Mehr als jeder Zweite sieht lange Wartezeiten als größtes Problem in der Gesundheitsversorgung. Nur gut jeder Dritte fühlt sich gut oder sehr gut versorgt.
GesundheitsversorgungNordrhein-Westfalen müssen wegen fehlender Termine oft auf Arztbesuche verzichten

Stethoskop und ein Kalender. Arzttermin und Dienst im Krankenhaus. McPBBO McPBBO Stethoscope and a Calendar Doctor appointment and Service in Hospital
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Der Hautarzt muss als schlechtes Beispiel herhalten, genauso wie der Orthopäde. Beim Gynäkologen sieht es nicht viel besser aus. Wer als Kassenpatient versucht, einen Facharzttermin zu buchen, der hält nur durch, wenn er an einem sehr anhaltenden Leiden laboriert oder wirklich dringend die Krebsvorsorge einhalten will. Es gibt auf jeden Fall Ausschläge oder Rückenschmerzen, die bis zum ergatterten Termin den Selbstheilungskräften erlegen sind. Sucht man in Köln heute einen Hautarzttermin auf Doctolib, dann klappt das innerhalb der nächsten sechs Wochen nur dann, wenn man bereit ist, eine kostenpflichtige Hautbehandlung mitzubuchen.
Mehr als jeder Zweite gesetzlich Versicherte in Deutschland beklagt die lange Wartezeit als größte Hürde in der medizinischen Versorgung, bei den Privatversicherten sieht nur einer von vier dieses Problem, während jeder Dritte keinerlei Hürden erlebt. Zu diesem Ergebnis kommt die YouGov-Umfrage „Gesundheitsversorgung im Check“ im Auftrag der Teleclinic. Nur 37 Prozent aller Befragten gaben an, die medizinische Versorgung in der Region, in der sie wohnen, als gut oder sehr gut bezeichnen zu können. Jeder Dritte musste im vergangenen Jahr gar auf einen oder mehrere Arztbesuche verzichten, weil eben kein Termin zu ergattern war.
In Bayern fühlt sich fast jeder Zweite gut oder sehr gut versorgt
Wer die Zahlen für das Bundesland Nordrhein-Westfalen gesondert betrachtet, sieht nur wenige Abweichungen. Im Vergleich zu den Bundesländern in Ostdeutschland scheint man etwas besser versorgt zu sein. Während sich in NRW 37 Prozent gut oder sehr gut versorgt fühlen, ist das in Mecklenburg-Vorpommern mit 23 Prozent bei nicht einmal jedem Vierten der Fall. Fast vier von zehn Terminsuchenden mussten im Nordosten auf einen Besuch beim Arzt verzichten, weil sie keinen passenden Termin in angemessener Zeit finden konnten. Deutlich besser bewertet wird die örtliche medizinische Versorgung von den Bayern. Dort ist fast jeder Zweite der Meinung, diese sei gut oder sehr gut.
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Der Anteil der gesetzlich Versicherten, die vier Wochen oder länger auf einen Termin warten, liegt mit 25 Prozent deutlich höher als der der Privatversicherten.
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Eine Rolle bei der Terminfindung spielt der Umfrage zufolge auch die Möglichkeit, flexibel über Zeit verfügen zu können. So liegt die Rate der Rentner, die mindestens einmal auf einen Arztbesuch verzichten mussten, weil kein Termin zu bekommen war, bei niedrigen 30 Prozent. Bei Patienten mit einem minderjährigen Kind sind es mit 42 Prozent deutlich mehr, die nicht immer einen Arzt in Anspruch nehmen konnten. Außerdem sind Frauen vom Problem, mindestens einmal binnen zwölf Monaten keinen Arzttermin bekommen zu haben, häufiger betroffen als Männer (42 Prozent zu 30 Prozent).
