Maßnahmen bei erhöhtem KrebsrisikoWann ist die Entfernung der Eierstöcke sinnvoll?

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Foto: Thinkstock

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In der New York Times berichtete Schauspielerin Angelina Jolie vergangene Woche in einem sehr persönlichen Beitrag, dass sie sich nach der vorsorglichen Brustentfernung nun auch dazu entschlossen hat, ihre Eierstöcke und Eileiter – letztlich ebenfalls vorsorglich – entfernen zu lassen. Ist diese Entscheidung für Sie medizinisch nachvollziehbar?

Dr. Kerstin Rhiem ist stellvertretende Direktorin des Zentrums für Familiären Brust- und Eierstockkrebs an der Uniklinik Köln.

Nach Ihren eigenen Angaben wurde bei Angelina Jolie die in ihrer Familie bekannte BRCA-1-Mutation diagnostiziert. Damit trägt sie ein lebenslang deutlich erhöhtes Risiko, an Eierstockkrebs zu erkranken. Sie hat sich die gesunden Eierstöcke und Eileiter entfernen lassen, um dieses Risiko auf praktisch Null zu senken. Wichtig war für sie, dass sie an der Erkrankung, an der ihre Mutter gelitten hat und letztlich gestorben ist, mit größtmöglicher Sicherheit nicht erkranken wird, um für ihre Kinder da sein zu können. Das sind rational nachvollziehbare und medizinisch auch angezeigte Gründe für eine solche Entscheidung. Zumal keine Früherkennungsuntersuchungen für den Eierstockkrebs existieren. Grundsätzlich empfehlen wir daher Frauen, die eine Veränderung im Risikogen BRCA1 oder BRCA2 tragen, eine vorsorgliche Entfernung der Eierstöcke und Eileiter um das 40. Lebensjahr – nach abgeschlossener Familienplanung – beziehungsweise fünf Jahre vor dem jüngsten Erkrankungsalter an Eierstockkrebs bei einer Familienangehörigen. Angelina Jolies Mutter war 49, sie selbst ist jetzt 39. So gesehen war es für Jolie ein guter Zeitpunkt, es jetzt zu tun.

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Was bedeutet die Entfernung von Eierstöcken und Eileiter konkret für Angelina Jolie? Welche körperlichen Folgen hat das?

Die Entfernung der Eierstöcke und Eileiter versetzt eine Frau abrupt in die Wechseljahre. Dies kann bedeuten, dass Symptome wie Hitzewallungen auftreten können. BRCA-Trägerinnen wie Angelina Jolie allerdings können eine Hormonersatztherapie erhalten, durch die die Wechseljahrbeschwerden reduziert werden.

Auch wenn bei Angelina Jolie durch die prophylaktische Brust-OP das Risiko nicht mehr besteht: Die Hormonersatztherapie ist doch seit langem im Verdacht gerade, Brustkrebs auszulösen, oder?

Hier spielen Sie auf die Diskussion um die Hormongabe an ältere Frauen an, die Hormone nach ihrem Eintritt in die natürlichen Wechseljahre erhalten haben. Für BRCA-Mutationsträgerinnen, die vor dem Eintritt in ihre natürlichen Wechseljahre eine vorsorgliche Entfernung der Eierstöcke/-leiter erhalten haben und lediglich bis zum Alter des Eintritts in die Wechseljahre die fehlenden Hormone ersetzt bekommen, konnte in wissenschaftlichen Studien keine Risikoerhöhung für Brustkrebs gezeigt werden.

Brustkrebs ist in etwa jedem fünften Fall erblich bedingt. Ein Teil dieser Erkrankungen wird durch eine Veränderung in den BRCA-Genen ausgelöst. Die Breast-Cancer-Gene BRCA1 und BRCA2 wirken der Entstehung von Tumoren entgegen. Frauen mit einer Veränderung dieser Gene haben ein erhöhtes Risiko, an Brust- und Eierstockkrebs zu erkranken. Ist der Verdacht auf erblichen Brustkrebs vorhanden, besteht die Möglichkeit zu einem Bluttest. Die Genanalyse wird unter anderem in einem der 15 medizinischen Zentren für „Familiären Brust- und Eierstockkrebs“ in Deutschland durchgeführt. Die Kosten übernehmen gesetzliche und private Krankenkassen in der Regel.

