Verbraucherschützerin„Dass Flüge komplett im Voraus bezahlt werden, ist unangemessen“

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Zerrissenes Flugticket dpa

Der Flugpreis ist bei der Buchung fällig. Damit tragen Kunden das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben, wenn der Flug ausfällt.

  • In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen aller Art – und verschaffen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel.
  • Unsere Experten sind Laura Hollmann (Staatsanwältin in Düsseldorf), Rechtsanwalt Martin W. Huff (Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln) und Rechtsanwältin Helga Zander-Hayat. Sie leitet bei der Verbraucherzentrale NRW den Bereich Markt und Recht.
  • Diesmal erklärt Helga Zander-Hayat, warum ihrer Ansicht nach das Reiserecht geändert werden sollte, damit Flüge nicht mehr vorab bezahlt werden müssen.

Köln – Kaufen Sie beim Bäcker ein Brot, bezahlen Sie frühestens, wenn das Brot über die Ladentheke geht. Die Rechnung der Kfz-Werkstatt begleichen Sie erst, nachdem Ihr Auto repariert wurde und nicht schon, wenn Sie den Reparaturauftrag erteilen. Sie würden auch nicht auf die Idee kommen, dem Kfz-Händler den Kaufpreis für Ihr neues Auto schon bei der Bestellung auszuhändigen – also meist Monate vor der Lieferung. Das deutsche Schuldrecht bezeichnet dies als „Erfüllung Zug um Zug“, was nichts anderes heißt, als „Ware gegen Geld“. Niemand soll also etwas leisten müssen, ohne gleichzeitig nicht auch die Gegenleistung zu erhalten.

Kein Prinzip lebt aber ohne Ausnahmen. Wer beispielsweise von einem Bauträger ein Haus kauft, zahlt meist nicht erst nach vollständiger Fertigstellung, sondern leistet Teilzahlungen nach Bauabschnitten. Dies ist in der Makler- und Bauträgerverordnung geregelt. Auch in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) können Vorauszahlungen vereinbart werden, die allerdings keine der Vertragsparteien unangemessen benachteiligen dürfen. Hierin liegt aber die Crux, denn was „benachteiligend“ ist, beurteilen Kunden und Unternehmer häufig unterschiedlich.

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Helga Zander-Hayat leitet bei der Verbraucherzentrale NRW den Bereich Markt und Recht. 

So haben besonders die Zahlungsbedingungen der Reisebranche die Justiz schon häufiger beschäftigt. Per Gesetz dürfen Anzahlungen für Pauschalreisen nur verlangt werden, wenn die erhaltenen Kundengelder gleichzeitig auch abgesichert werden. Dem Kunden ist hierüber ein Reisepreissicherungsschein auszuhändigen, der bei Insolvenz des Reiseveranstalters die Rückzahlung – meist durch eine Versicherung – garantiert.

Vorkasse sollte bei Flugbuchungen nicht gelten

Zudem ist nach gesicherter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur eine Anzahlung von maximal 20 Prozent des Reisepreises zulässig. Der restliche Betrag darf frühestens 30 Tage vor Reisebeginn gefordert werden. Vorauskassen sind nur zulässig, wenn der Reiseveranstalter auch höhere Vorleistungen erbringen muss, etwa wenn er bei Konzertreisen die Tickets schon vorab vollständig bezahlen muss.

Das Prinzip des „Zug um Zug“ oder der Kundengeldabsicherung bei Vorkasse berücksichtigt so weitgehend angemessen die Interessen aller Vertragsparteien. Bei reinen Flugbuchungen soll es aber nicht gelten. Flüge, meist Wochen oder Monate im Voraus gebucht, müssen vom Kunden in voller Höhe bei der Buchung gezahlt werden. Und zwar ohne Kundengeldabsicherung. Damit tragen allein die Kunden das Risiko, auf den Kosten sitzen zu bleiben, wenn der Flug ausfällt oder die Fluggesellschaft Pleite geht.

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Ich meine, dies ist unangemessen und sollte dringend geändert werden. Die Verbraucherzentrale NRW hatte schon 2016 versucht, den BGH davon zu überzeugen, dass dies eine unzulässige Geschäftspraxis ist. Leider ohne Erfolg, denn Karlsruhe hielt weder eine Deckelung der Anzahlung vor Flugantritt noch einen Termin für die Restzahlung für notwendig. Verbraucher seien hinreichend über die EU-Fluggastrechteverordnung abgesichert, welche die Luftfahrtunternehmen präventiv zur Einhaltung der Flugplanung und auch zur Flugdurchführung anhalte. Das alleine vom Fluggast zu tragende Insolvenzrisiko werde durch die EU-rechtlichen sowie nationalen Zulassungs- und Aufsichtsbestimmungen deutlich verringert, so dass Verbraucherschutz gewährleistet sei.

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Ein Trugschluss, schon wenige Monate nach der Urteilsverkündung beantragten Air Berlin und Niki Insolvenz. Germania Air und Thomas Cook Aviation folgten. Allein 2019 stellten weltweit 23 Fluggesellschaften den Betrieb ein. Wegen der Corona-Pandemie ausgefallene Flüge sorgen ebenfalls für Frust. Für im Voraus bezahlte Flüge erhielten viele gar keine oder sehr verspätet Rückzahlungen. Viele warten bis heute auf ihr Geld.

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