Erfreulich aus NRW-Sicht ist, dass ein Mangel an Ärztinnen und Ärzten unterdurchschnittlich oft beklagt wird. So kritisieren das nur 31 Prozent aller Nordrhein-Westfalen, während das in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mehr als jeder Zweite moniert, auch deutschlandweit sind es 40 Prozent im Schnitt. Größtes Problem in NRW dagegen: die langen Wartezeiten. Hier liegt man mit 57 Prozent sogar noch über dem Bundesdurchschnitt von 54 Prozent.
Das NRW-Gesundheitsministerium kritisiert die schlechtere Lage der Kassenpatienten und weist auf Anfrage darauf hin, dass sich die Terminvergabe am objektiven medizinischen Bedarf der Patienten orientieren müsse. „Der Versicherungsstatus darf dabei keine Rolle spielen.“ Wie Termine außerhalb der vertragsärztlichen Sprechstunden vergeben würden, liege aber in der Verantwortung der Praxis. „Inwieweit es in diesem Bereich rechtliche Anpassungen geben kann, muss der Bund abschließend prüfen.“ Erzürnt über die langen Wartezeiten ihrer Versicherten ist man bei der AOK Rheinland/Hamburg. Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kasse, bezeichnet die „Benachteiligung von GKV-Versicherten bei der Terminvergabe“ auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ als „nicht akzeptabel“.
Fachärzte sind bei der Abrechnung von Kassenpatienten gedeckelt
Dabei liegt der Grund für die terminliche Ungleichbehandlung banalerweise am Geld - und zwar an der laut Ärzten zu kleinen Summe, die die Kassen für ihre Versicherten beisteuern. Wer als Facharzt gesetzlich versicherte Patienten behandelt, rechnet das über einen Pauschalbetrag ab, der sogenannten Budgetierung. Hier ist gesetzlich festgelegt, wie viel Geld der Arzt pro Quartal ausgeben darf. Der Topf für Kassenpatienten ist also gedeckelt, während der Arzt für Privatpatienten die tatsächlichen Kosten abrechnen kann. Für Ärzte lohnt sich die Behandlung von Privatpatienten deshalb mehr. Mitunter planen niedergelassene Ärzte mit einer Mischkalkulation, weil die Budgetierung durch die Krankenkassen allein die Kosten kaum deckt. „Schon heute arbeiten sehr viele Niedergelassene mehr als sie vergütet bekommen“, schreibt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) auf Anfrage dieser Zeitung. Man hat das bei der KVNO auch ausgerechnet und kommt auf knapp 90 Prozent der tatsächlichen Kosten für Fachärzte. Damit stehe man um fünf Prozent schlechter da als der Bundesdurchschnitt. Über einen Zeitraum von acht Jahren entstünde so ein Finanzierungsnachteil der ambulanten Versorgung in Nordrhein von 140 Millionen Euro. Das fehlende Geld wollen die Kassenärzte durch eine Endbudgetierung wieder reinholen, wie die Politik sie für die Hausärzte schon umgesetzt hat. „Wenn die Politik hier Anreize für Mehrarbeit schaffen möchte, dann muss auch die Finanzierung geklärt sein.“
Die Kassen, die die höheren Rechnungen bezahlen müssten, sind hier wenig überraschend anderer Meinung. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sieht eine Endbudgetierung höchstens „in unterversorgten Bereichen“ für sinnvoll. Und natürlich würden steigende Kosten unweigerlich Beitragserhöhungen für all jene nach sich ziehen, die sich ohnehin schon als Patienten zweiter Klasse sehen. „Der schlechtere Zugang zur Versorgung bei stetig steigenden Beiträgen wirkt bereits heute destabilisierend auf unser politisches System“, sagt Mohrmann von der AOK Rheinland/Hamburg. Und bereitet seine Versicherten deshalb im Gegenteil darauf vor, dass die Decke in Zukunft noch ein Stück kürzer werden könnte. „Um eine Begrenzung der Leistungsausgaben werden wir daher zumindest kurzfristig nicht herumkommen, will man die Lohnnebenkosten international konkurrenzfähig halten.“
Kassen und Ärzte plädieren für Sparsamkeit seitens der Patienten
Also noch längere Wartezeiten für Kassenpatienten? Das wünscht sich Mohrmann freilich nicht und plädiert für Sparsamkeit in der Nutzung. Und in dieser Mahnung trifft man sich dann wieder mit den Kassenärzten, die auch Patientinnen und Patienten zu etwas Mäßigung beim Arztbesuch aufrufen, denn: „Die in vielen Fällen ungesteuerte Inanspruchnahme ärztlicher Kapazitäten“ sei „oftmals kontraproduktiv, weil medizinisch gar nicht notwendig“. Dies schlage sich auch in einer stetig steigenden Zahl an Behandlungsfällen nieder. Allein im Bereich Nordrhein sei diese innerhalb von zehn Jahren um fünf Millionen auf 72 Millionen im Jahr gestiegen.
