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Projekte in Köln und UmgebungWie Menschen mit Demenz und Kinder sich begegnen

Lesezeit 7 Minuten

Inklusion mit Luftballons: Wenn die Kinder aus der Kita St.Vitalis ins Heinrich-Püschel-Haus im Kölner Westen kommen, ist ordentlich was los.

Als der ältere Herr die Kindergruppe durch den Flur kommen sieht, stehen ihm plötzlich Tränen in den Augen. Die acht Kinder bleiben stehen. Sie werden für einen Moment still und schauen mit großen Augen den weinenden Mann an. "Möchten Sie mitkommen?", fragt Erzieherin Andrea Hoffmann und berührt ihn sanft am Arm. "Dann kommen Sie auf andere Gedanken."

St.-Vitalis-Kita

Kurz darauf sitzen die Kinder aus der Kita St. Vitalis und sechs ältere Menschen, zwei Erzieherinnen und Altentherapeutin Ines Odenthal um einen Tisch. Die Kinder drängeln sich kichernd zu zweit auf die großen Stühle. Auch der Herr aus dem Flur sitzt in der Runde. Er lächelt still. Eine alte Dame passt fürsorglich auf, dass keins der Kinder in die Kakaopfütze tritt, die eine umgefallene Tasse hinterlassen hat. Hier, in der fünften Etage des Heinrich-Püschel-Haus des Clarenbachwerkes, leben Menschen mit Demenz. Alle zwei Wochen kommen die Kinder vorbei. Sie bringen Leben ins Heim - und lernen dabei selbst etwas.

Der Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung liegt heute bei etwas über 20 Prozent. Im Jahr 2060 wird jeder dritte Deutsche über 65 sein, jeder siebte 80 oder älter. Mit der Zahl der Alten wächst auch die Zahl der Menschen mit Demenz: Insgesamt knapp neun Prozent der über 65-Jährigen haben eine Demenz, unter den über 80-Jährigen sind es über 15 Prozent. Immer lauter wird gefordert, sie nicht aus dem Leben auszuschließen - sie sollen weiter teilhaben, in Sportvereinen und Kirchengemeinden, trotz aller Schwierigkeiten. Und zusammenkommen mit Jüngeren oder ganz Jungen.

Kooperation mit Kindergarten

Die Kooperation zwischen dem Heinrich-Püschel-Haus und dem Kindergarten entstand aus einem zufälligen Treffen von Ines Odenthal mit Erzieherin Andrea Hoffmann vor sechs Jahren bei einem Straßenfest. Seitdem wird alle zwei Wochen gemeinsam gesungen, gebastelt, gebacken, Karneval gefeiert. Die Bewohner seien bei den Treffen wacher, aufmerksamer als sonst, sagt Odenthal: "Die Kinder finden ungewöhnliche Reaktion der Bewohner eher amüsant." Und lernen dennoch ganz viel: Rücksichtnahme etwa auf ältere und körperlich oder geistig eingeschränkte Menschen. Aber auch, wie leicht es sein kann, anderen eine Freude zu machen.

„Demenz darf kein Tabu sein“ ist das Motto der 5. Kölner Demenzwochen. Bis zum 7. November bieten sie mehr als 90 Veranstaltungen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen – Vorträge zu Hilfe im Alltag, aber auch Kulturveranstaltungen. Das Programm gibt es unter: koelner-demenzwochen.de

Informationen zu generationsübergreifenden Projekten:

Mehr zu den Projekten lesen Sie online unter

www.ksta.de/demenz

Verein Generationsbrücke Deutschland:

generationsbrücke-deutschland.de

Projekt „Kidzeln“ – Kindern Demenz erklären: Sonja Steinbock, 02382/94099710

demenz-service-muensterland.de

Alzheimer-Gesellschaft „Aufwind“ in Brühl: 02232/1502191

www.aufwind-bruehl.de

Die GGS Kettelerstraße, Kettelerstraße 14, in Köln-Meschenich sucht noch Lesesenioren: 02232/503180

Alle zwei bis drei Monate dürfen andere Kinder den Ausflug machen, alle gleichzeitig würden die Alten überfordern. Darauf, endlich auch mitzudürfen, fieberten alle hin, sagen die Erzieherinnen. In den Fluren hängen Bilder, die Senioren und Kinder im Lauf der Jahre miteinander gemalt haben, und Fotos von gemeinsamen Festen.

Ungewohntes akzeptieren

Im Vorfeld haben die Kinder Geschichten gelesen über eine alte Dame, die auf einmal ihre Brille in den Kühlschrank legt. Das fanden sie lustig, aber es beschäftigt sie auch. Jetzt, im Stuhlkreis, zählt eine ältere Frau immer wieder bis Drei: "Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei, eins-zwei-drei". Mal schneller, mal langsamer, je nachdem, wie aufgeregt sie gerade ist - als wollte sie sich so einen verlässlichen Halt schaffen in einer verwirrenden Umwelt. Vom Stuhl nebenan betrachtet sie die fünfjährige Leonie neugierig. "Nee, fünf!", sagt sie schließlich und hebt eine Hand mit gespreizten Fingern dazu in die Höhe. "Wir sind schon fünf!" Langsam wendet ihr die Dame den Kopf zu, dabei weiter zählend - bis drei, nicht weiter. Erzieherin Andrea Hoffmann legt ihr die Hand auf den Arm. "Die Kinder sagen, sie sind schon fünf, nicht erst drei", erklärt sie. "Eins, zwei, drei, vier, fünf!" Zu Leonie gewandt sagt Hoffmann: "Das haben wir ja besprochen, warum die Leute hier so etwas machen, stimmt's?" Es stimmt, Leonie gibt sich zufrieden. Akzeptieren, dass sich Menschen manchmal ungewöhnlich verhalten – auch das können die Kinder hier.

