Nachhaltigkeit in SkandinavienVon Bio-Stadtteil bis Öko-Putztag

Mit Blick auf Hammarby: Autos gibt es in dem ökologischen Stadtteil kaum - die meisten fahren mit der Fähre zur Arbeit.
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Manchmal wundert sich Claes Elvung über seine Besucher. Wenn sie etwa aus China anreisen, um sich im Umweltinformationszentrum „Glashus Ett“ des nachhaltigen Stadtteils „Hammarby Sjöstad“ in Schwedens Hauptstadt Stockholm, in dem Elvung arbeitet, über die ökologische Technik des Viertels zu informieren – um dann erstaunt festzustellen, dass diese aus ihrem eigenen Land kommt.
Flug: Nach Stockholm und Helsinki fliegt zum Beispiel Air Berlin (über Berlin-Tegel).
Schiff: Von Stockholm aus kann man mit der M/S Viking Grace durch das Schärenarchipel hindurch nach Turku (Finnland) übersetzen. Von dort aus kann man zum Beispiel mit dem Bus weiterfahren nach Helsinki. Eine einfache Tages-Passage mit der M/S Viking Grace kostet ab 17 Euro. Eine einfache Nacht-Passage für vier Personen in einer 4-Bett-Kabine kostet ab 56 Euro. An Bord gibt es Restaurants, Bars und einen Supermarkt. Als erstes Passagierschiff der Welt fährt die Viking Grace mit LNG – flüssigem Gas, das auf minus 162 Grad heruntergekühlt wird. Dadurch wird der CO2-Ausstoß um rund ein Viertel gesenkt. Derzeit werden zwei weitere Schiffe von anderen Reedereien nach ihrem Vorbild umgebaut, da ab 2015 per Gesetz ein geringerer CO2-Ausstoß vorgeschrieben ist. Andere Schiffe der Viking Line fahren auch direkt nach Helsinki. www.vikingline.de
Übernachten kann man in Stockholm und Helsinki zum Beispiel in einem der Scandic-Hotels. Scandic setzt auf erneuerbare Energien. Vier von fünf Hotels der Kette tragen das EU-Bio-Label.
„Unsere Technik ist nicht so neu und einzigartig“, erklärt Elvung. Schließlich ist das Viertel schon 1997 gebaut worden – ursprünglich als Olympisches Dorf, das es aber niemals wurde, weil die Olympischen Spiele 2004 an Griechenland gingen. „Aber unser System ist holistisch. Wir bringen alles zusammen, was es an ökologischer Technik gibt. Und was verloren geht, wird in anderer Form auch wieder ins System hineingebracht.“ So wird etwa Abwasser zum Wärmen und Kühlen der Wohnungen verwendet, aus organischem Abfall und Klärschlamm wird Biogas als Treibstoff. Im Vergleich zum restlichen Stockholm liege der Wasserbrauch dort um ein Viertel niedriger. Der Müll wird mittels einer Vakuumpumpe durch ein unterirdisches Rohrsystem gespült und in zentrale Behälter sortiert, so dass die Müllabfuhr nicht einzelne Tonnen abfahren muss. „Das ist das billigste und rentabelste Müllsystem, das eine Firma haben kann“, sagt Claes Elvung. Überhaupt sei der Bau des Viertels, in dem es heute 11000 Wohnungen und 20000 Menschen gibt, nur rund drei Prozent teurer gewesen als der eines herkömmlichen Stadtteils. Einerseits, weil im Nachhinein an Wasser und Strom gespart wird. Anderseits, weil sich die Gesellschafter zusammengetan und in Massen bestellt hätten.
Vorbild Skandinavien
Die Botschaft lautet: Die Technik ist da, ihr müsst sie nur nutzen. Schweden hat es im internationalen Vergleich der OECD-Studie auf Platz zwei der lebenswertesten Länder geschafft – nicht zuletzt, weil es in puncto Wasserqualität und Luftverschmutzung gut abschnitt. Was Bildung und Familienpolitik angeht, haben die Skandinavier Vorbildfunktion für uns Resteuropäer – auch in Sachen Ökologie? Schwer zu sagen, schließlich gibt es auch in Deutschland etliche Bestrebungen, umweltfreundlich zu wirtschaften.
Doch es gibt den Trend zu mehr Umweltbewusstsein in Skandinavien schon lange. Er manifestiert sich in großen Projekten wie dem Stadtteil Hammarby in Stockholm. Er zeigt sich aber vor allem in den kleinen Läden und Restaurants der Menschen, die das Prinzip Nachhaltigkeit längst verinnerlicht haben, wie einige Beispiele aus Schweden und Finnland zeigen.
Fünf Beispiele
1. Rosendals TrädgårdDer Geruch von Milch und Zimtschnecken nimmt auf der Zunge beinahe Form an. Er macht das Bullerbü-Bild komplett, das der Besucher von „Rosendals Trädgård“ bekommt, der gleichzeitig Garten, Café und Blumenladen ist: Auf einer großen Wiese stehen knorrige, alte Obstbäume. Dazwischen vereinzelt bunt lackierte Holztische und Bänke. Drumherum Beete mit Blumen, Kräutern und Gemüse. Große Gewächshäuser, deren Glas von verwittertem weißem Holz gerahmt ist, bieten Platz entweder für heranwachsende Pflanzen oder Gäste des Cafés, aus dem die im Holzofen gebackenen Zimtschnecken locken. „Die Geschmäcker dieses Ortes sollen in unserem Essen vereint werden“, erklärt Victoria Lagne von der Stiftung Rosendals Trädgård. Zu 90 Prozent stamme es aus dem eigenen Garten, wo biodynamisch angebaut wird. „Der Kompost ist das Herz unseres Gartens“, sagt Lagne.