Weitere gesetzliche Regelungen werden gefordert
Eine bessere Verteilung über die Nummer 116117 könnte da Abhilfe schaffen. Der Gesetzgeber plant, diese kassenärztliche Servicehotline durch eine verbindliche und strukturierte medizinische Ersteinschätzung gesundheitlicher Probleme vor der Weitervermittlung des Patienten in die richtige Versorgung zu ergänzen. Von Seiten der Kassenärzte begrüßt man das.
Auf die Wichtigkeit eines verbindlichen Wegweisers durch den Spezialisten-Dschungel weist auch Mohrmann hin. Hier warte man seit geraumer Zeit darauf, dass der Gesetzgeber noch stärker regelnd eingreift: „Die Regierungskoalition hat die Umsetzung entsprechender Steuerungsmaßnahmen in ihre Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Nun muss es an die Umsetzung gehen.“ Auch das NRW-Gesundheitsministerium sieht Reformbedarf in der ambulanten Versorgung. Vor einem guten Jahr habe man gemeinsam mit allen Akteuren des Gesundheitswesens dazu Praxisorganisation, Patientennavigation, Digitalisierung und Bürokratieabbau unter die Lupe genommen. Nun stehe man mit dem Bund bei der Frage nach der Einführung eines Primärarztsystems in Kontakt, hiervon erhofft sich das NRW-Ministerium „einen Baustein, um Kapazitäten zu schaffen und Patientinnen und Patienten zu steuern“.
Auch die Technik könne helfen, Zeitverlust durch bürokratische Aufwände in der Praxis zu reduzieren und Wartezeiten zu verringern. Stichwort Digitalisierung. Schließlich sollen der Arzt und die Ärztin weniger über Abrechnungsziffern und Dokumentationen sitzen, sondern sich vielmehr hauptsächlich der Untersuchung ihrer Patienten widmen. Und auch die Medizinischen Fachangestellten sollen hier weniger mit aufwändiger Terminbuchung beschäftigt sein, als vielmehr entsprechend geschult den Arzt bei der „Medikationskontrolle oder Beratungsgesprächen“ entlasten. Die Kassenärzte setzen außerdem auf zeitsparende Videosprechstunden als Alternativen zu Kontrolluntersuchungen in der Praxis.
Hier schlummert die Hoffnung gerade für NRW. Denn was die Digital-Affinität betrifft, sind NRW-Patienten laut Yougov-Umfrage im Schnitt immerhin etwas moderner als die in vielen anderen Bundesländern. So ist man hierzulande Spitzenreiter bei der Nutzung des e-Rezepts (51 Prozent). Aber auch bei der digitalen Terminbuchung (40 zu 37 Prozent) sowie der Nutzung von Gesundheits-Apps (16 zu 13 Prozent) liegt man über dem Bundesdurchschnitt. Lediglich diejenigen, die in den letzten zwölf Monaten eine Videosprechstunde ausprobiert haben, sind in der Mehrheit in anderen Bundesländern zu Hause. Die meisten mit acht Prozent in Bayern (NRW: drei Prozent).

