Hilfe bei Depression„Die Krankheit hat eine Logik“

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Ein Mann steht auf dein Steg am See.

Ein Mann steht auf dein Steg am See.

Frau Langebartels, Sie haben Diplom-Psychologen 40 Intensivinterviews mit Menschen führen lassen, die unter depressiven Verstimmungen oder Depressionen leiden. Was hat Sie bei der Analyse des Materials am meisten überrascht?

Das war die Beobachtung, dass Depression offenbar für Betroffene eine Lösung sein kann, mit überhöhten Anforderungen umzugehen. Auf den ersten Blick scheinen die typischen Symptome – Traurigkeit, das Gefühl, sich stillgelegt zu fühlen – ja nicht in unsere Kultur mit ihrem „höher, schneller, weiter“ zu passen. Wir hatten deshalb erwartet, die Probanden würden sich nur beklagen. Aber das war nicht so. Es waren sehr agile Menschen dabei, die enorm hohe Ansprüche an ihr Leben haben. Das war etwas, das uns fasziniert hat: Die geheime Logik, die sich langsam hinter der Depression herausgeschält hat.

"Die geheime Logik der Depression" heißt die Studie, die das Kölner Marktforschungsinstitut Rheingold im Auftrag des Naturmedizinhersteller Pascoe erstellt hat. Nachzulesen ist sie unter: www.rheingold-marktforschung.de

Wie sieht diese Logik aus?

Alle Patienten berichteten von den hohen Ansprüchen an sich selbst. Überhöhte Ansprüche sind ja geradezu kennzeichnend für unsere Kultur. Man kann sie aber unmöglich alle erfüllen. Menschen, die zu depressiven Störungen neigen, nehmen diese Einschränkungen persönlich. Kritik, ein Rückschlag oder ein schmerzlicher Verlust lässt sie ins Bodenlose fallen. Sie überdenken ihre Ansprüche nicht etwa, sondern werden still und inaktiv.

Wie Sie sagen: Hohe Ansprüche an sich selbst anzulegen ist in unserer Kultur weit verbreitet. Warum werden wir nicht alle depressiv?

Birgit Langebartels ist Diplom-Psychologin und Projektleiterin im Marktforschungs-Institut Rheingold.

Dass man mit diesen überhöhten Ansprüchen unweigerlich an Grenzen kommt, kennt jeder aus eigener Erfahrung. Wie man damit aber umgeht, hängt mit vielen Dingen zusammen, zum Beispiel mit Erfahrungen aus der frühen Kindheit oder mit welchen Ansprüchen man aufgewachsen ist. Einschränkungen, die das Leben per se mit sich bringt, werden von Menschen, die zu Depressionen neigen, als schwarzes Loch empfunden. Ein gesunder Umgang wäre aber, die Einschränkungen einzeln zu bedenken: Wo haben ich eine falsche Vorstellung von mir selbst? Wo muss ich mich von einem Selbstbild verabschieden?

Sie schildern in Ihrer Studie ein scheinbares Paradox: Menschen mit Depression seien gerade deshalb traurig, weil sie unfähig sind, zu trauern. Wie meinen Sie das?

Diese Menschen sind unfähig, sich von überhöhten Lebensbildern zu verabschieden und diesen Abschied zu betrauern. Stattdessen legen sie sich still. Aber dieser Rückzug passiert nicht aus eigenem Antrieb, sondern unbewusst. Deshalb hilft es auch nicht, einem Depressiven zu sagen: Gib dir mal einen Ruck!

Aber kann diese Binnenstruktur allein die Krankheit erklären? Was ist mit genetischen Gründen oder Veränderungen der Hirnchemie?

Ich glaube, dass die Binnenstruktur der Erkrankung immer gleich ist – egal, ob es nun genetische Gründe für die Erkrankung gibt oder andere. Was hilft einem Betroffenen die Erkenntnis, dass seine Synapsen im Gehirn sich anders verschalten als bei Gesunden? Betrachte ich dagegen das persönliche Erleben, kann ich Punkte finden, an denen ich ansetzen kann.