Generationsbrücke in Aachen

In Aachen hat sich seit 2009 die "Generationsbrücke Deutschland" das Ziel gesetzt, Begegnungsprojekte für Kinder und Senioren in Heimen - in denen viele Bewohner an Demenz leiden - durch Unterstützung und einen festen Rahmen zu fördern. (siehe Interview mit Gründer Horst Krumbach)

Wie das aussehen kann, zeigt ein Besuch bei einem Projekt in Aachen: Auch hier sitzen Senioren und Kinder in einem Stuhlkreis. Jeweils ein Kind und ein älterer Mensch bilden dabei das gesamte Projekt über ein festes Team. Heute liegen historische Alltagsgegenstände in der Mitte des Kreises: Ein eisernes Bügeleisen, eine Spindel, eine Schiefertafel. Die Kinder suchen nun die Gegenstände heraus, die zum Beruf ihres Partners passen und die Alten erklären, was es damit auf sich hat. Das erleichtert das Gespräch – und die Kinder erfahren eine Menge darüber, wie das Leben früher so war.

Aktuell betreut die Generationsbrücke, ein gemeinnütziges Unternehmen, Projekte mit 30 Altenheimen und ebensovielen Schulen und Kitas in acht Bundesländern. Mitarbeiter schulen dann Sozialdienste und Heimleitungen, Lehrer und Erzieher, begleiten die ersten Treffen, bieten Informationsmaterial an. Das kostet die Heime im ersten Jahr 500 Euro, im zweiten Jahr 300 Euro. Auch in Köln soll es nach dem Wunsch der Initiatoren bald erste Kooperationen geben.

St.-Ursula-Gymnasium in Brühl

Und es ist nicht so, als hätten die Kinder kein Interesse an den Älteren: Als das St.-Ursula-Gymnasium in Brühl im vergangenen Jahr mit der Alzheimer-Gesellschaft "Aufwind" eine Arbeitsgemeinschaft startete, um Fünftklässler und Senioren zusammenzubringen, meldeten sich über 50 Kinder an. Schwieriger war es, Menschen mit Demenz zu erreichen - auf die Aufrufe meldete sich niemand. Am Ende trafen sich zwölf Kinder und zwölf Senioren mit körperlichen Einschränkungen ein Jahr lang regelmäßig. Dann rückten etwa die älteren Herren mit riesigen Werkzeugkoffern zum Tannenbaumaufstellen an, zur Begeisterung der Jungs.

„Wir haben vorher Übungen gemacht, um uns in die Lage der Älteren zu versetzen: Wir sind mit zusammengebundenen Knien durch die Schule gelaufen, haben Oropax getragen und versucht, mit dicken Handschuhen ein Handy zu bedienen“, erzählt Ruben Skiba, 12, von dem Projekt. Sein Projektpartner war Doktor der Physik – „er kannte sich super mit Computern aus und konnte selber Programme schreiben – das war spannender, als ich vorher gedacht habe.“

Kontakte zwischen den Generationen

"Solche Kontakte zwischen den Generationen auf freundschaftlicher Ebene gibt es sonst nicht", sagt Initiatorin Gaby Dreischulte. Dabei ist das oft einfach eine entspannte Zeit - weil die Senioren weniger unter Druck stehen als die Eltern, denen neben dem Job wenig Zeit bleibt.

Lesepaten an Grundschulen

Mancher Ältere sucht sich selbst eine Gelegenheit dazu – so wie Josef Koch. Der 79-Jährige ist hilft gemeinsam mit seiner Frau schon lange als Lesepate an der Grundschule Kettelerstraße in Köln Meschenich Kindern, denen das Lesen schwer fällt. Dass bei ihm eine beginnende Demenz diagnostiziert wurde, hält ihn zwar inzwischen vom Autofahren ab – vorsichtshalber –, aber nicht von den wöchentlichen Nachhilfe-Terminen: „Das ist für mich wie eine Verjüngungskur. Man kreist nicht so um sich selber – und das zu verhindern ist meiner Meinung nach das Wichtigste, was wir im Alter tun müssen! Und das Lesen und Erklären, das bringt allen etwas – mir genauso wie den Schülern.“

Heinrich-Püschel-Haus

Im Heinrich-Püschel-Haus sitzen Alte und Kinder inzwischen in einem Stuhlkreis. Gemeinsam sollen sie zwei Ballons in der Luft halten. Innerhalb von Momenten balgt sich in der Mitte ein übermütiges Kinderknäuel. Und rundherum: Beweisen Senioren erstaunliche Reaktionsfähigkeit - und kindliche Freude am Spiel. Ein altes Paar, das bisher still und mild lächelnd Hand in Hand nebeneinander gesessen hat, überbietet sich auf einmal darin, den Kindern die Ballons zurückzuspielen. Ihre Wangen glühen vor Leben. Allein das, so scheint es, rechtfertigt diese Besuche und gibt ihnen Sinn.

Bilder: Max Grönert