StilkolumneMuss ich mich als Frau beim Notar mit männlicher Form ansprechen lassen?

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Als Frau kann ich beim Notar eine geschlechtsneutrale Sprache erwarten. (Symbolbild)

  • Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  • Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  • In dieser Woche: Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch erklärt, dass es für das geschlechtsgerechte Formulieren von Texten keine juristische Ausbildung bedarf, sondern den Willen dazu.

Kürzlich saß ich mit meiner Mutter beim Notar und bekam einen mehrseitigen Text vorgelesen, in dem wir zwei Frauen die ganze Zeit in der männlichen Form angesprochen wurden. Auf meine Frage, ob man das nicht umtexten könnte, entgegnete der Notar, das sei zu kompliziert. Was ist eine stilvolle Reaktion auf so viel Rückständigkeit?

Dass Sie als Frau mit der männlichen Form angesprochen wurden und sich „mitgemeint“ fühlen sollten, dürfte Ihnen nicht zum ersten Mal passiert sein. Aber da Sie in diesem konkreten Fall beim Notar saßen, fangen wir mit einem kleinen Exkurs zum rechtlichen Status dieses sogenannten „generischen Maskulinums“ an.

Generisches Maskulinum: Deutsche Gerichtsbarkeit auf seiner Seite

Sie waren in derselben Position wie die Kommunalpolitikerin Marlies Krämer, die von ihrer Sparkasse als „Kundin“ angesprochen werden wollte, statt sich durch das Wort „Kunde“ mitgemeint zu fühlen und die für dieses Recht durch alle gerichtlichen Instanzen zog. Die Gerichte beschieden einhellig, dass die ständige Erwähnung von Männern und Frauen Formulare und Vertragstexte unnötig kompliziert mache und dass der generische Gebrauch des Maskulinums in der Allgemeinsprache und vor allem in Gesetzestexten bis hin zum Grundgesetz üblich und allgemein anerkannt sei. Ihr Notar hat also nach aktuellem Stand die allgemeine Praxis der deutschen Rechtssprache sowie die gesamte deutsche Gerichtsbarkeit auf seiner Seite.

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Anatol Stefanowitsch

Nun waren Sie und Ihre Mutter allerdings nicht (nur) in der Rolle von Rechtssubjekten beim Notar, sondern auch als dessen Klientinnen. Als solche können Sie natürlich verlangen, dass man Ihre Bedürfnisse, einschließlich Ihres Sprachgefühls, ernst nimmt. Vor allem, weil Sie mit diesem Sprachgefühl absolut richtig liegen – psychologische Experimente aus über zwanzig Jahren intensiver Forschung bestätigen, dass maskuline Formen zunächst immer männlich interpretiert werden und dass es für Frauen eine zusätzliche gedankliche Anstrengung bedeutet, sich von solchen Formen angesprochen zu fühlen.

Als Kundin ist man Königin

Das, was der Notar sich an Aufwand spart, indem er Verträge ausschließlich in der männlichen Form erstellt und verliest, bürdet er damit Ihnen auf. Da er für Sie arbeitet (und dafür gut bezahlt wird), sollten Sie sich das natürlich nicht gefallen lassen und ihn – ganz stilvoll – darauf hinweisen, dass Sie als Kundin nun einmal Königin sind und als solche angesprochen werden möchten.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de

So furchtbar kompliziert ist es auch gar nicht, einen Text in eine geschlechtergerechte – oder in Ihrem Fall, in eine dem konkreten Geschlecht des Gegenübers angemessene – Form zu bringen. Ihr Notar wird Notariatsfachangestellte haben, die dazu ausgebildet sind, selbst die kleinste juristische Unstimmigkeit in einem Vertragstext zu finden. Nach männlichen Personenbezeichnungen zu suchen und diese durch ihr weibliches Gegenstück zu ersetzen, ist im Vergleich dazu ein Kinderspiel.

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Wenn Ihr Notar – wie die meisten Anwälte – die Textverarbeitung MS Word verwendet, gibt es sogar Erweiterungen („Plug-Ins“), die die Suche nach solchen Formen automatisieren und von sich aus alternative Formulierungen vorschlagen.

Und natürlich braucht es keine juristische Ausbildung, um Texte geschlechtergerecht oder geschlechtsangemessen zu formulieren – es braucht nur den Willen dazu. Wenn es an irgendeiner Stelle wirklich einmal kompliziert wird, gibt es Formulierungshilfen wie die Webseite geschicktgendern.de, die für (fast) jedes Problem einen Lösungsvorschlag hat und die ständig erweitert wird.

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