Leichtere seelische Verstimmungen vergehen mit der Zeit, meist nach ein, zwei Wochen. Wer den Verdacht hat, unter einer echten Depression zu leiden, sollte sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein erster Schritt kann ein psychologischer Selbsttest sein, zu finden unter: http://goo.gl/Xp6Kc

Hilfe bietet auch die Deutsche Stiftung Depressionshilfe. Deren Info-Telefon ist montags, dienstags und donnerstags von 13 bis 17 Uhr, mittwochs und freitags von 8.30-12.30 Uhr zu erreichen: 0800/33 44 533 www.deutsche-depressionshilfe.de

Adressen von Psychotherapeuten in der Region findet man unter www.psychotherapiesuche.de

Auch in einer psychischen Krise kann man die 112 anrufen. Erreichbar ist auch die Telefonseelsorge: 0800/111 0 - 111 (oder - 222)

Aber Sie verdammen jetzt nicht Psychopharmaka?

Natürlich nicht! Schon um einen drohenden Suizid abzuwenden, ist es oft wichtig, dass flankierend Medikamente genommen werden. Aber wir haben in unserer Studie bewusst nur Patienten untersucht, die keine Antidepressiva nehmen, um auch die leichte Form der Depression in den Blick zu bekommen. Dabei sind auch kulturpsychologische Phänomene deutlich geworden: etwa, dass die Depression als ebenso kunst- wie leidvoller Lösungsversuch gesehen werden kann, um mit überhöhten Ansprüchen zurechtzukommen.

Sie sagen es: leidvoll. Wie versuchen die Betroffenen denn mit den Symptomen umzugehen?

Viele versuchen lange, sich selbst zu helfen: Sie befragen Dr. Google oder fragen in der Apotheke nach Medikamenten gegen Schlafprobleme oder Unruhe. Sich jemandem anzuvertrauen fällt vielen schwer. Dafür fehlt es auch an Vorbildern.

Der Fall Robert Enke ...

.. ist ein trauriges Beispiel dafür, wie unsere Kultur mit der Krankheit umgeht. Der Torhüter, der 2009 Suizid begangen hat, hat ja – salopp gesagt – einen Staatsakt bekommen, weil er eine Depression hatte, aber nicht darüber geredet hat. Heute ist es vielleicht einfacher, die Krankheit zu benennen. Wie sie sich aber anfühlt, darüber wird meist geschwiegen.

Das verstehe ich nicht: Depression ist doch als Erkrankung allgemein anerkannt. Warum sollte es immer noch Tabu sein, darüber zu reden?

Weil man dafür Abschied nehmen muss von dem hehren Bild, das man von sich hat. Das ist ja das, was die Betroffenen am meisten fürchten: Sie empfinden nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip: Entweder genüge ich allen Ansprüchen – oder ich bin nichts wert.

Welche Warnzeichen können Betroffene und Angehörige schon früh wachrütteln?

Frühe Warnzeichen sind etwa die Stilllegungen und das Gleichgültig-Werden. Auch Gedankenkreisen ist ein Symptom.

Was kann man tun, wenn man bemerkt, dass man selbst unter überhöhten Ansprüchen leidet?

Hilfreich wäre: kleine Schritte vereinbaren, den Alltag wieder priorisieren. Sich klar zu machen: Ich schaffe nicht alles, aber heute kann ich das und das schaffen. Prophylaktisch ist es auch gut, Dehnungsfugen in den Alltag einzubauen.

Dehnungsfugen?

Wie Holz, das sich ausdehnt. Eine Dehnungsfuge könnte der Kaffee am Morgen sein. Oder andere Zeiten, in denen Selbstreflexion stattfinden kann. Die besinnungslose Betriebsamkeit, in der wir meist leben, führt dazu, dass Probleme ausgeblendet werden.

Aber bei Verdacht auf Depression sollte man schon zu Arzt gehen?

Auf jeden Fall. Alles andere hieße, die Krankheit zu verharmlosen.

Das Gespräch führte Michael Aust

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