Schwer zu glauben, dass man sich hier in mitten einer Großstadt befindet. „City Farming“ nennt sich das Konzept von Rosendals Garten. Schon vor 30 Jahren haben sich die Initiatoren zusammengetan, „um Menschen zu inspirieren“, wie Lagne sagt. Der Garten finanziert sich komplett selbst. Er ist für jeden öffentlich zugänglich, kaufen muss hier niemand etwas. Es gehe darum, den Menschen zu zeigen, wie Selbstversorgung funktioniert, sagt Lagne. Regelmäßig kommen Kindergartengruppen, um zu lernen, wie man Gemüse anbaut, bis sie schließlich ihre eigenen Früchte ernten. Rosendals Trädgard, Rosendalsterrassen 12, 11521 Stockholm, Schweden www.rosendalstradgard.se
2. GubhyllanDass man sich im Restaurant Gubhyllan wie in einer früheren Zeit fühlt, liegt vor allem daran, dass es Teil eines Freilichtmuseums ist. Ein Tante-Emma-Laden mit altem Interieur, eine weiß gestrichene Holztheke, die beladen ist mit Backwerk – schon das Dortsein ist etwas Besonderes. Kulinarisch außergewöhnlich wird das Restaurant dadurch, dass hier traditionelle schwedische Küche aus saisonalen und biologisch angebauten Zutaten serviert wird. Da die Saison in Schweden kurz ist, gibt es viel Eingelegtes, Kürbis, Rote Bete und Gelbe Rüben etwa. Ins Restaurant kommt man nur, wenn man Eintritt für das – ebenfalls sehenswerte – Freilichtmuseum Skansen zahlt. Gubhyllan, Djurgårdsslätten 49, 11521 Stockholm, Schwedenwww.gubbhyllan.se
3. Aarts Mat & DryckDas Einfache und das Reine sind das Exklusive, lautet das Motto der beiden Besitzer von „Aarts Essen und Trinken“. Einfach ist auch die Einrichtung. Der Gast fühlt sich hier nicht, als sei er in einem Restaurant, sondern in einer Wohnküche. Justus Aarts ist im ökologischen Hotel seiner Eltern großgeworden. Dass die Zutaten möglichst biologisch und saisonal sind, lassen die Besitzer nicht raushängen, es ist quasi selbstverständlich.Åsögatan 176, 11632 Stockholm, Schwedenwww.aartsmat.se
4. Edel CityNachhaltiger als etwas ökologisch herzustellen ist es, Dinge zu recyceln. Genau das tut die Österreicherin Isabella Haas in ihrem Geschäft „Edel City“ in der finnischen Hauptstadt Helsinki: Aus Autogurten werden bei ihr Krawatten, aus dem Bezug von Flugzeugsitzen Taschen und aus Fahrradschläuchen Armbänder. „Für die Menschen hier ist es wichtig, dass die Dinge ökologisch und lokal produziert werden“, sagt sie. Wer etwas besitzt, was er recyceln möchte, kann es Isabella Haas geben – oder es bei ihr selbst lernen.Edel City, Fredrikinkatu 33, Helsinki, Finnland
5. „Siivouspaiva“ – Putztag An zwei Tagen im Jahr verwandelt sich Helsinki in einen riesigen Flohmarkt. Überall an den Straßenrändern liegen Decken oder stehen Tische mit Kleidern, Möbeln, Uhren, Bildern, Schmuck, Platten und Krimskrams aller Art. Wer handwerklich begabt ist, kann einen Reparier-Service anbieten. Es ist „Siivouspäivä“, zu Deutsch Putztag, in Helsinki. Jeder Teilnehmer ist gleichzeitig Organisator. Wer möchte, kann alles irgendwo auf der Straße verschenken oder verkaufen, was er nicht mehr braucht, oder zu einer Sammelstelle zu bringen, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Die Idee dahinter: Recyceln statt Verschwenden, mit anderen teilen, eine verantwortungsvolle und dynamische urbane Kultur entwickeln. „Talkoo Spirit“ nennt Jon Sundell das. „Wir sind City-Aktivisten, wir wollen eine bessere Stadt schaffen“, erklärt der 39-jährige Besitzer des Geschäftes „Made in Kallio“, das nach dem Viertel benannt ist, in dem es liegt. Er ist einer der Menschen, die hinter der Idee des Putztages stecken. „Wir machen gerne Gemeinschaftsarbeit, für die wir nicht bezahlt werden“, sagt er.
Mit seinem Geschäft bietet Sundell jungen Designern und Erfindern eine Plattform, um projektweise Dinge herzustellen, die er dann in seinem Laden, der auch Café ist, verkauft. Etwa den Kunststudenten Alexandre Korber und Ursula Gastfall aus Paris. Sie arbeiten in Sundells Werkstatt an ihrem Projekt, einem Plastik-3-D-Drucker. Der Apparat, der ein bisschen aussieht wie ein Fleischwolf, kann Plastikabfall schreddern, einschmelzen und in neue Formen gießen. „Wir sind keine Spezialisten, sondern haben uns alles selbst beigebracht“, sagt Korber. „Wir möchten uns emanzipieren und gegen Obsoleszenz wehren.“ Infos zu „Siivouspaiva“:www.siivouspaiva.comMade in Kallio, Vaasankatu 14, 00550 Helsinki, Finnlandwww.madeinkallio.fi