Psychologie-VeranstaltungKonflikte sind wie ein Spiegel

Sich Konflikten zu stellen und sie auszutragen ist ein Zeichen seelischer Gesundheit.
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Herr Domke, gibt es einen Unterschied zwischen Konflikt und Streit?
Ich nenne mal die Gemeinsamkeit: Beide haben ein schlechtes Ansehen. Keiner mag Streit und keiner mag Konflikte. Aber so lange es Menschen gibt, wird es Streit und Konflikte geben. Das ist nicht schlimm, denn das brauchen wir, sonst könnten wir uns nicht entwickeln. Wir sind nun mal keine gleichförmige Masse.
Trauen wir uns Konflikte nicht mehr zu?
Es scheint so, als gäbe es eine unausgesprochene Absprache, dass wir Konflikte lieber vermeiden sollten. Und damit beginnt das Problem, denn das klappt nicht. Konflikte lassen sich nicht vermeiden. Und zudem: Konflikte haben durchaus einen beachtlichen Unterhaltungswert.
Was soll daran so amüsant sein?
Schalten Sie den Fernseher ein und wählen Sie eine beliebige Sendung. Es gibt keine einzige, die nicht von Konflikten lebt. Beim Fußball amüsieren wir uns eineinhalb Stunden lang darüber, dass zwei Mannschaften gegeneinander antreten. Das finden wir nicht schlimm. Im Gegenteil. Es hält Millionen Zuschauer bei der Stange.
Es gibt aber wunderbar harmonische Liebesromanzen, die viele ganz toll finden.
Aber auch die sind nie ohne Konflikt. Wenn in den Filmen bei Mann und Frau schon nach fünf Minuten alles klar wäre, es keine Widerstände gäbe, das wäre doch ein total langweiliger Film. Wir wollen sehen, was trotz aller Liebe bei den beiden nicht klappt. Dann erst ist uns das was wert.
„Angst vor Konflikten“, Mittwoch, 4. März, 19 Uhr, studio dumont, Breite Straße, 72, Köln-Innenstadt
Experte: Dr. Wolfram Domke, Psychologe
Moderation: Marie-Anne Schlolaut
Karten für 12,55 Euro (Abocard 10,50 Euro) gibt es ab sofort im Servicecenter Breite Straße 72, Köln, bei Kölnticket unter 0221 / 28 01
Ist die Angst vor Konflikten darin begründet, dass wir Angst vor den Konsequenzen haben?
Konflikte kommen uns immer ungelegen. Wir denken, dass wir uns gerade ganz gut eingerichtet haben, und nun kommt etwas auf uns zu, dass uns in unserer vermeintlichen Sicherheit bedroht. Diese Bedrohung wollen wir am liebsten verdrängen.
Bringen Konflikte unsere hässliche Seite zutage?
Ja, und das wollen wir nicht wahrhaben. Daher sehen wir das Hässliche, das Bedrohliche immer nur bei unserem Gegenüber. Mit dieser Sichtweise werden auch Kriege geführt, indem der Kontrahent als gefährlich und unmenschlich dargestellt wird. Um den Kampf fortzusetzen und das Feindbild aufrecht zu erhalten, muss ich dafür sorgen, dass sich beide Seiten nicht näher kommen.
Was können uns Konflikte geben?
Sie zwingen uns, Eigenschaften in uns wahrzunehmen, die wir gar nicht gerne sehen möchten. Aber nur, wenn wir diese Erkenntnis haben, können wir uns auch weiterentwickeln. Konflikte halten uns einen Spiegel vor.
Hängt die Scheu vor Konflikten mit unserer Sucht nach Harmonie zusammen?
Ich weiß nicht, ob wir früher eher bereit waren, Konflikte zuzulassen und auszutragen. Wir geben uns heute nach außen hin eher harmonisch und hegen die Hoffnung, dass es schon irgendwie weitergehen wird ohne anzuecken. Das ist ein Stück Bequemlichkeit. Und weil wir uns gern so verhalten, kommen mittlerweile immer mehr Menschen zur Therapie. Wir sind nun mal eckige und widersprüchliche Wesen.
Sagt es was über uns aus, wie wir Konflikte austragen, also ob wir schreien, schweigen oder cool argumentieren?
