Betroffene gibt TippsWie man sich richtig verhält, wenn jemand Krebs hat

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Jemand, der vom Krebs erwischt wird, braucht viel Hilfe. 

Köln – Susanne Reinker ist 44 Jahre alt als sie die Diagnose bekommt, die ihr Leben verändert: Brustkrebs. Keine unbekannte Krankheit. Ihre Mutter war im selben Alter an der Krebsart erkrankt. In ihrem Ratgeber „Kopf hoch, Brust raus! Was wir im Umgang mit Krebs alles richtig machen können“ hat sie von A bis Z alles zusammengefasst, was Krebskranke und ihre Familien, Freunde, Bekannte und Kollegen rund um die Krankheit und den richtigen Umgang miteinander wissen sollten.

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Die Autorin Susanne Reinker. 

Die Düsseldorfer Autorin hat sich mit dem Buch nicht weniger vorgenommen, als das Bild der Krankheit in der Gesellschaft zu verändern. Bisher löst Krebs – ein einzelnes Wort – bei den meisten Menschen einen Schockmoment aus. In vielen Köpfen herrscht das Bild, dass die schwere Krankheit ein unweigerliches Todesurteil bedeutet. Dabei gibt es Krebsdiagnosen mit guten Heilungschancen und nicht jede Behandlung ist gleich. Im Gespräch erklärt Susanne Reinker, wie Freunde und Angehörige einem Krebskranken am besten helfen können und warum wir anders über Krebs sprechen sollten.

Mit 44 Jahren bekamen Sie die Diagnose Brustkrebs. Was hat Sie dazu bewogen, sich nach überstandener Krankheit noch mal so intensiv mit ihr zu beschäftigen?

Susanne Reinker: Damals war ich eigentlich gerade auf dem Höhepunkt meines Lebens. Im Februar 2007 hatte ich das Buch „Rache an meinem Chef“ rausgebracht – das dann lange auf der Bestsellerliste war. Und im Juli hat es mich dann erwischt. Patsch! Das nennt man glaube ich Fallhöhe. Ich habe die volle Packung bekommen: Operation, Strahlen-, Chemo-, und Hormontherapie. Den Behandlungszyklus habe ich relativ gut vertragen, diesen ganzen Parcours. Habe aber auch am eigenen Leib und Gemüt sehr vieles gelernt und habe mir gesagt, dass ich so viele Erfahrungen mit dieser Krankheit gemacht habe – das wäre doch schade, wenn ich die verdrängen würde. Als Freundinnen von mir krank geworden sind, hat es mir gezeigt, wie gut ich ihnen durch meine Erfahrungen helfen konnte. Daraus hat sich die Buchidee entwickelt.

Was ist Ihr wichtigster Ratschlag an jemanden, der an Krebs erkrankt?

Gesunder Egoismus. Denn diese Krankheit ist keine Kreuzfahrt und kostet unglaublich viel Kraft. In dieser Lage kommt man am besten klar, wenn man andere Stressmacher aus seinem Leben verbannt. Die ganzen Benimm-Stressmacher und den ganzen Leistungsdruck dürfen wir für die gesamte Dauer unserer Erkrankung einfach abstellen – wir müssen keine Erwartungen mehr erfüllen. Wir dürfen uns einfach viel mehr erlauben, das sollten wir auch tun, weil wir mit dem Behandlungsparcours genug zu tun haben. Das sollten Krebskranke auf alle Bereiche ausbreiten – auch auf Ernährung. Wenn ihnen ein Stück Sachertorte gut tut, sollten sie es essen oder einen Gin Tonic trinken, auch wenn Alkohol per se nicht gesund ist. Aber irgendwo muss man in so einer Situation ein paar Wohlgefühle zusammenkratzen.

Mehr Infos

Zum Weiterlesen: Susanne Reinker: „Kopf hoch, Brust raus! Was wir im Umgang mit Krebs alles richtig machen können“, Ullstein Verlag, ISBN: 978-3-96366-056-6, 16,99 Euro

Zum Weiterhören: Gratis-Stream des Buches „Kopf hoch, Brust raus“ für alle, die sich aufgrund ihrer Erkrankung und/oder Behandlung nicht gut auf Gedrucktes konzentrieren können https://kopf-hoch-brust-raus.de/einfach-reinhoeren/

Krebs macht viele betroffen – fast jeder kennt eine erkrankte Person. Was sind Ihre Tipps für Verwandte, Bekannte, Freunde und Kollegen von Krebskranken?

Wenn mir ein Kollege oder Freund anvertraut, dass er Krebs hat, sollte ich Ruhe bewahren. Ich sollte es schaffen, als Nicht-Betroffener pragmatisch zu bleiben. Man sollte sich bei dem Erkrankten informieren, was der Arzt gesagt hat und den Krebskranken fragen, wie man ihm heute helfen kann. Immer auf der ruhigen Schiene bleiben.

Jemand, der vom Krebs erwischt wird, braucht viel Hilfe. „Neu-Krebse“ brauchen nervenstarke Menschen an ihrer Seite, die zum Beispiel mit zu Arztgesprächen gehen. Hilfe bei Internetrecherchen für gute Ärzte und Kliniken. „Neukrebse“ müssen sich nach wie vor um Haushalt, auch Kinder, Eltern, Haustier, Auto und vieles andere kümmern, das sind alles Dinge, bei denen Außenstehende prima helfen können, weil wir als Erkrankte irgendwann keine Kraft mehr dazu haben.

