Wenig Termine, AnrufbeantworterWarum Kölner Arztpraxen auch nach der Pandemie so voll sind

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Drei Menschen sitzen nebeneinander in einem Raum auf Stühlen und warten.

Alle Plätze besetzt: Die Wartezimmer von Arztpraxen sind voll.

Das Wartezimmer ist voll, das Telefon klingelt ununterbrochen. Wie klappt es trotzdem mit einem Termin beim Arzt?

Es klingelt, aber niemand hebt ab. Irgendwann meldet sich dann der Anrufbeantworter. Ob Routineuntersuchung oder akuter Fall: Ein schneller Termin beim Arzt wird immer mehr zur Glückssache. Warum ist das so? Wie lässt sich das Problem lösen? Und wie kommt man trotzdem kurzfristig an einen Termin?

Zu Zeiten von Erkältungswellen waren Arztpraxen schon immer voll. Während mehr Menschen einen Termin brauchen, fällt auch mehr Personal erkrankt aus. In diesem Jahr hat sich diese Welle besonders langgezogen, wie Dr. Tim Knoop berichtet. Er leitet eine Hausarztpraxis in Köln-Nippes. „Die Erkältungswellen, die sonst im Januar oder Februar durch sind, gab es diesmal bis ins Frühjahr hinein“, erzählt er.

„Arztpraxen sind supervoll, manche können den Zulauf gar nicht mehr bewältigen“

Aber: Mit dem Ende der Erkältungswelle ist das Problem nicht gelöst. Erst in der vergangenen Woche musste Knoop mit seiner Praxis eine benachbarte Praxis vertreten, die aufgrund von Personalengpässen geschlossen bleiben musste. „Ich höre hier ringsherum auch immer wieder, dass es starke Probleme gibt“, berichtet Knoop.

Keine Einzelfälle, wie der Hausärzteverband Nordrhein bestätigt. Sprecherin Monika Baaken weiß, wie es in den Terminkalendern der Arztpraxen aussieht: „Voll. Supervoll. Wir hören, dass einige Arztpraxen den Zulauf an Patienten eigentlich gar nicht mehr bewältigen können.“ Gerade während der Erkältungswellen würden auch Krankheitsfälle einige Praxen „etwas ‚lahm‘ legen“, wie Baaken sagt. Doch die Ursache sitzt tiefer: Das Personal erkrankt nicht nur, es gibt auch schlichtweg nicht genug.

Weniger Ärzte und Angestellte, mehr Patienten

Ein Faktor ist der demografische Wandel: Zum einen wird die Bevölkerung immer älter, mehr Menschen in höherem Alter sind auf medizinische Betreuung angewiesen. Zum anderen werden in den kommenden Jahren die Ärzte der Babyboomer-Generation aufhören. Das sei ein Problem, das in den nächsten Jahren noch deutlicher zutage treten werde, so Baaken. „Die Patienten verteilen sich auf eine geringer werdende Anzahl an Praxen. Denn die ausscheidenden Ärzte können nicht alle durch den Nachwuchs aufgefangen werden.“ Und die verbleibenden Praxen könnten „ja nicht unbegrenzt ihre Öffnungszeiten ausdehnen.“

Das funktioniert allein nicht, weil es auch in der Berufsgruppe der Medizinischen Fachangestellten (kurz: MFA, früher Arzthelferin) Personalprobleme gibt. Monika Baaken berichtet: „Es kommt nicht genug Nachwuchs, um die offenen Stellen abzudecken.“ Viele seien gewillt, sich weiterzuqualifizieren und mehr Verantwortung zu übernehmen, aber bisher bekommen sie die oft nicht. Zudem ist die Belastung hoch, die Bezahlung nicht. Am Ende wechseln viele dann von der Praxis ins Krankenhaus.

Mehr Verantwortung für Angestellte in der Arztpraxis

Weniger Ärzte, weniger Angestellte, dazu mehr Patienten – die Gründe für das lange Warten in der Hausarztpraxis sind bekannt. Gibt es denn Ideen, wie man es gelöst bekommen könnte? „Das Terminproblem ist schwierig zu lösen“, sagt Tim Knoop, Ärzte und Praxishelfer kann niemand herzaubern. Doch es gibt Ansätze. Einer davon: die Struktur in der Arztpraxis ändern. „Die Hierarchien müssen sicherlich flacher werden, so wie es jetzt ist, ist es nicht mehr zeitgemäß“, findet Knoop.