Jeder hat im Lauf seines Lebens Formen der Auseinandersetzung entwickelt, mit denen er denkt, zurechtzukommen. Man sollte sich aber nicht so sicher sein, dass die einmal erlernte Methode für immer Gültigkeit hat.
Gibt es also unangebrachte und angebrachte Formen der Auseinandersetzung?
Nein, derjenige, der brüllt ist nicht besser oder schlechter als einer, der sich schweigend dem Konflikt stellt. Die Brüller hören allerdings oft nicht zu, und wer strategisch schweigt, hofft so aus dem Schneider zu sein. Doch mit all diesen Strategien laufe ich Gefahr den Zeitpunkt zu verpassen, an dem ich mitgestalten kann.
Muss es denn immer ein Konflikt sein, reicht es nicht, Dinge einfach zu thematisieren?
Da ist sie ja wieder, die Einstellung, dass Streit unvernünftig ist. Als wären Konflikte gleichzusetzen mit dem Aussetzen des Verstandes und der Vernunft. Streit und Konflikte sind das normalste, was es gibt. Und Vernunft als Ideal ist schlichtweg zum Verzweifeln.
Sind Konflikte oft ein reinigendes Gewitter?
Nicht immer, aber sie können es sein, wenn endlich das herausbricht, was lange in uns geschwelt hat. Es ist ein Zeichen seelischer Gesundheit, wenn wir Konflikten nicht ausweichen.
Liegen Ursachen für Konflikte meist in der Vergangenheit?
Die Ursachen weniger, aber unsere Verhaltensmuster schon. Wir leben oft in der Vergangenheit und sehen aktuelle Ereignisse mit den Augen der Kindheit. Folglich verhalten wir uns wie bei den Konflikten, die wir einst mit den Eltern ausgetragen haben. Aber es sind nicht mehr die Eltern, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Sie sind nicht wiederauferstanden.
Wenn ich einen Konflikt anzettele, suche ich dann nach einem Sündenbock?
Das ist ein Mechanismus, um einen Konflikt nicht austragen zu müssen. Der Vorteil ist, dass nicht ich es bin, der sich schuldig fühlen muss, sondern bitte schön der andere.
Wie lange kann ich mich anpassen, bis es zum Konflikt kommt?
Manche tun das ein Leben lang und verharren in der Dulde-Haltung. Irgendwann kommt der Ausbruch. Das ist oft unheimlich für uns selbst und die anderen, wenn eine Riesenwut unter der Fassade der Wohlanständigkeit brodelt und sich ihren Weg sucht.
Versuchen wir in Konflikten unsere Probleme zu lösen oder wollen wir vorrangig den anderen nach unseren Vorstellungen ändern?
Ja, das wollen wir. Wir wollen, dass der andere nicht so komisch sein soll. In der Psychotherapie gehen wir genau den anderen Weg, indem wir den Patienten erklären: Versuche nicht die Welt zu ändern, sondern ändere dich selbst.
Haben wir Angst davor, weil wir diese Seite in uns nicht wahrhaben und nicht sehen wollen?
Man kann das mit dem Blick in den Spiegel vergleichen. Wir gucken gerne in den Spiegel und wir treiben einen Riesenaufwand, damit wir positiv widergespiegelt werden. Alles andere halten wir schlecht aus.
Gibt es alltägliche und grundsätzliche Konflikte?
Das lässt sich nicht trennen. Alle, auch die ganz banalen Konflikte, sind grundsätzlicher Natur. Es geht immer um das große Ganze, auch wenn uns das nicht klar ist.
Verlernen wir die Bereitschaft zu Konflikten im Lauf des Lebens?
Kleine Kinder sind noch konfliktbereit und darin hemmungslos. Wir lernen aber mit der Zeit, uns in unseren widersprüchlichen Tendenzen zu mäßigen. Das ist gut so. Wir nennen das Kultivierung, denn wir schaffen uns einen Rahmen, in dem wir Konflikte austragen können. Wie beispielsweise bei »Mensch ärger dich nicht!«: Konflikte sind programmiert, aber das ist ja der Reiz. Die Kunst des Lebens ist es hier wie auch sonst – im Spiel bleiben.