Viele sehen eine „vorsorgliche Entfernung“ von Brust oder Eierstöcken kritisch und sprechen von Entweiblichung...

Natürlich handelt es sich dabei um Geschlechtsorgane, die für die Weiblichkeit stehen. Die Entscheidung für eine Entfernung eines Geschlechtsorgans ist daher ein sehr schwerer Schritt. Deshalb ist es uns auch sehr wichtig, dass die betroffenen Frauen vor einer solch einschneidenden Entscheidung in einem spezialisierten Zentrum wie dem unsrigen eine umfassende, nicht-direktive Beratung bekommen. Uns ist wichtig, dass die Frauen eine eigenständige und individuelle Entscheidung treffen können. Schließlich muss diese ja lebenslang tragfähig bleiben. Angelina Jolie etwa hat klar gesagt, dass sie für ihre Kinder gesund bleiben möchte, und dafür nimmt sie alles Kauf. Ein wichtiger Punkt wird meines Erachtens aber in der Diskussion oft übersehen. Ein in dem Fall auch medizinisch sinnvoller prophylaktischer Eingriff ermöglicht es den Frauen, aus der Opferrolle herauszukommen. Sie nehmen selbst das Heft in die Hand und reduzieren aktiv ihr Krebsrisiko, das durch das Risikogen in ihnen schlummert. Das gibt vielen Frauen Kraft.

Wie hoch ist generell für BRCA-Trägerinnen das Risiko an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken?

Aus Studien wissen wir, dass BRCA-1-Mutationsträgerinnen bis zum 70. Lebensjahr ein mittleres Erkrankungsrisiko von 60 Prozent für Brustkrebs und von 59 Prozent für Eierstockkrebs tragen. Die Erkrankungsrisiken für BRCA-2-Mutationsträgerinnen liegen bei 55 Prozent für Brustkrebs und 16,5 Prozent für Eierstockkrebs.

Hätte Angelina Jolie eigentlich Alternativen zu der Entfernung von Brust- und Eierstöcken gehabt?

Für den erblichen Brustkrebs besteht ein effizientes, intensiviertes Früherkennungsprogramm an den spezialisierten Zentren des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs, dass an die Bedürfnisse der jungen Frauen mit einem erhöhten Risiko angepasst ist und die Brusttumoren in einem sehr frühen, also heilbaren, Stadium erkennen kann. Ein solches Früherkennungsprogramm gibt es leider für Eierstockkrebs nicht. Dieser wird in der Regel erst in einem fortgeschrittenen und oft nicht mehr heilbaren Stadium erkannt. Daher ist der vorsorgliche Eingriff alternativlos und rettet Leben. Von daher bin ich froh, dass Angelina Jolie diesen noch wichtigeren Eingriff an die Öffentlichkeit gebracht hat.

Eine engmaschige Überwachung hätte also nicht ausgereicht?

Nein, weil es anders als beim Brustkrebs keine effiziente Eierstockkrebsfrüherkennung gibt.

Manchen Trägerinnen des BRCA-Risikogens wird zuerst die Entfernung der Eierstöcke nahegelegt. Warum?

Die Entfernung der Eierstöcke wird um das 40. Lebensjahr herum und nach abgeschlossener Familienplanung empfohlen beziehungsweise fünf Jahre vor dem jüngsten Erkrankungsfall an Eierstockkrebs in der Familie. Durch diesen Eingriff zu diesem Alter wird das Brustkrebsrisiko für Mutationsträgerinnen etwa halbiert. Außerdem wird das Eierstockkrebsrisiko auf praktisch Null gesenkt und die Sterblichkeit an diesen Krebserkrankungen sowie die Gesamtsterblichkeit werden deutlich reduziert. Brustkrebserkrankungen treten in der Regel früher auf als Eierstockkrebserkrankungen. Allerdings können selbst Frauen, die bereits vor dem 40. Lebensjahr einseitig an Brustkrebs erkrankt sind, durch die Eierstockentfernung das Risiko reduzieren, an der anderen Brustseite zu erkranken.

