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In Sachen LiebeWas gegen Ungleichgewicht in der Beziehung hilft

Lesezeit 4 Minuten
  • Was gibt es Schöneres und Wichtigeres im Leben als die Liebe? Wie wir sie finden, pflegen und sie uns erhalten; was geschieht, wenn sie vergeht oder wir sie verlieren – darum geht es in unserer neuen Kolumne „In Sachen Liebe“.
  • Im wöchentlichen Wechsel beantworten die erfahrenen Psycholgen Damaris Sander und Peter Wehr sowie Urologe Volker Wittkamp und Schauspielerin Annette Frier Ihre Fragen rund ums Liebesleben, Sex und alles, was Paaren begegnet.
  • In dieser Folge geht es um ein häufiges Problem: Ein Partner möchte Nähe, der andere Distanz – da sind Konflikte vorprogrammiert. So können Sie sie bewältigen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, wenn es um ein stärkeres Ungleichgewicht in Bezug auf Autonomie und den Wunsch nach Gemeinsamkeit geht, wenn der eine den anderen mehr „braucht“, der aber sehr viel mehr Wert auf Individualität und Unabhängigkeit legt?

Sie beschreiben eine Beziehungskonstellation mit reichlich Potenzial für Konflikte. Ich versuche einmal, mir einen typischen Dialog vorzustellen:

A: Du, ich habe überlegt, ich werde mir diesen Sommer meinen Rucksack schnappen und die Alpen überqueren.

B: Aber wir wollten dieses Jahr doch drei Wochen gemeinsam nach Finnland fahren.

A: Können wir doch auch: Du fährst schon mal vor und ich komme die letzten anderthalb Wochen dazu.

B: Ich hasse diese Unverbindlichkeit. Voriges Jahr hatten wir auch nur eine gemeinsame Woche Urlaub. So stelle ich mir unsere Beziehung nicht vor. Ich glaube, du liebst mich gar nicht mehr.

A: Nicht das schon wieder! Ich will schon so lange in die Alpen. Du kannst einem jeden Spaß verderben.

B: Du auch! Ich habe keine Lust, alleine in Finnland zu sitzen und mir Sorgen machen zu müssen, weil du nicht anrufst.

A: Dein Problem!

Kommt Ihnen das – so oder so ähnlich – bekannt vor? Das hat damit zu tun, dass in Ihrer Beziehung die Pole Nähe und Distanz (oder anders ausgedrückt: Abhängigkeit und Autonomie) besonders stark ausgeprägt sind. Wie wollen Sie da zusammenkommen? Passen Sie überhaupt zueinander? Meine Vermutung: Genau deshalb haben Sie sich ineinander verliebt. Weil Sie eigene, nicht gelebte Anteile im anderen anziehend fanden. In der Tiefe Ihres Wesens sind beide Tendenzen als Grundbedürfnisse in Ihnen angelegt, als Grundausstattung für Lebenszufriedenheit. Wir alle sehnen uns nach Sicherheit und Vertrauen.

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Gleichzeitig möchten wir uns unseren Wünschen und Anlagen entsprechend entwickeln können, von Kindesbeinen an. Je nach Lebensumwelt, in der wir aufwachsen, kann diese mehr die eine oder andere Seite bestätigen, verstärken oder auch bestrafen. Ängstliche Eltern können das Autonomiestreben ihres Kindes bremsen und gar mit Liebesentzug antworten, wenn es in ihren Augen zu eigenwillig agiert. Andere wünschen sich ihr Kind stark und unabhängig. Das Bedürfnis ihrer Kinder nach Nähe erleben sie womöglich eher als bedrängend und handeln zurückweisend.

Daraus entstehen Ängste. Hinter Ihrem Wunsch nach Nähe, nach Abhängigkeit, steht die Angst vor Liebesverlust, wenn Sie tun, was Ihnen gefällt. Hinter Ihrem Wunsch nach Distanz und Autonomie verbirgt sich die Angst vor Zurückweisung, Verletzung oder auch Vereinnahmung, wenn Sie Nähe zulassen und womöglich Ihre tiefsten Wünsche nach Verbundenheit spüren.

 Nur im Idealfall können sich während der Kindheit beide Tendenzen gleichermaßen entwickeln: sich frei wie ein Vogel in den Lüften zu fühlen – und zugleich so geborgen wie im Nest. In einer Partnerschaft unter Erwachsenen gelingt das nur mit einer Entwicklung in Richtung Mitte. Was können Sie nun tun?

Wenn Sie zusammenbleiben möchten, kommen Sie nicht um wohlwollende Kompromisse herum, um eine stimmige Balance zwischen den eigenen Wünschen und denen des anderen; manchmal auch nicht um das Zurückstecken aus Liebe zum anderen oder um das Aushalten von Angst. Ein liebevoller und empathischer Blick auf die Ängste und Unsicherheiten des anderen lässt Wertschätzung, Respekt und Vertrauen wachsen. Studien zufolge stärkt genau das den Weg in eine glückliche Partnerschaft.

 Statt sich gegenseitig Vorwürfe zu machen, könnten sich A und B aus dem eingangs beschriebenen Beispiel aufmerksam zuhören und ausdrücken, was ihnen wichtig ist. Das sorgt für Verständnis. Wenn A den Wunsch „Alpenüberquerung“ wichtiger nimmt als den Wunsch „gemeinsamer Urlaub“, nimmt er die Kränkung von B in Kauf. B könnte sich irgendwann einen zugewandteren Partner suchen. Und plötzlich könnte sich die Alpenüberquerung sehr einsam anfühlen – ohne die Gewissheit: Jemand wartet auf mich.

 Wenn A und B sich allerdings für einen gemeinsamen längeren Urlaub entscheiden könnten, fiele es B vermutlich viel leichter, A dann auch die Alpenüberquerung zu einem späteren Zeitpunkt zuzugestehen.

Also: Trauen Sie sich! Anders als in Ihrer Kindheit, ist das nicht wirklich gefährlich.

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