StilkolumneGratuliert man heute noch per Brief – oder ist das altbacken?

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Gar nicht so leicht, einen Brief von Hand zu schreiben. 

  • Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  • Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  • In dieser Woche beschäftigt sich Ingeborg Arians mit der Frage, wie man in Zeiten digitaler Medien angemessen gratuliert.

Köln – In meinem Bekanntenkreis werden nach und nach viele Eltern zu Großeltern. Ich frage mich aus diesem Grund, ob „man“ denen dann auch gratuliert. Gleiches gilt für die jungen Eltern: Ist eine Geburt ein Grund zur Gratulation, so wie ich es sonst nur von Geburtstagen und „grünen“ Hochzeiten kenne? Ich hoffe, meine Fragen wirken nicht komisch, aber ich spüre an der einen oder anderen Stelle eine Verunsicherung, und das nicht nur bei mir. Beate Scheidhauer

Was sind Glückwünsche anderes als Zeichen der Wertschätzung für andere Menschen und der Anteilnahme an deren Leben. Dafür sind der Fantasie und der Emotion im Grunde keine Grenzen durch Konvention und Gepflogenheit gesetzt. Es kommt bei Glückwünschen nicht darauf an, was „man“ so tut, sondern was Sie fühlen. Wenn Sie sich also mit Freunden oder Bekannten freuen, die Großeltern geworden sind – dann gratulieren Sie ihnen ruhig dazu. Wenn Sie dann später vielleicht eine Einladung zur Taufe erhalten, wird womöglich ein zweiter Glückwunsch – diesmal an die Eltern – fällig. Das übrigens sieht die Konvention durchaus vor: die Gratulation als Reaktion auf eine Mitteilung (Heirat, Geburt, Umzug, Geschäftseröffnung) oder eine Einladung.

Ich bin allerdings inzwischen entschieden der Ansicht, dass das Schielen auf eine vermeintliche Etikette bei den freudigen Ereignissen im Leben unerheblich und sogar hinderlich ist: Wer seine Mitfreude zum Ausdruck bringt, macht bestimmt nichts falsch und tut sich auch selbst etwas Gutes.

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Zur Person

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Ingeborg Arians

Foto: Michael Bause

Ingeborg Arians, geboren 1954, hat Sprachen und Volkswirtschaftslehre studiert und ist Dipl.-Übersetzerin für Französisch, Spanisch und Englisch. Von 1986 bis 2019 war sie Leiterin der Abteilung Repräsentation und Protokoll im Amt der Oberbürgermeisterin der Stadt Köln. In dieser Zeit arbeitete sie für insgesamt vier Oberbürgermeister und die amtierende OB Henriette Reker.

So ist meine Empfehlung für die äußere Form von Glückwünschen auch nicht mehr als ein unverbindlicher Ratschlag. Nach wie vor sind der Brief oder die Grußkarte nach meiner Ansicht erste Wahl. Ausführlichere Schreiben kann man durchaus am Computer erstellen und ausdrucken. Mindestens Anrede und Großformel sollten dann aber mit der Hand geschrieben sein. Ich habe mich eigens bei einem großen Kölner Fachgeschäft für Schreibwaren am Neumarkt erkundigt. Dort wurde mir gesagt, dass trotz der Flut an E-Mails, SMS und Whatsapp-Nachrichten die Nachfrage an edlen Briefbögen und Glückwunschkarten zu den diversen Anlässen keineswegs rückläufig sei, sondern sogar noch zugenommen habe. Wer sich für solch einen Kauf entscheidet, sollte zuhause dann  auch zum Füller greifen. Tinte auf schönem  Papier macht sich einfach am besten.

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Die zahlreichen Formen automatisierter Glückwünsche – etwa in den sozialen Netzwerken – sind im Grunde nur eine Suggestion von Beziehung und Anteilnahme. Auch als Marketing-Instrument werden Glückwünsche immer beliebter: Das Fitness-Studio, die Drogeriefiliale, die Apotheke – alle gratulieren sie zum Geburtstag. Eine nette Geste, das will ich gar nicht bestreiten. Aber eigentlich haben die Gratulanten etwas anderes im Sinn als den Glückwunsch. Mit der individuellen Anteilnahme an persönlichen Anlässen, die dem Facebook-Algorithmus oder den Kundendateien der diversen Unternehmen nicht geläufig sind, können wir dieser standardisierten Gratulationsmaschinerie etwas entgegensetzen.

„Wie geht’s?“

In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)

Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de

Ich zum Beispiel bin in meinem fortgeschrittenen Alter dazu übergegangen, mich bei meinen Freundinnen zu den Geburtstagen ihrer – meist längst erwachsenen – Kinder mit einem Glückwunsch zu melden. Nicht weil ich so eng mit den Jubilarinnen und Jubilaren wäre, sondern weil es eine schöne Gelegenheit ist, meine Freundschaft zu ihren Eltern zu pflegen. Das ist etwas anderes, als wenn sich eine Firma in Erinnerung bringt, weil es hier nicht um Umsatz geht, sondern um Beziehung. Ich bin sicher, dass solche Zeichen in Zeiten der durch Corona bedingten Kontaktbeschränkungen noch wichtiger geworden sind.

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