es nicht zu einer Überdiagnostik kommt: Nicht jeder Regelschmerz ist auch eine Endometriose. Aber das eigentliche Problem ist immer noch die Unterdiagnostik, da kann Dr. Google den Frauen viele hilfreiche Informationen geben. Nur, wenn es um Hormone geht, muss man aufpassen: Im Internet schreiben natürlich vor allem die Frauen, die mit einer Hormonbehandlung Probleme hatten, ihre Berichte. Das kann das Bild verzerren, weil Hormone für so viele der Erkrankten ein Segen sind. Hormone werden insgesamt immer noch sehr negativ gesehen, obwohl es sich um eine Vielzahl von Substanzen handelt, die sehr unterschiedlich zu bewerten und einzuordnen sind.
Lässt sich eine Operation vermeiden, wenn die Endometriose früh genug entdeckt wird?
Das ist die Hoffnung, ja. Patientinnen, die zwölf Bauchspiegelungen über sich ergehen lassen müssen, das darf es nicht mehr geben. Wenn man operiert, sollte man nur einmal operieren müssen durch den richtigen Operateur am richtigen Ort.
Kommen Patientinnen auch von weit außerhalb Kölns zu Ihnen?
Ja, sehr viele kommen überregional, oder auch aus anderen Ländern, wo es eine Unterversorgung gibt. Diese Frauen kommen oft mit einer langen Vorgeschichte.