Zuverlässig und beharrlichMenschen mit Migräne haben oft diese Eigenschaften

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Frauen sind besonders häufig von Migräneschmerzen betroffen. 

Köln – Die Koffer sind gepackt, der Urlaub kann kommen. Dann auf einmal dieser brutale Kopfschmerz. Und das, obwohl der Stress weit weg ist. Migräne kommt oft genau dann, wenn wir gerade entspannen wollen. Was bereits deutlich macht, dass bei ihrer Entstehung die Psyche eine große Rolle spielt. Wie groß sie tatsächlich ist, bestätigt eine aktuelle Übersichtsstudie von Forschern um Stefan Evers von der Universität Münster. Was Migräne zudem begünstigt und wodurch die Kopfwehattacken getriggert werden können. 

Migräne-Patienten scheinen sich untereinander zu ähneln

Eine beliebte Theorie sehen die deutschen Mediziner und Psychologen jedoch als gescheitert an: nämlich die von der zwanghaften, ehrgeizigen, perfektionistischen Migräne-Persönlichkeit, die den Ärger in sich hineinfrisst. Sie soll in besonderem Maße anfällig für die Krankheit sein, doch das sei, wie die Autoren betonen, wissenschaftlich nicht belegt.

Nichtsdestoweniger betonen sie in ihrer Studie, „dass es überzufällig häufig einzelne psychische Verhaltensmerkmale und Eigenschaften bei Menschen gibt, die an Migräne leiden“. Und die könnten nicht nur eine Folge, sondern auch eine Ursache der Erkrankung sein. Wie etwa das Gewöhnungsdefizit, das man bei Migräne-Patienten oft beobachten kann. Sie neigen dazu, Umweltreizen ihre Aufmerksamkeit zu widmen, die eigentlich keine Bedeutung mehr für sie darstellen sollten. Ein tickender Wecker in der Nacht etwa, ein klappernder Kühlschrank oder ein flackerndes Licht: Migränepatienten können sich nicht ohne weiteres daran gewöhnen, es hört nicht auf, sie zu nerven. Und das kann am Ende zu jener Überlastung im Reizverarbeitungssystem des Gehirns führen, die mittlerweile als Hauptursache für die Entstehung der halbseitigen Kopfwehattacken betrachtet wird.

Bestimmte innere und äußere Faktoren, so genannte Trigger, können bei entsprechender Veranlagung eine Migräne begünstigen.

Migräne-Betroffene können äußere Reize schlecht ausblenden

Das Gewöhnungsdefizit könnte auch erklären, warum Migräne so oft im Urlaub auftritt. Denn dort herrschen andere Reize als zuhause, und einem Migräne-Patienten fällt es schwerer, sich mit ihnen zu arrangieren. Tröstlich: Die Gewöhnungsdefizite gehören zu den Merkmalen, die sich per Verhaltenstherapie relativ leicht behandeln lassen. Etwa in Gestalt einer Konfrontation, dass man also den Patienten systematisch dem tickenden Wecker oder anderen Störreizen aussetzt, bis er sie eben nicht mehr als störend empfindet.

Auf den ersten Blick in eine komplett andere Richtung zeigt hingegen ein anderes Merkmal von Migräne-Patienten: ihre „exekutive Schwäche“. Sie brauchen für den so genannten „Trail-Making-Test“ (Pfadfinder-Test), bei dem die Probanden entweder 25 Zahlen oder aber abwechselnd Zahlen und Buchstaben in der richtigen Reihenfolge miteinander verbinden sollen, deutlich länger als andere. Doch das heißt nicht etwa, dass sie schwer von Begriff sind. Sondern dass sie Probleme haben, ihren Gedankenlauf motorisch umzusetzen.

Wer an Migräne leidet, ist oft besonders beharrlich

Zu den weiteren typischen Merkmalen von Migräne-Kranken zählt ihre Beharrlichkeit. Sie bleiben, wenn es um das Lösen von anspruchsvollen Aufgaben geht, länger dabei. Sie verlieren, auch wenn es kompliziert wird, nicht so schnell das Interesse. Dies könne man, so Evers, „als größere Motivation und eine größere Ausdauer bei Problemlösungen“ interpretieren. Was ja eher wie die optimale Voraussetzung für ein Vorstellungsgespräch klingt als nach einem Krankheitssymptom. Aber im Endeffekt heißt Beharrlichkeit auch: Das Gehirn bleibt im Hab-Acht-Modus, und das kann letztlich des Guten zu viel und zum Trigger für einen Migräneanfall werden.

