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Kommentar

Gesundheitsversorgung
Solidarität führt zu Unmut, wenn nicht alle ihren Beitrag leisten müssen

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ARCHIV - 25.06.2019, Mecklenburg-Vorpommern, Hohen Wangelin: Stärkere Leistungen als bei der gesetzlichen Krankenversicherung gewünscht? Dann ist der Standardtarif der privaten Krankenkassen eher keine Option - denn die Leistungen ähneln denen der gesetzlichen Tarife. (zu dpa: «Beiträge für Private Krankenversicherung steigen kräftig») Foto: Jens Büttner/dpa/dpa-tmn +++ dpa-Bildfunk +++

Gesetzlich Versicherte klagen über lange Wartezeiten, wenn sie einen Facharzt konsultieren wollen.

Gesetzlich Versicherte fühlen sich schlechter behandelt als Privatversicherte. Um das Solidarsystem zu stärken bedarf es zweierlei: Die Starken müssen mehr tragen, alle zusammen müssen sparsam sein.

Wer einmal von seinen Kindern verlangt hat, das Käsebrötchen mit den hungrigen Geschwistern zu teilen, der weiß: Auf Willigkeit ist nur dann zu hoffen, wenn auch der große Bruder bei anderer Gelegenheit dazu aufgefordert wird. Solidarität ist eine Tugend, sie führt aber zu Unmut, wenn nicht alle ihren Beitrag leisten müssen.

Beim Solidarsystem der gesetzlichen Krankenkassen funktionierte das Jahrzehnte lang weitgehend geräuschlos. Niemand würde sich darüber aufregen, dass von seinen Beiträgen die Nachbarin eine neue Hüfte bekommen hat. Wenn sich die Leistungen für die Solidargemeinschaft aber verschlechtern, die längeren Wartezeiten jedoch nur diejenige ertragen müssen, die sich die Premiumversorgung nicht leisten können, die stärksten Schultern aber wiederum gar nicht beim Tragen aller helfen, dann gerät die Angelegenheit in Schieflage.

Das deutsche Gesundheitssystem bedarf vieler Reformen. Eine davon muss sein: Wer ein gerechtes System will, das auch in Zukunft jedem einzelnen die medizinisch beste Versorgung gewähren kann, der braucht die Unterstützung von allen. Auch neu eingestellte Beamte müssen diesem Grundsatz zu Folge deshalb künftig in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen werden. Die Bertelsmann-Stiftung hat ausgerechnet, dass das pro Jahr zu 15 Milliarden Mehreinnahmen seitens der Kassen führen würde, während die Kosten im Gegenzug lediglich um zwölf Milliarden stiegen. Und auch Angestellte, die besonders gut verdienen, müssen mehr in die Verantwortung genommen werden. Durch die Beitragsbemessungsgrenze steuern sie derzeit absurderweise einen geringeren Anteil ihres Gehalts zum Gesundheitssystem bei als Durchschnittsverdiener.

Die Solidarität in härter werdenden Zeiten verlangt aber auch Mäßigung von jedem einzelnen Versicherten. In der Disziplin Praxisbesuche belegt Deutschland mit durchschnittlich knapp zehn im Jahr einen europäischen Spitzenplatz. Im Vergleich zu den Schweden erreichen wir damit den vierfachen Wert. Nicht jede planbare, nicht akute Untersuchung muss innerhalb von zwei Wochen stattfinden. Für viele leichte Erkrankungen sind zwei Tage Bettruhe mit Tee hilfreicher als ein teurer Arztbesuch. Ein solidarisches System verlangt Sparsamkeit – auch gegenüber künftigen Generationen, die auch weiter davon profitieren sollen.