Psychologin erklärtWir träumen in Coronazeiten mehr - warum das gut ist

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Unsere Träume spiegeln meist das Erleben des Tages wider. 

  • In unseren Träumen verarbeiten wir die Erlebnisse des Tages.
  • Die Psychologin Dr. Brigitte Holzinger untersucht, ob Menschen während der Corona-Ausgangsbeschränkungen anders träumen.
  • Im Interview spricht sie über die ersten Erkenntnisse und die Bedeutung des Träumens an sich.

Köln – In unseren Träumen spiegeln sich oft die Erlebnisse des Tages wider, die wir auf diese Weise verarbeiten und einsortieren. Ändern sich unsere Träume in Krisensituationen? Dr. Brigitte Holzinger ist Psychologin und leitet das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien. Aktuell führt sie eine Online-Umfrage durch, mit der sie herausfinden möchte, ob Menschen während der Corona-Ausgangssperren anders träumen. Im Interview spricht sie über erste Erkenntnisse und die Bedeutung des Träumens an sich. 

Frau Dr. Holzinger, Sie führen derzeit auf Ihrer Homepage eine Umfrage durch, mit der Sie herausfinden möchten, ob die Menschen in Zeiten der Corona-Pandemie und vor allem während der Ausgangsbeschränkungen anders träumen. Wie gehen Sie dabei vor?

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Dr. Brigitte Holzinger: Die Fragebögen habe ich nicht extra entwickelt, sondern benutze sie auch für meine normale Arbeit. Es geht zunächst um formale Fragen zum Traum: „Wie viel haben Sie geträumt? War das in Farbe? Ging es um die Vergangenheit oder die Zukunft? Kamen bekannte Personen vor?“ Dann gibt es die Möglichkeit, den Traum selber aufzuschreiben. Außerdem frage ich nach persönlichen Eigenschaften, um den Menschen besser einschätzen zu können. Das richtet sich in meiner normalen Arbeit vor allem an die Menschen mit Schlafproblemen, die sich so vielleicht bewusst machen können, warum sie nicht schlafen können. Natürlich werden auch Schlafdauer und –verhalten sowie die subjektive Einschätzung der Schlafqualität abgefragt. Die Teilnehmer sollen die Bögen zweimal ausfüllen: einmal aus der Erinnerung heraus, wie sie vor dem Beginn der Ausgangsbeschränkungen Mitte März geträumt haben, und dann noch einmal ganz aktuell. 

Haben sich die Antworten der Menschen seitdem verändert? Holzinger: Wir sind noch nicht fertig mit der Datenerhebung, die Umfrage läuft noch. Aber ich kann eine erste Einschätzung geben und erzählen, was mir die Leute sagen: Etwa ein Drittel der Leute schläft deutlich besser, zumindest in den ersten paar Wochen nach der Ausgangsbeschränkung. Es wird allerdings auch Menschen geben, die schlechter schlafen oder mehr Alpträume haben jetzt in dieser Zeit. Die Menschen träumen insgesamt mehr und können sich auch besser an ihre Träume erinnern.

Woran liegt das? Holzinger: Ich ziehe daraus den Schluss, dass wir üblicherweise in einer extrem gestressten Situation leben und ganz und gar vergessen haben, unser Schlafen und unser Träumen zu beachten. Geträumt wird vor allem im REM-Schlaf, den hat man vor allem am Ende der Nacht. Das könnte erklären, warum wir uns in ruhigeren Zeiten, in denen wir nicht vom Wecker aus dem Schlaf gerissen werden, besser an Träume erinnern. Damit übersieht man sonst eine unglaubliche Ressource, die uns einerseits gesund hält, denn ausreichender und guter Schlaf ist die beste Voraussetzung für ein gutes Immunsystem und gute Stimmung.

Andererseits ist das Träumen an sich eine wunderbare Ressource, um ein bisschen in sich hineinzuhorchen. Wie geht es mir denn? Womit beschäftige ich mich gerade? Träume können auch als Inspirationsquelle für Projekte dienen und kreative Hinweise geben. Es tut uns wahnsinnig gut, wenn wir jetzt nicht durch den Wecker aus den Träumen gerissen werden und uns selber einteilen können, wann und wie lange wir schlafen. Wenn wir uns die Zeit nehmen können und wollen, uns an den einen oder anderen Traum zu erinnern.

