„Good vibes only!“Warum der Zwang zum Glücklichsein unglücklich macht

Lesezeit 7 Minuten
Neuer Inhalt (1)

Köln – Mach‘ das Beste draus! Sei dankbar! Good vibes only! Vor allem in den Sozialen Medien scheint es nur Positives zu geben. Aber auch im echten Leben sind Traurigkeit, Wut oder Angst nicht so gerne gesehen. „Sieh’s doch mal positiv! Du kannst sicher was daraus lernen!“ muss sich mancher nach einem Schicksalsschlag anhören. Dieser Zwang zur guten Laune und zum ewigen Optimismus wird Toxic Positivity genannt und kann, wie der Name schon sagt, irgendwann sehr giftig für uns werden. Immer nur alles positiv sehen, nur das Schöne und Lustige zeigen und alle schlechten Gefühle verbannen, kann sehr unglücklich machen.

Wer nicht glücklich ist, ist selber schuld

„Probleme, Sorgen und Schwierigkeiten sind dazu da, überwunden zu werden“, heißt es oft. Aus Niederlagen soll man lernen und in allem nur das Positive sehen. Wer traurig, wütend, einsam oder antriebslos ist, hat sich vielleicht nur nicht genug angestrengt und sein Mindset nicht ausreichend optimiert. Wer nicht glücklich ist, ist selbst schuld. Sehr gut beobachten konnte man diese Einstellung im ersten Lockdown im vergangenen Jahr. Wer keine Bananenbrote buk, die Yogamatte ausrollte, endlich Italienisch lernte oder wenigstens die Wohnung ausräumte, sondern statt dessen erstarrt und antriebslos war, hatte das Gefühl, etwas falsch zu machen. Woher nahmen die Leute die Energie, diesen massiven Einschnitt in unser Leben in etwas Positives zu verwandeln, ihn gar als Chance zu sehen?

Auch die Journalistin Anna Maas fühlte sich während des ersten Lockdowns sehr falsch. Es wollte ihr einfach nicht gelingen, mit Quarantäne-Kind und Job-Sorgen dankbar und positiv zu sein und sie reagierte zusehends gereizt auf alle Vorschläge aus der Kategorie „Mach-das-Beste draus!“ Sie begann zu recherchieren und fand heraus, dass es einen Begriff für dieses Gefühl gibt: Toxic Positivity. „Hatte ich zuvor die leise Befürchtung gehabt, dass ich einfach ein zutiefst neidischer, fieser Mensch war, der anderen ihr Glück nicht gönnte, wurde ich nun eines besseren belehrt. Daran lag es nicht. Es waren weder Neid noch Missgunst, die mich runterzogen, es waren giftige Mengen an zwanghaftem positivem Denken“, formuliert sie ihre Erleichterung. Sie stieg tiefer in das Thema ein und schrieb das Buch „Die Happiness-Lüge. Wenn positives Denken toxisch wird.“

Neuer Inhalt (1)

Sie beschreibt darin zunächst den Begriff Toxic Positivity als ein Lebenskonzept, sich ausschließlich auf positive Dinge zu konzentrieren und alles abzulehnen, was negative Emotionen triggern könnte. Blöd nur, wenn diese Vermeidungsstrategie genau zum Gegenteil führt und die Probleme und negativen Gedanken durch die Verdrängung noch größer werden. „Als würde man versuchen, einen prall gefüllten Luftballon ständig unter Wasser zu drücken. Irgendwann springt er nach oben“, schreibt Maas. Diese Erfahrung hat sie selbst gemacht. Während des Lockdowns gab sie sich trotz aller Sorgen und Gereiztheit Mühe, optimistisch zu sein und auf sich zu achten, blieb aber weiterhin unzufrieden. Sie erinnert sich: „Es half nicht. Und zu den Sorgen, die sowieso schon da waren, kam dann auch noch das schlechte Gewissen, dass ich es einfach nicht schaffte, positiver zu denken. Eine Negativspirale. Mit dem Konzept Toxic Positivity fand ich endlich eine Lösung dafür. Positives Denken war eben nicht die Lösung aller Probleme.“

Wer traurig ist, behält das meistens für sich

In ihrem Buch befasst sich Maas mit unterschiedlichen Bereichen, in denen der Zwang zum Optimismus sehr verbreitet ist. Ein Kapitel befasst sich mit Krankheiten und Schicksalsschlägen. Maas beschreibt anschaulich, wie Betroffene sich reflexartig gut gemeinte Sprüche à la „So lernst du das Leben wieder zu schätzen“ anhören müssen. Nach dieser Auffassung sollen Krankheiten, Verlust und Schicksalsschläge als Chance zum Lernen umgedeutet werden. Doch wem hilft das?

Neuer Inhalt (1)

Sich verletzlich zu zeigen, erfordert Mut. Wer leidet, tut das in der Regel still und allein. Trauer und Schmerz werden verdrängt oder mit sich selbst ausgemacht, weil man niemanden damit belasten möchte. Jeder, der mal Liebeskummer hatte weiß, dass selbst die besten Freunde irgendwann sagen: „Jetzt ist mal gut! Andere Mütter haben auch schöne Kinder.“ Also spricht man nicht mehr über seinen Schmerz, weil man in den Augen der anderen nun offenbar genug getrauert hat. Der ständige und immer wiederkehrende Hinweis auf das Positive führt dazu, dass Traurigkeit immer weiter verdrängt wird. „Wer mit anderen Menschen über Sorgen, Ängste oder unangenehme Gefühle spricht und ein ‚Sieh’s doch mal positiv‘ als Antwort bekommt, fühlt sich abgefertigt und nicht ernst genommen. Die eigenen Gefühle verlieren an Wichtigkeit. Wer es nicht schafft, die gute Laune zu behalten, zieht sich in Krisenzeiten einfach zurück und schämt sich ein bisschen“, schreibt Maas.

