Hüftprothesen"Folgeschäden so nicht vorhersehbar"

Problembereich Hüftgelenk: Verschiedene Prothesenvarianten können hier zum Einsatz kommen.
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Köln – Herr Professor Karbowski, die Metall-auf-Metall-Prothese, quasi der Jaguar unter den Hüftprothesen, ist heftig umstritten. Warum?
Alfred Karbowski: Problematisch ist, dass bei dieser Hüftprothese Abrieb entsteht, da Metall auf Metall trifft. Diese Abriebmenge ist bei der Kappenprothese, die auch als Oberflächenersatzprothese bezeichnet wird, weitaus größer und problematischer als bei herkömmlichen Prothesen, bei denen beispielsweise Keramik auf Kunststoff trifft.
Warum hat man diese Prothesen überhaupt eingesetzt und was macht sie so begehrt?
Karbowski: Normalerweise wird bei Hüftprothesen der Oberschenkelkopf entfernt und der Markknochen ausgefräst. Das ist ein schwerer Eingriff in die Knochensubstanz. Beim Oberflächenersatz, der von McMinn auf den Weg gebracht wurde, wird der Hüftkopf nicht geopfert. Er wird so bearbeitet, dass passgenau eine Kappe aus Metall aufgesetzt werden kann. Die künstliche Hüftpfanne, ebenfalls mit einer Metall-Gleitfläche, wird zementfrei eingesetzt. Das Verfahren ist zu vergleichen mit der Überkronung eines Zahnes und dadurch natürlich erheblich knochensparender am Oberschenkel als Standard-Prothesen. Und vor allem wird die Anatomie des Gelenks fast maßstabgetreu beibehalten oder rekonstruiert.
Was ist problematisch an diesem Abrieb?
Karbowski: Diese Metallpartikel dringen ins Gewebe und in die Gelenkschleimhäute ein und können Wucherungen verursachen, also Tumore, die aber gutartig sind. Sie können im Extremfall kindskopfgroß werden.
Wann setzt der Abrieb-Prozess ein?
Karbowski: Das kann in manchen Fällen schon direkt nach der Operation beginnen oder aber Jahre später. Der Abrieb kann die Knochen angreifen und Knochenschwund verursachen. Die Muskulatur kann geschädigt werden. Die Prothese kann sich lockern.
Woraus besteht dieser Abrieb?
Karbowski: Die Metallpartikel enthalten unter andern Kobalt und Chrom, das in die Blutbahn gelangen und zu Nieren- und Leberschäden führen kann. Nickelallergien können zudem hervorgerufen werden. Man weiß übrigens noch nicht, ob dieser Abrieb auch zu Krebs führen kann. Bei Frauen im gebärfähigen Alter dürfen diese Prothesen überhaupt nicht eingesetzt werden.
Und das hat man nicht gewusst, als mit dem Einsatz dieser Prothesen begonnen wurde?
Karbowski: Die Folgeschäden waren so nicht vorhersehbar, da die bisherigen Testverfahren eine Überprüfung der Wirkung auf den menschlichen Körper nicht beinhalten. Es gibt bei Prothesen keine vergleichbar verbindlichen Zulassungsverfahren wie beispielsweise bei Arzneimitteln.
Wem werden und wurden diese speziellen Prothesen eingesetzt?
Karbowski: Die Metall-auf-Metall-Lösung ist eine sehr teure Angelegenheit. Häufig ist ein Zuzahlungsmodell erforderlich, um eine solche Prothese zu erhalten. Manche Kliniken haben dies gern Privatpatienten angeboten, vor allem jüngeren Männern.
Wann und wo traten die ersten verdächtigen Symptome auf?
Karbowski: In Großbritannien und Australien sind die gravierenden Probleme beim Oberflächenersatz aufgefallen. Dann schwappten diese Erkenntnisse zu uns rüber. Immerhin ist Deutschland innerhalb Europas der größte Hüftendoprothesen-Markt. Bei uns kommen bundesweit 151 Prothesen auf jeweils 100 000 AOK-Versicherte. Köln liegt bei der Zahl der Hüftprothesen genau in der Mitte. Führend sind die Voralpenregionen, weil dort sehr viele Senioren leben. Dort kommen mittlerweile 280 Prothesen auf 100 000 Einwohner. Zur Zeit gibt es keine Wartelisten mehr für Hüftprothesen, sondern eher einen Verdrängungsmarkt. Kliniken und Ärzte bemühen sich intensiv um Patienten.
Prothesen müssen doch eine Prüfung und Zertifizierung durchlaufen, bevor sie eingebaut werden können. War das beim Oberflächenersatz nicht der Fall?
Karbowski: Die Zertifizierung neuer Formen von Hüftprothesen ist ein leicht zu durchlaufender Kontrollmechanismus. Es sollte aber eingehend und lange genug geprüft und kontrolliert werden, bevor neue Systeme zugelassen werden – mindestens fünf Jahre.
Wo kann ich mich als Patient schlau machen, welche Systeme sich in der Hüftprothetik bewährt haben?
Karbowski: Im Schwedenregister beispielsweise. Das ist ein Register, das die nordischen Länder führen. Dort werden die Prothesen bewertet. Grundlage sind individuelle Patientendaten und die verwendeten Prothesenmodelle. So ein Register gibt es in Deutschland bedauerlicherweise immer noch nicht.
Sind für Sie die Oberflächenersatz-Prothesen aufgrund der negativen Erfahrungen tabu?
Karbowski: Für mich persönlich ja. Man sollte sie nur noch einsetzen, wenn man vorher Patienten eingehend darüber aufklärt, welche Probleme auftreten können. Der Patient sollte jährlich und das fünf Jahre lang regelmäßig zur Blut-Untersuchung und zum Röntgen kommen. Dies gilt auch für die Betroffenen, die bereits eine derartige Oberflächenersatzprothese erhalten haben.
Weshalb denn zur Blutuntersuchung?
Karbowski: Weil die Ionenwerte bestimmter Metalle im Blut überprüft werden müssen. Ab einer bestimmten Größenordnung dieser Ionenwerte sollte man allerdings ernsthaft überlegen, die Prothese auszubauen.
Kann diese Blutuntersuchung auch der Hausarzt vornehmen?
Karbowksi: Bei der Ionenbestimmung muss mit einer bestimmten Spritze das Blut entnommen und in einem speziellen Behältnis gelagert werden, sonst werden die Werte verfälscht. Das muss bedacht werden.
Welche Prothese würden Sie sich einsetzen lassen?
Karbowski: Die klassische Hüftprothese mit einem Stiel im Oberschenkelknochen, einem Keramikkopf, einer Polyethylen-Schale und einer Pressfit-Pfanne.
Werden vorrangig bei Männern Hüftprothesen eingesetzt?
Karbowski: Nein, 70 Prozent der Patienten sind Frauen. Der Grund ist: Sie werden älter als Männer. Prothesen bei Frauen einzusetzen ist leichter, da sie weicheres Gewebe haben. Bei Männern ist das harte Arbeit, weil unter anderem die Knochen stärker sind und das Gewebe straffer.
Was kann man vorbeugend tun, um seine Hüften zu schonen und eine Hüftprothese möglichst langfristig zu vermeiden?
Karbowski: Zum Beispiel sollte man tunlichst keinen Marathon laufen. Marathon ist für die Hüfte Mord. Fünf bis zehn Kilometer laufen, das ist tolerabel. Noch besser ist Nordic Walking. Auch Sportarten wie Squash dienen nicht der Gesunderhaltung der Hüfte.
Das Gespräch führte Marie-Anne Schlolaut