Kirsten Jahn und Cyrill Ibn Salem wurden im März als Parteivorsitzende der Kölner Grünen gewählt. Sie folgen damit auf Katja Trompeter und Stefan Wolters.
Interview mit Kölner Grünen-Spitze„Die Zusammenarbeit mit Henriette Reker war sehr erfolgreich“

Cyrill Ibn Salem und Kirsten Jahn sind die neuen Vorsitzenden der Kölner Grünen.
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Frau Jahn, bei Ihrer Wahl zur Co-Parteivorsitzenden im März haben Sie nur 51 Prozent der Stimmen erhalten, ein denkbar schlechtes Ergebnis. Gehen Sie belastet in dieses Amt?
Jahn: Die Grünen sind eine diskussionsfreudige, aber auch zutiefst demokratische Partei. Ich bin gewählt worden, und jetzt ziehen wir alle an einem Strang. Wir blicken geschlossen nach vorn. Ibn Salem: Gleichzeitig haben wir einen nicht enden wollenden Zustrom an Mitgliedern, die alle aktiv werden wollen. Jetzt geht es darum, bei der Kommunalwahl im Herbst ein möglichst gutes Ergebnis einzufahren. Unsere Ziele sind klar: Wir wollen die stärkste Fraktion im Stadtrat bleiben und mit Berîvan Aymaz die neue Oberbürgermeisterin stellen.
Wie viele Mitglieder haben die Kölner Grünen?
Ibn Salem: Wir liegen inzwischen bei mehr als 4800 Mitgliedern, die sich ein lebenswertes, weltoffenes und gerechtes Köln wünschen.
Was sind das für Leute, die eintreten?
Ibn Salem: Das ist sehr unterschiedlich. Zuletzt waren darunter viele Menschen, die ein Zeichen gegen den Rechtsruck im Land setzen wollen. Einige davon waren uns vorher schon zugeneigt und wollen jetzt selbst erstmals aktiv werden. Etliche haben sich schon im Bundestagswahlkampf engagiert und dadurch erste positive Erfahrungen sammeln können.
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Wie ist die Zusammensetzung?
Ibn Salem: Bunt gemischt. Wir erleben gerade einen starken Zustrom von Menschen, die mitten im Leben stehen. 2019, auf dem Höhepunkt der Fridays-for-Future-Bewegung, waren es noch besonders viele jüngere Menschen, die uns beigetreten sind. Im Schnitt sind wir nach wie vor eine sehr junge Partei, was unsere Mitglieder betrifft. Jahn: Und fast 50 Prozent unserer Mitglieder sind Frauen. Das Thema Klimaschutz und Klimawandel bleibt weiterhin sehr wichtig, wir merken ja jeden Sommer die Auswirkungen der voranschreitenden Klimakrise. Zugleich erlebt Deutschland bei der neuen Bundesregierung ein Rollback.
Viele neue Mitglieder treffen auf die Altgedienten, die zum Teil seit Jahrzehnten dabei sind. Dahinter verbirgt sich viel Konfliktpotenzial, oder?
Jahn: Jein! Wir haben seit unserer Gründung schon immer verschiedene Strömungen gehabt und diesen Diskurs geführt, zum Beispiel die Anti-Atomkraftwerk-Bewegung, die feministische Bewegung, die Klimaschützer und Menschen, die ihren Schwerpunkt im Sozialen sehen. Wir bekommen das gut ausbalanciert.
Bei der Aufstellung der Liste für den Stadtrat hat man den Eindruck nicht. Der langjährige Innenstadt-Bürgermeister Andreas Hupke hat sogar von Altersdiskriminierung gesprochen.
Jahn: Diese gab es nach unserer Auffassung nicht, und wir streben wieder an, die Direktwahlkreise, die wir 2020 gewonnen haben, erneut zu gewinnen.