Ganz wichtiges Thema: Viele Krebskranke bekommen massive finanzielle Probleme – darüber redet nur niemand. Wer helfen will, sollte die Finanzfrage stellen. Wenn er kann, in irgendeiner Form finanziell helfen, das müssen keine riesigen Summen sein. Das können auch kleine Geschenke sein – eine Unterhaltungs-DVD oder Nahrungsergänzungsmittel. Zusammengefasst: Lieber Tat, statt Rat.

Und was sollte ich vermeiden?

Nicht weinen! Tränen von lieben Menschen sind nicht als Heilmittel bekannt, sie sind verständlich, aber nicht hilfreich. Es wird für uns Krebskranke nur schlimmer, wenn wir merken, dass die anderen uns quasi schon mit einem Bein im Grabe sehen. Eine weitere Maxime, die ich jedem mitgeben möchte, der einem „Neu-Krebs“ helfen möchte. Jeder sollte sich mal in den Erkrankten hineinversetzen. Sich vorstellen, dass es Ratschläge regnet. Wir Krebskranke wissen vor lauter Ratschlägen irgendwann weder Hü noch Hott. Wer sich Gedanken macht, wie viele Ratschläge ein Krebspatient bekommt, wird sofort damit aufhören, ungefragt welche zu geben.

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Wie Angehörige reagieren, wenn ein Krebskranker von seiner Diagnose berichtet, ist wichtig. 

Das größte No-Go ist es, den Kontakt zu einem „Neu-Krebs“ abzubrechen, weil man sich so stark von den eigenen Krebsängsten leiten lässt. Jeder Krebserkranke, kann ein bis zwei Freunde nennen, die sie verloren haben, weil diese mit der Krankheit nicht umgehen konnten. Für uns ist es ein so schwerer Schlag, dass Menschen, die wir für unsere Freunde gehalten haben, sich einfach verdrücken. Das müsste verboten werden.

Sollte man einen Krebskranken überhaupt fragen „Wie geht es dir“?

Die „Wie geht es dir-Frage“ ist für uns Krebse total nervig, denn wir müssten eigentlich ständig das Gleiche erzählen und das sind ja selten bahnbrechend gute Nachrichten. Und oft sind es Dinge, die wir selbst noch nicht richtig verdaut haben – sei es unser Seelenzustand oder die Nebenwirkungen. Auf die Frage „Wie geht es dir?“, fällt es uns sehr schwer zu antworten. Der Königsweg: Die Frage stellen „Wie geht es dir heute?“ Die Frage ist schnell abgehakt, weil es nur um den Tag geht.

Worüber kann ich mit einem Krebskranken sprechen?

Einige Menschen haben Hemmungen – sie wissen einfach nicht, worüber sie mit einem Menschen sprechen können, der möglicherweise bald stirbt. Die Lösung ist eine Kommunikationsstrategie, die ich während meiner Erkrankung entwickelt habe. Am Anfang sollten „Krebse“ es zulassen, dass es fünf bis zehn Minuten um die Krankheit geht – denn das möchte jeder wissen. Ein Themenwechsel hin zu unverfänglichen Sachen tut dann allen gut. Und kurz bevor man auseinander geht, entsteht häufig das Bedürfnis noch mal kurz über Krebs zu sprechen.

Sie wollen, dass wir anders über Krebs sprechen. Warum?

Unsere Gesellschaft muss dringend akzeptieren, dass Krebs passiert – das „Krebse“ passieren. Wir müssen lernen, das Kind überhaupt erstmal beim Namen zu nennen. Viele Leute sprechen nur von der Erkrankung, weil ihnen das Wort Krebs nicht über die Lippen geht. Statt dem Gedanken, dass Krebs unweigerlich den Tod bedeutet, sollten wir besser eine Frage im Kopf haben: „Krebs – welcher Krebs?“ Ein Beispiel kann sein, wie Mediziner Krebs sehen. Sie teilen ein, wie schnell der Krebs wächst, wie er sich behandeln lässt und ob er operabel ist oder nicht. Die Gesellschaft muss differenzierter über Krebs sprechen.

Ein dringender Appell: Wir müssen mit der Kriegsmetaphorik bei Krebs aufhören. So was wie: „Den Kampf gegen den Krebs verloren!“ Solche Vergleiche implizieren immer, dass mit einer überstandenen Krebserkrankung zwar eine Schlacht gewonnen ist, aber nicht der ganze Krieg. Bekommt ein Krebskranker das zweite Mal Krebs, schwindet schnell die Hoffnung. Schließlich „weiß doch jeder“, wie der Kampf gegen den Krebs endet: mit einer Niederlage. Aber der Glaube „Krebs = Todesurteil“ ist dank des medizinischen Fortschritts auf dem Weg zum Klischee. Und da können wir ansetzen – durch Sprache.  Sprache verändert die Wahrnehmung und die verändert das Verhalten. Das dauert zwar sehr lang – aber es funktioniert.

Deswegen bevorzuge ich für mich den Begriff „Veteranin“, anstatt „Survivor“ (Überlebender), wie Leute wie ich oft genannt werden. Ich möchte auch nicht von kämpfen sprechen. Veteranen gehen gegen den Krebs in den Widerstand. Widerstand ist ein gutes Wort – Gorleben, Gandhi. Widerstand kann stärker und schwächer ausfallen, je nach Tagesform. Anders als bei der Kampfrhetorik steht nicht das Ende im Raum. Es würde sich viel tun, wenn wir an der Sprache etwas ändern, um anders mit Krebs umzugehen.

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