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Kommentar zur Corona-PandemieFormulieren von Schreckensszenarien hält kein Mensch aus

4 min
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Eine Person mit Mund-Nasen-Schutz. (Symbolbild)

  1. Frank Nägele ist Redakteur im Sport-Ressort des „Kölner Stadt-Anzeiger“. In seiner Kolumne „Durch meine Brille“ spricht er über alles, was (ihm) im Leben wichtig ist.
  2. Wer nach fast acht Monaten im Corona-Ausnahmezustand nicht verstanden hat, wie ernst die Angelegenheit ist, dem sind auch diese täglichen, beschwörenden Appelle aus Parteizentralen oder Regierungsgremien keine Hilfe.
  3. Eine Krise ist immer Politik. Politik ist immer Wahlkampf. Alle wollen immer ihre Beliebtheit steigern. Das bestimmt den Ton. Deswegen fordert Nägele: Es ist Zeit für eine andere Sprache!

Köln – Ich bin der Meinung, dass wir für den Umgang mit Corona eine neue Sprache brauchen. Aus der Todesseuche des Frühjahrs, die etwas Außerirdisches hatte, ist eine Pandemie geworden, von der man inzwischen viel weiß. Vor allem, dass sie nicht verschwinden wird, auch wenn wir uns alle 15 Meter tief in den Boden eingraben und da wochenlang verharren. Etwas dem nahe Kommendes haben wir zu einer Zeit getan, als es wichtig war, Zeit zu gewinnen, um zu verstehen, was überhaupt los ist. Darum geht es jetzt nicht mehr. Wir sind Teilnehmer eines Langstreckenrennens, das die richtige Strategie erfordert, damit der Gesamtschaden an der Gesellschaft, an allen Gesellschaften, nicht irreparabel wird.

Ich glaube, dass das tägliche Starren auf eine Zahl, die permanente Formulierung von Schreckensszenarien und die Zuweisung einer ganz persönlichen Schuld an jeden Einzelnen für den Fall, dass diese Zahl weiterhin größer wird, die falsche Strategie ist. Das hält keine Gruppe von Menschen aus. Auch nicht die Bevölkerung von mehr als 80 Millionen Menschen in diesem Land, das bisher besser durch diese Krise gekommen ist als alle anderen großen Nationen der westlichen Welt.

Es ist ermüdend, solch allgemeinen Gedanken sozusagen als Beipackzettel hinzufügen zu müssen, dass es sich hierbei nicht um eine Leugnung, Verharmlosung oder Verniedlichung dieser Krankheit handelt, an der etwa viermal mehr Menschen sterben als an der normalen Influenza. Wer nach fast acht Monaten im Ausnahmezustand nicht verstanden hat, wie ernst die Angelegenheit ist, dem sind auch diese täglichen, beschwörenden Appelle aus Parteizentralen oder Regierungsgremien keine Hilfe. Sie bewirken eher das Gegenteil. Wir anderen aber brauchen sie nicht mehr.

Wissen um eine klare Strategie

Wir brauchen das Wissen um eine klare Strategie auch für den Fall, dass die Zahlen wie prognostiziert im Herbst und Winter steigen und der Impfstoff für alle, wenn überhaupt, erst im kommenden Jahr verfügbar sein wird. Maske, Abstand, Versammlungsauflagen, Quarantänezeiten, Reisebeschränkungen, Schulroutinen, Testpflichten sind eine Normalität geworden, an die sich die allermeisten Menschen wie auch ich mit einer duldsamen Selbstverständlichkeit gewöhnt haben.

Ich kann aber den Ton nicht mehr ertragen, mit dem mir jeden Tag aufs Neue eine Verantwortung für diese weltweite Realität übergeben wird. Gefühlter O-Ton: „Schon wieder ein neuer Höchststand. Hilfe! Und ihr seid alle daran schuld!“. Das nagt am Lebensgefühl und höhlt das Nervenkostüm aus wie ein leiser, pochender Schmerz. Ich will nicht mehr eine Zahl am Morgen darüber entscheiden lassen, ob heute ein guter, schöner, heiterer Tag werden kann oder nicht.

Die Bundeskanzlerin ist meist besorgt

Denn dann bestünde die Gefahr, dass es dieses Jahr kaum noch gute, schöne, heitere Tage geben würde. Ich will, dass der Staatsapparat, die Wissenschaftler und Mediziner, wie sie es bisher bei uns mit der Hilfe eines disziplinierten Volkes in der Sache ziemlich erfolgreich getan haben, weiterhin ihre Arbeit tun und mich auch meine Arbeit tun und mein Leben mit all seinen Problemen und Herausforderungen leben lassen. Dafür bin ich bereit, mich den Anordnungen zum Schutz vor Ansteckung zu unterwerfen, weil ich nicht Teil einer Infektionskette werden will.

Diese Erklärung ist, wie der Name dieser Kolumne nahelegt, persönlich. Ich glaube aber, sie würde auch einer allgemeinen Medienkritik standhalten, denn Medien transportieren vor allem Nachrichten, für deren Ursprung und Tonalität sie nicht verantwortlich sind. Den Duktus der handelnden Personen kann keine Berichterstattung verändern. Die Bundeskanzlerin ist meist besorgt, der bayerische Ministerpräsident erteilt gern Erlasse, sein Kollege in NRW will ganz nah bei den Menschen sein, der SPD-Gesundheitsexperte hält den Talk-Show-Rekord.

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Eine Krise ist immer Politik. Politik ist immer Wahlkampf. Alle wollen immer ihre Beliebtheit steigern. Das bestimmt den Ton. Er muss transportiert werden. Kein ernstzunehmendes Medium könnte beschließen, einfach weniger, nur noch die Hälfte oder nichts mehr über Corona zu veröffentlichen.

Es ist deshalb Zeit für eine andere Corona-Sprache und auch eine andere Wahrnehmung des Geschehens, denn es wird uns allen gemeinsam nichts anderes übrig bleiben, als diese Pandemie auszuhalten, am besten, ohne total abzustumpfen oder die Nerven zu verlieren. Mit dem Ton und der Sicht, die immer noch herrschen, wird das allerdings kaum möglich sein.