Krankheit als Chance?

Auch wer krank wird, kann unter die Räder der notorischen Positiv-Denker geraten. Ist man am Ende selbst schuld, weil man die falsche Einstellung hat und nicht kämpferisch genug ist? Maas zitiert die Autorin Barbara Ehrenreich, die an Brustkrebs erkrankt war und in ihrem Buch „Smile or Die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt“ erzählt: „In der extremsten Variante dieser Haltung wird Brustkrebs nicht mehr als Problem gesehen, nicht einmal als Ärgernis, sondern als ‚Geschenk‘, das wir mit größtmöglicher Dankbarkeit annehmen sollten.“ Immer wieder werde den Betroffenen vermittelt, dass sie diese Krankheit „brauchen“, um zu sich selbst zu finden.

Von Instagram bekommt man ein besonders schlechtes Gefühl

Besonders hell leuchtet die Happy-Welt in den Sozialen Medien. Vor allem auf Instagram begegnen einem scheinbar nur hübsche, lachende, verliebte Menschen mit tollem Essen am Strand. Alle sind #blessed und verbreiten #goodvibesonly. Das kann natürlich schlechte Laune machen, wenn man selbst gerade zuhause auf dem Sofa zwischen der Bügelwäsche sitzt.

Das könnte Sie auch interessieren:

„Dass die Menschen, die da ihre tollen Fotos teilen, nur einen selektiven Ausschnitt einer gewählten Realität zeigen, vergisst man oft. Da gibt es eben diesen Drang, dass alles immer positiv, toll, besonders und shiny sein soll“, sagt die Psychologin Linda Leinweber aus Fulda, die sich schon länger mit Toxic Positivity beschäftigt. Sie meint, es sei eine tägliche Aufgabe, sich von dieser Scheinwelt abzugrenzen.

Ebenfalls interessant

Neuer Inhalt (1)

Die Komikerin und Autorin Sabine Bode rechnet in ihrem Buch „Lassen Sie mich durch, ich muss zum Yoga. Achtsames Ausatmen für Postjugendliche mit aufgehendem Mittelfinger im Morgenrot auf amüsante Weise mit dem allgemeinen Wohlfühl- und Entspannungswahn ab. Besonders schön der Test zu Beginn „Leicht angespannt oder kurz vor Kinski: Wie dringend brauchen Sie dieses Buch?“ 

Goldmann Verlag, 221 Seiten, 14 Euro

Das hat auch Anna Maas festgestellt. In jeder noch so kleinen Lücke des Tages griff sie zum Smartphone und schaute sich lieber banale Instagram-Stories an als das echte Leben um sich herum. „Jede zeitliche Lücke wird mit Input gefüllt. Input, der mich daran hindert, ein paar Minuten in mich hineinzufühlen und zu schauen, was in meinem Leben eigentlich gerade passiert, selbst wenn es nicht so spannend ist. Manchmal schreibt mir meine beste Freundin einfach nur: ‚Wie geht es dir?‘ und ich starre auf diese Nachricht und denke erschrocken: Ich weiß es nicht. Müsste ich mal drüber nachdenken.“

Alle Gefühle müssen wahr- und ernst genommen werden

Zu wissen, wie es einem geht und was man braucht, ist genau die Lösung, um wieder aus der erdrückenden Blase der guten Laune herauszukommen. Dafür ist allerdings etwas Arbeit nötig und vor allem müssen auch die vermeintlich negativen Gefühle wahrgenommen werden. Warum bin ich jetzt wütend? Was genau macht mir Angst? Wieso stört mich der Kommentar des Kollegen so? Wer seine Gefühle nicht weg drückt, sondern reflektiert, kommt seinen wahren Bedürfnissen auf die Spur. Und das ist extrem wichtig für unsere Gesundheit, bestätigt die Diplom-Psychologin Doris Röschmann aus Hamburg: „Wer seine wahren Gefühle dauerhaft verdrängt, leidet oft an Schlafmangel, Depressionen und einem schwachen Immunsystem.“ Sie glaubt, dass das Bedürfnis, nach außen unbedingt ein schönes Leben darstellen zu wollen, auf eine massive Selbstentfremdung hindeutet.

Nicht jedem gelingt es eigenständig, verdrängte Gefühle zuzulassen und zu ordnen. Bei diesem Prozess können Psychologen und Therapeuten helfen. Und dann gilt es, die Gefühle nicht zu bewerten. Anna Maas ist überzeugt: „Es gibt keine guten und keine schlechten Emotionen. Denn alles, was wir fühlen, also auch das, was uns erstmal unangenehm erscheint, kann nützlich sein. Durch unsere Gefühle können wir Veränderungen bei uns selbst und in der Gesellschaft anschieben, unsere eigene Persönlichkeit kennenlernen, besser kommunizieren und unsere Freundschaften intensivieren. Kurz: Wer alle Emotionen zulässt, ist auf lange Sicht zufriedener. Wir sollten Schluss machen mit Toxic Positivity. Schluss mit dem Dauerlächeln, wenn es uns nicht gut geht. Stattdessen sollten wir das Auf und Ab des Lebens zelebrieren.“ Mit einem Satz: Statt #goodvibesonly gilt #allvibeswelcome. (mit dpa)

KStA abonnieren