In Sachen LiebeMeine Schwester bleibt das Lieblingskind – Wie gehe ich damit um?

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Mutter Tochter

Auch im Alter noch das Lieblingskind: Das macht es für die Geschwister nicht einfach.

  • Was gibt es Schöneres und Wichtigeres im Leben als die Liebe? Wie wir sie finden, pflegen und sie uns erhalten; was geschieht, wenn sie vergeht oder wir sie verlieren – darum geht es in unserer PLUS-Kolumne „In Sachen Liebe“.
  • Im wöchentlichen Wechsel beantworten die Psychotherapeuten Désirée Beumers, Carolina Gerstenberg und Daniel Wagner sowie die Diplom-Psychologinnen Elisabeth Raffauf und Katharina Grünewald Ihre Fragen rund ums Liebesleben, Sex und Kindererziehung.
  • Heute erklärt Elisabeth Raffauf, was man tun kann, wenn die eigene Mutter auch heute noch die Schwester oder den Bruder bevorzugt und ein guter Kontakt nicht möglich ist.

„Ich habe kein besonders gutes Verhältnis zu meiner Mutter. Sie hat immer meine Schwester bevorzugt. Das tut sie auch heute noch. Trotzdem rufe ich sie jeden Tag an. Manchmal auch mehrmals am Tag. Ich kann das auch nicht lassen, obwohl es mir irgendwie nicht guttut. Meistens sprechen wir nur so über Alltagsdinge, manchmal streiten wir, dann lege ich auf.“ (Marga, 45)

Was Sie schildern, klingt nach einer großen Not und einer großen Sehnsucht. Sie wünschen sich einen guten Kontakt zu Ihrer Mutter, möchten von ihr gesehen und mindestens so sehr beachtet werden, wie Sie das Gefühl haben, dass Ihre Mutter Ihre Schwester beachtet. Gleichzeitig scheinen Sie eine große Enttäuschung, ja Wut auf Ihre Mutter in sich zu tragen.

Und so rufen Sie sie immer wieder an, in der Hoffnung, dass Ihre Sehnsucht endlich gestillt wird; dass Ihre Mutter sie so sieht und so mit Ihnen umgeht, wie Sie es sich wünschen; dass endlich alles gut wird. Aber das misslingt wieder und wieder. So werden die Enttäuschung, die Wut und auch die Trauer über die Zurückweisung immer weiter genährt. Ein Teufelskreis.

Das Gefühl, in der zweiten Reihe zu stehen

Wahrscheinlich ist Ihr Gefühl, in der zweiten Reihe zu stehen, ein altes Gefühl, das Sie schon als Kind kannten. Aus einer Zeit, als Sie nichts gegen die von Ihnen als ungerecht empfundene Verteilung der Zuwendung durch Ihre Mutter tun konnten. Und das setzt sich nun fort. Ihre fortwährenden Anrufe, die Sie in dem rationalen Wissen tätigen, dass sich nichts ändern wird, wurzeln mit großer Wahrscheinlichkeit in der irrationalen (und verständlichen) Hoffnung: „Beim nächsten Mal wird es anders.“ – „Wenn ich jetzt anrufe, wird sie mich endlich sehen und würdigen und so behandeln, wie ich es mir immer gewünscht habe.“

Die bittere Erkenntnis ist: Das wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht passieren.

Die vielleicht entlastende Erkenntnis könnte sein: Die von Ihnen als unzureichend empfundene Zuwendung Ihrer Mutter hat nichts damit zu tun, dass Sie ein „schlechteres Kind“ sind, das schlechter behandelt werden muss. Es wird eher mit der eigenen Geschichte Ihrer Mutter zu tun haben, dass sie ihre Kinder so ungleich behandelt und es sozusagen ein gutes und ein schlechteres Kind geben muss. Wahrscheinlich triggern Sie bei Ihrer Mutter etwas, dessen sie sich selbst nicht bewusst ist. Aber dafür können Sie nichts.

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Für Sie könnte die Frage interessant sein: Was brauchen Sie? Und wo können Sie es stattdessen bekommen? Möglicherweise tragen Sie dieses Bedürfnis nach Anerkennung und Gesehen werden mit sich herum und probieren, es von anderen Menschen gestillt zu bekommen: von Ihrem Partner, Ihrer Partnerin, Ihren Kindern. Doch die können es auch nicht stillen. Weil es unstillbar ist.

Für Sie ist es wichtig, zu wissen, dass Sie wahrscheinlich die Hoffnung begraben müssen, von Ihrer Mutter etwas zu bekommen, das Sie Ihnen offenbar nicht geben kann. Das ist traurig, und die Trauer darüber braucht einen Platz. Gleichzeitig ist die Frage hilfreich: Wie können Sie sich heute als Erwachsene selbst die Anerkennung verschaffen, die Sie sich wünschen? Was brauchen Sie, um sich selbst wertzuschätzen? Gespräche mit Freundinnen, Freunden, eventuell auch mit Profis können dabei hilfreich sein.

Selbstverständlich ist auch ein Gespräch mit Ihrer Mutter möglich. Aber ein anderes als bisher. Nicht mit Vorwürfen, Anklagen, Beschwerden, sondern indem Sie von sich sprechen, von Ihren Empfindungen, von Ihrer Wut und Ihrer Trauer. Selbst wenn Ihre Mutter sich daraufhin nicht ändert, kann es entlastend für Sie sein, Ihre Gefühle an der richtigen Stelle ausgesprochen zu haben.

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