Sie sagten, Träume könnten auch als Inspirationsquelle dienen und dabei helfen, zu reflektieren, was einen beschäftigt. Für manche Menschen sind Träume nur ein chemischer Prozess, für andere sind sie etwas Übersinnliches. Können Sie in einem Satz sagen, was Träume für Sie bedeuten? Holzinger: In erster Linie eine weitere Verarbeitung und Erweiterung unserer sinnlichen Wahrnehmung vom Tag davor oder den Tagen davor. Mit sinnlicher Wahrnehmung ist alles gemeint, was uns mit der Außenwelt verbindet, also was wir sehen, was wir riechen, was wir schmecken, was wir hören. Unsere Wahrnehmung ist eng verknüpft mit unseren Empfindungen und Erfahrungen. Für mich ist der Traum die Verarbeitung dessen in dem bereits vorhandenen Erfahrungsschatz, den wir haben. Insofern kann man sagen, dass der Traum eine kleine Psychotherapie ist, die wir jede Nacht mit uns machen, um die Herausforderungen des Tages bestmöglich bewältigen zu können. 

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Können Träume auch in die Zukunft schauen? Holzinger: Der Traum beschäftigt sich auch mit der Zukunft. Wir selber träumen, wir werden nicht geträumt. Das bedeutet, dass wir uns im Traum auch mit Aufgaben auseinandersetzen und auf sie vorbereiten, die uns noch bevorstehen. Auch, wenn das nicht bewusst abläuft.

Manchmal sind die Traumbotschaften nicht so leicht zu entschlüsseln. Wie kann man deuten, was der Traum einem sagen soll? Empfehlen Sie, die Träume aufzuschreiben und zu reflektieren? Holzinger: Unbedingt. Da der Traum ein sinnlicher Verarbeitungsprozess ist, findet man den Zugang zum Traum am besten über die Sinnlichkeit. Das heißt, dass man nicht vom Kopf her versucht zu deuten und zu reflektieren. Der effektivere Weg ist das sinnliche Wiedererleben von dem, was im Traum an Sinnlichem vorgekommen ist. „Was habe ich gespürt? Was habe ich gesehen? Was habe ich gerochen oder gehört?“ Sich darauf einzulassen wie in einer Meditation, denn da kommt Erinnerung von den echten sinnlichen Erlebnissen hoch, zum Beispiel vom Vortag. Gehen Sie der Empfindung nach und horchen Sie in sich hinein. Dann wird ganz klar, womit sich der Traum beschäftigt hat. Der Traum hat dann etwas getan, was er tun muss: Er hat schon etwas bewirkt, bewältigt und in den Erfahrungsschatz eingebaut. Ich muss mir meine Träume nicht unbedingt merken. Die machen eh ihre Sache großartig und von selbst. Möchte ich aber diese Prozesse der Selbstheilung unterstützen, ist es schlau, den Traum zu bergen und ihn über diese sinnliche Erinnerung in Worte zu fassen, und zwar möglichst vorurteilsfrei. Das bedeutet, ihn erst einmal ohne die übliche Logik wie in einem Kunstwerk zu beschreiben.

Erinnert man sich besser an seine Träume, wenn man sich regelmäßig mit ihnen befasst? Holzinger: Auf jeden Fall. Wenn das Selbst Aufmerksamkeit kriegt, dann kommt das zurück und man merkt sich die Träume noch viel besser. Man kann auch lernen, Träume zu steuern, das nennt man luzides Träumen oder Klarträumen. Sich an Träume zu erinnern, ist der erste Schritt dazu.

Fliegen, fallen und ausfallende Zähne gelten als typische Traumsymbole, die immer wieder vorkommen. Was sind die häufigsten Dinge, von denen die Menschen träumen und haben die eine Bedeutung, die für alle ähnlich ist? Holzinger: Fallen oder Fliegen wird sicher von vielen ähnlich empfunden. Trotzdem ist die Ausprägung dessen, was erlebt oder gespürt wurde, individuell. Was die Symbole einem sagen wollen, kann man nur für sich selbst klären. Es geht wie gesagt auch nicht um die Botschaft. Es geht darum, dass der Traum schon macht, um was es eigentlich geht: Sich selber verstehen lernen. Und das macht man, indem man selber in sich hinein horcht, hinein spürt und Zusammenhänge herstellt. Wenn mir im Traum der Zahn ausfällt, erinnert mich das vielleicht an eine Situation, in der ich zahnlos meinem Chef gegenüber gestanden bin.

Es gibt Träume, die immer wieder kommen. Haben die eine besonders vehemente Botschaft? Holzinger: Zunächst einmal sollten Sie sich auf diesen ganz spezifischen Traum einlassen und ihn in Worte fassen. Schreiben Sie den Traum auf und spüren Sie nach, wo in Ihnen dabei etwas in Schwingung kommt. Träume haben nicht nur einen, sondern viele Aspekte, die man betrachten kann. So kann man sich besser verstehen lernen und besser für sich sorgen. Wiederkehrende Träume sind ein Hinweis dafür, dass etwas in Ihnen beachtet und gewürdigt werden will. 

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