„Der Trend geht zur Akademisierung. Dann sind Angestellte noch besser ausgebildet und können dem Arzt umfassender zuarbeiten. Die MFAs können total viel, da bin ich auch sehr offen“, sagt Knoop und nennt ein Beispiel: „Wenn jemand ein Ultraschall machen kann, dann soll er das machen. Dafür muss man nicht Medizin studiert haben. Der Arzt behält natürlich die Verantwortung, sieht aber zu, dass die Mitarbeiter das auch können. Dann kann man ein Team bilden, das ist die Zukunft: eine Teampraxis.“

Durch die größere Verantwortung erhofft sich Knoop, mehr medizinische Fachangestellte im Praxisalltag halten zu können. Die Momentaufnahme gibt ihm recht. Während seine Praxis eine andere aufgrund von Personalausfall vertritt, sind bei ihm „gerade jetzt fünf Schülerinnen fertig, die auch weiter hier bleiben. Wir haben das Glück, dass wir viel ausgebildet haben.“ Was auch hilft: „Während der Corona-Pandemie haben wir für die Organisation und Termine fachfremde Kräfte mit eingebunden. Die sind weiter bei uns im Team.“

Verband hinterfragt Struktur der Honorierung von Hausärzten

Das Konzept eines solchen Teams sieht auch der Hausärzteverband Nordrhein als eine Lösung. „Wir müssen einiges ändern in der Praxisorganisation und -arbeit. Und weg von der reinen Arzt-Patienten-Zeit, stattdessen Aufgaben an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter delegieren“, sagt Monika Baaken. „Das bedeutet aber natürlich auch, dass man da dann über die Gehälter sprechen muss.“ Und auch die Struktur der Bezahlung. Die Honorierung vieler Aufgaben durch die Krankenkassen sei absolut am Arzt orientiert, nicht am Team.

Und: Ein gut funktionierendes Praxisteam beim Hausarzt könnte aus Knoops Sicht auch Fachärzte entlasten. „Wenn Sie mich als Hausarzt fragen, müsste man mehr auf die Hausarztmedizin setzen. In Politik und Gesellschaft“, sagt der Arzt. Er erlebe es immer wieder, dass Patienten direkt einen Facharzt aufsuchten, obwohl sie auch zum Hausarzt gehen könnten. Bei dem sie nach dem Befund durch den Facharzt ohnehin oft vorstellig werden. „Fachärzte haben sehr lange Wartezeiten, das müsste nicht so sein.“

Aus seiner Sicht sollten Patientinnen und Patienten zunächst beim Hausarzt vorstellig werden, der dann zum entsprechenden Facharzt überweisen kann. „Der Hausarzt ist der zentrale Player im Gesundheitssystem. Das ist auch am günstigsten so. Nur so werden wir die demografischen Herausforderungen in der Zukunft bewältigen können.“ Dass dieser Weg nicht ganz der Freiheit der Arztwahl entspricht, ist ihm bewusst. „Ja, das würde eine Einschränkung der Facharztwahl bedeuten. Aber eigentlich verliert keiner.“

Hausarzt gibt Tipps: So kommt man besser an einen Termin

Das alles sind Vorschläge für die Zukunft. Doch was können Patientinnen und Patienten tun, die kurzfristig einen Termin brauchen? Tim Knoop rät: „Montag ist traditionell der Chaostag in den Hausarztpraxen. Weil sich über das Wochenende vieles aufgestaut hat. Wenn man es vermeiden kann, sollte man nicht am Montagmorgen, sondern eher am Nachmittag oder dienstags zum Arzt gehen.“

Das spiegele sich auch in der telefonischen Erreichbarkeit wider. Montagmorgens ist das Telefon häufig im Dauereinsatz. „Und wenn die Praxen mit E-Mails arbeiten, ist es natürlich am entspanntesten, darüber Kontakt aufzunehmen.“ Wer dringend zu einem Facharzt muss, dort aber keinen Termin bekommt, sollte sich an den Hausarzt wenden, rät Knoop. Das sei am einfachsten. „Wenn der Hausarzt ebenfalls der Meinung ist, dass es dringend ist, dann bekommt man auch schnell einen Termin.“

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