Hat Angelina Jolie mit diesem Eingriff nun sämtliche Risiken, die mit dem BRCA-Gen einhergehen, ausgeschlossen?

Sie hat die Hauptrisiken maximal reduziert. Es wird bei Mutationsträgerinnen aber auch ein leicht erhöhtes Risiko für Darmkrebs- und Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Würden Sie sagen, dass Angelina Jolie ein Vorbild ist im Umgang mit einer erblichen Krebsform?

Sie hat immer betont, dass sie aus von ihr dargelegten Gründen eine individuelle Entscheidung für den Umgang mit den mit der Mutation verbundenen Risiken wählt. Von daher ist sie ein Vorbild. Wichtig ist, dass jede Frau für sich eine eigene Entscheidung treffen muss – am besten gut informiert.

Haben eigentlich auch Frauen, die keinen erblich bedingten Brustkrebs haben, ein erhöhtes Risiko für einen Eierstockkrebs?

Im Allgemeinen hat eine Brustkrebspatientin kein erhöhtes Risiko für Eierstockkrebs. Das Risiko für Frauen der Allgemeinbevölkerung für Eierstockkrebs liegt lebenslang bei etwa einem Prozent. Da ist eine prophylaktische Operation nicht angezeigt. In Familien, in denen Brust- und Eierstockkrebsfälle vorkommen und keine BRCA-Mutation gefunden wurde, kann ein solcher Eingriff aber in Ausnahmefällen Sinn ergeben. Frauen, die davon betroffen sind, sollen sich unbedingt in den spezialisierten Zentren beraten lassen, ob ein solcher Eingriff sinnvoll sein könnte.

Welchen Frauen empfehlen Sie den Bluttest, mit dem das Risikogen identifiziert werden kann?

Grundlage vor einer Entscheidung zu einem Test ist die Aufklärung in einem der spezialisierten Zentren. Betroffen sein könnten Frauen, die in ihrer Familie folgende Konstellationen feststellen: a) mindestens zwei an Brustkrebs erkrankte Frauen, von denen eine vor dem 51. Lebensjahr erkrankt ist, b) mindestens eine an Brustkrebs und eine weitere an Eierstockkrebs erkrankte Frau, c) mindestens zwei an Eierstockkrebs erkrankte Frauen, d) mindestens eine an beidseitigem Brustkrebs erkrankte Frau vor dem 51. Lebensjahr, e) mindestens eine an einseitigem Brustkrebs erkrankten Frau vor dem 36. Lebensjahr, f) mindestens ein an Brustkrebs erkrankter Mann und eine an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankte Frau, g) mindestens drei an Brustkrebs erkrankte Frauen unabhängig vom Alter.

Stellt sich aber die Frage: Muss man wirklich alles wissen? Werden da nicht Ängste geschürt?

Nochmal: Grundlage vor einer Entscheidung zu einem Test ist eine gute Aufklärung. Trotzdem ist wichtig: Das Recht auf Nichtwissen ist ebenso hoch zu bewerten wie das Recht auf Wissen.

Wie sollte das Vorgehen sein, wenn das Risikogen festgestellt wird?

Zunächst sollten betroffene Frauen individuell über Risiko und Nutzen von präventiven Möglichkeiten wie eine engmaschige Brustkrebsfrüherkennung oder prophylaktische Operationen beraten werden. Es sollten aber auch Familienangehörigen, die dies wünschen, über eine Mutation informiert werden. Jeder Nachfahre eines Menschen, der eine Mutation trägt, hat eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, eine Mutation geerbt zu haben. Wer sie nicht geerbt hat, kann entlastet werden.

Weiterführende Informationen:

www.konsortium-familiaerer-brustkrebs.de

www.familiaerer-brust-und-eierstockkrebs.uk-koeln.de

www.brca-netzwerk.de

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