Neue GrußformelWie höflich ist das „Bleiben Sie gesund!“ wirklich?

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Verabschiedung im Supermarkt: Momentan häufig mit einem „Bleiben Sie gesund!“

  • Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  • Protokollchefin Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  • Diesmal erklärt Anatol Stefanowitsch, was er von der neuen Abschiedsfloskel „Bleiben Sie gesund!“ hält – und wann wir wieder zum gewohnten „Auf Wiedersehen“ zurückkehren.

Köln – Überall hört man derzeit zum Abschied „Bleiben Sie gesund!“, beim Bäcker, an der Supermarktkasse und in den vielen Corona-Sondersendungen im Fernsehen. Sogar Kolleginnen haben angefangen, jede E-Mail und jedes Telefonat mit einem „Und bleib gesund!“ zu beenden. Mir kommt das floskelhaft und unaufrichtig vor. Und es ist auch gedankenlos! Wie sollen sich die vielen chronisch kranken Mitmenschen fühlen, die sich ständig anhören müssen, dass sie „gesund“ bleiben sollen? Wann kehren wir endlich zu einem schlichten „Auf Wiedersehen“ oder „Mit freundlichen Grüßen“ zurück?

Sie haben recht, das „Bleiben Sie gesund!“ hat sich sehr schnell durchgesetzt – ein gutes Beispiel dafür, wie wir unseren Sprachgebrauch an veränderte Lebensumstände anpassen. Dass Ihnen diese Abschiedsformel unangenehm auffällt, liegt wohl hauptsächlich daran, dass sie ungewohnt ist – ganz ähnliche Formeln verwenden wir schon lange, ohne dass es groß auffallen würde:. „Machen Sie es gut!“, „Pass auf dich auf!“ oder das „Gesundheit!“, wenn jemand niesen muss.

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Anatol Stefanowitsch

Dabei ist die Redewendung gar nicht neu. „Leben Sie recht wohl, bleiben Sie gesund und heiter“, schrieb schon Anfang des 19. Jahrhunderts kein Geringerer als Friedrich Schiller an seinen Freund Goethe, und auch in Wörterbüchern aus dieser Zeit ist sie zu finden. Dass sie gerade jetzt wieder in Mode kommt, liegt daran, dass sie ein aktuelles kommunikatives Bedürfnis erfüllt.

Die Natur von Gruß- und Abschiedsformeln

Was die Floskelhaftigkeit betrifft, haben Sie auch da sicher recht, aber: Das liegt nun einmal in der Natur von Gruß- und Abschiedsformeln. Auch ein „Auf Wiedersehen“ drückt ja nicht in jedem Fall den dringenden persönlichen Wunsch aus, der betreffenden Person möglichst bald wieder zu begegnen, sondern höchstens, dass uns ein solches Wiedersehen nicht unangenehm wäre. Auch das „Bleiben Sie gesund!“ ist kein persönlicher Wunsch – es bringt zum Ausdruck, dass wir unserem Gegenüber Gutes wünschen, und in einer Situation, in der das Corona-Virus unser gesellschaftliches Denken und Handeln bestimmt, heißt das eben zuallererst, von diesem Virus verschont zu bleiben.

Die Absicht hinter der Abschiedsformel ist also eine durchweg positive, aber in der Kommunikation geht es natürlich nicht nur um die Absicht, sondern auch darum, wie wir sie ausdrücken. Und da kann man sich tatsächlich die Frage stellen, ob der gutgemeinte Wunsch, „gesund zu bleiben“, chronisch kranken Mitmenschen gegenüber immer angemessen ist.

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Einerseits ist ja durch den aktuellen Bezug klar, worauf er sich bezieht – auch und gerade für chronisch kranke Menschen wäre ja eine Ansteckung mit dem Coronavirus besonders belastend, und natürlich können und müssen wir auch ihnen wünschen, wenigstens in dieser Hinsicht gesund zu bleiben.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de

Andererseits stecken auch in Gruß- und Abschiedsformeln immer Vorannahmen, und wo die ganz offensichtlich nicht passen, stößt die formelhafte Kommunikation an ihre Grenzen. Wir können einer Kollegin, die uns zur Mittagszeit auf dem Flur (oder derzeit vielleicht eher in einer Videokonferenz) begegnet, „Mahlzeit“ wünschen, auch wenn wir nicht wissen, ob sie tatsächlich auf dem Weg zum Mittagessen ist. Aber wenn wir wissen, dass sie wegen des Ramadan fastet, passt die Floskel nicht. Und wenn ich weiß, dass das Leben meines Gegenübers stark von gesundheitlichen Problemen bestimmt ist, sollte ich statt einem „Bleib gesund!“ entweder persönliche Anteilnahme ausdrücken oder es tatsächlich bei einem neutralen „Auf Wiedersehen“ belassen.

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