Andererseits kann dieses Unbedingt-Dran-Bleiben-Wollen von großem Nutzen sein, nämlich für die Therapie. Evers spricht deswegen sogar von „einem Privileg“, Migräne-Patienten behandeln zu dürfen. Denn sie sind zuverlässig, kooperativ und halten ihre Termine ein. Einen besseren Patienten kann man sich als Therapeut gar nicht wünschen. Jedenfalls für eine Weile. Denn die Erkrankung ist hartnäckig, sorgt bei den Patienten für zunehmenden Frust. Mit der Folge, dass sie am Ende ebenso verzweifelt wie misstrauisch gegenüber neuen Behandlern sind.

Migräne und Depression bedingen einander

Hinzu kommt, dass sie oft mehr als nur eine Erkrankung haben: Komorbiditäten gehören zu den typischen Begleiterscheinungen einer Migräne. Im psychischen Bereich sind hier vor allem Depressionen, posttraumatische Störungen und Angststörungen zu nennen. Migräne-Patienten haben gegenüber der Gesamtbevölkerung ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko für Depressionen, 40 Prozent von ihnen durchlaufen in ihrem Leben immer wieder eine depressive Periode. Was sicherlich auch dadurch zustande kommt, dass die heftigen und wiederkehrenden Kopfschmerzattacken auf die Stimmung drücken. Doch laut einer Studie der Zhejiang University im chinesischen Hangzhou gibt es auch große Überschneidungen was die Entwicklungsmechanismen von Migräne und Depressionen angeht.

So schwankt bei ihnen gleichermaßen der Pegel des Hirnbotenstoffs Serotonin. Es gilt einerseits als stimmungsaufhellendes „Glückshormon“, was seine Nähe zur Depression erklärt. Andererseits erweitert und verengt es auch - je nach Dosierung - die Hirnblutgefäße, was seine Nähe zur Migräne erklärt. Eine große Rolle bei beiden Erkrankungen spielt zudem das Geschlechtshormon Östrogen. Nicht umsonst werden, wie Psychiater und Studienleiter Qing Zhang betont, „Depressionen und Migräne bei Frauen drei Mal so häufig diagnostiziert wie bei Männern“. Wobei das frauenspezifische Risiko – und auch das gilt wieder für beide Erkrankungen – noch einmal nach oben geht, wenn in der Kindheit Missbrauchserfahrungen gemacht wurden.

Wie überhaupt Stress zu den wesentlichen Triggern von Migräne und Depressionen gehört. Dies bedeutet, dass die eine zum Trigger der anderen Erkrankung werden kann, insofern ja die eine wie die andere einen großen Leidensdruck auf den Patienten ausübt. Zhang warnt in diesem Zusammenhang vor der „bidirektionalen Beziehung zwischen Depressionen und Migräne“. Wer also depressiv ist, muss damit rechnen, noch von Migräne heimgesucht zu werden. Und umgekehrt. Als wenn eine von beiden Erkrankungen nicht schon genug wäre. 

Achtung, das sind häufige Migräne-Trigger:

• Tageszeit: Migräneschübe kommen meistens am frühen Morgen oder am Nachmittag. • Wechselnder Schlaf-Wach-Rhythmus (zu wenig, aber auch zu viel Schlaf) • Unterzuckerung infolge ausgelassener Mahlzeiten, also auch Intervallfasten. Dem mehrtägigen Heilfasten werden jedoch positive Effekte auf die Migräne bescheinigt. • Östrogenschwankungen infolge des Zyklus oder der Einnahme der Anti-Baby-Pille. • Stress, vor allem emotionale Belastungen. • Histaminreiche Nahrungsmittel: Schinken, Dauerwurst (z.B. Salami), Käse, Rotwein • Koffeinentzug: In Studien zeigte sich, dass bei Probanden, die normalerweise bis zu sechs Tassen Kaffee am Tag trinken, der Verzehr von entkoffeiniertem Kaffee mit einem erhöhten Migränerisiko einhergeht. Die Kopfschmerzen dauern jedoch in der Regel nicht länger als drei Tage. • Wetterumschwünge: Sie werden von sehr vielen Migräne-Patienten als Trigger gesehen, die wissenschaftliche Studienlage dazu ist jedoch weniger eindeutig. • Bestimmte Medikamente wie Indometacin (u.a. Arthritis), Reserpin & Nifedipin (gegen Bluthochdruck) und Dipyridamol (Vorbeugung von Schlaganfall, nach Herzinfarkt).

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