Ihr Optimismus in allen Ehren. Aber die Grünen in Köln gelten neben ihrem Markenkern Umwelt- und Klimaschutz eher als Partei der Besserverdienenden, der Akademiker, sind bestens vernetzt in der queeren Community. Die Lebenswirklichkeit der Menschen in Köln trifft das nicht wirklich. Wo sind die Rezepte gegen die Wohnungsnot und explodierende Mieten? Warum sollten junge Familien grün wählen, wenn sie anschließend gezwungen sind, die Stadt zu verlassen, weil sie sich das Wohnen in Köln nicht mehr leisten können?
Jahn: Wir haben uns auf allen politischen Ebenen mit dem Thema bezahlbarem Wohnraum sehr intensiv beschäftigt. Die Mietpreisbremse wurde im Bundestag verlängert, Wohnpolitik war das Topthema beim Grünen Landesparteitag in Köln, und auch in Köln arbeiten wir mit unterschiedlichen Maßnahmen intensiv gegen das Problem der steigenden Mieten.
Gut. Aber wo ist das Konzept? Es gab mal einen ehrgeizigen Plan, 6000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen. Davon sind wir weit entfernt.
Jahn: Es stimmt, der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum nimmt weiter zu. Deshalb ist es uns seit vielen Jahren sehr wichtig. Mit grüner Beteiligung wurden große Entwicklungsgebiete wie etwa Rondorf Nord-West, das Max-Becker-Areal in Ehrenfeld oder der Deutzer Hafen mit klaren Vorgaben beschlossen. Wichtig ist uns, dass dort nur gebaut werden darf, wenn mindestens 30 Prozent der Wohnungen gefördert sind. Diese Quote ist ein wichtiger Hebel – und wir wollen sie weiter erhöhen. Das kooperative Baulandmodell, das den Bau bezahlbarer Wohnungen verbindlich macht, haben wir maßgeblich mitgestaltet.
Das hat leider nicht funktioniert.
Jahn: Das stimmt so nicht. Ja, es dauert – von der Planung über die Genehmigungen bis zum Bauabschluss – oft auch zu lange. Da muss mehr Tempo rein. Daran ist aber nicht das kooperative Baulandmodell oder der soziale Wohnungsbau schuld. Eine gute Nachricht ist: Die ersten Wohnungen aus dem kooperativen Baulandmodell sind fast bezugsfertig. Ibn Salem: Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen: Dazu gehören unter anderem auch Lückenschlüsse, Nachverdichtungen – und an manchen Stellen auch das Bauen in die Höhe. Auf der anderen Seite haben wir in Köln auch einen Bauüberhang von 10.000 Wohnungen, also genehmigte Wohnungen, die nicht gebaut werden. Das Bauen ist teuer geworden, durch die Kostensteigerungen beim Material und die hohen Zinsen. Vieles muss sich dringend ändern, damit die Menschen mehr bezahlbaren Wohnraum bekommen. Dabei werden wir auf gute energetische Standards achten, weil sie die Wohnnebenkosten senken und die Menschen auch vor extremer Hitze schützen können. Jahn: Durchschnittlich acht Monate für eine normale Baugenehmigung sind zu lang. Da muss die Verwaltung schneller werden. Auch die Landesbauordnung muss überarbeitet werden. Dazu sind wir im Austausch mit dem Land.
Bei so einem Satz kann jeder Wohnungssuchende nur noch müde lächeln. Tausendmal gesagt. Von allen Parteien. Gibt es auch eine eigene grüne Idee?
Jahn: Eine Idee reicht nicht. Es muss ein Maßnahmenbündel sein. Uns Grüne beschäftigt auch der steigende Bedarf an Wohnraum pro Person. In den letzten 25 Jahren stieg dieser pro Kopf um 37 Prozent. Das heißt, wir brauchen kluge, raumsparende Konzepte, die zugleich den Zusammenhalt stärken.
Sollen sich Familien mit zwei Kindern wieder auf 65 Quadratmeter und drei Zimmer beschränken?
Ibn Salem: Nein, natürlich nicht. Aber wir müssen neue Wohnformen fördern, die den Zusammenhalt stärken – zum Beispiel generationenübergreifendes Wohnen. Deshalb haben wir in Köln die Mitstadtzentrale gegründet, die gemeinschaftliche Wohnprojekte, Mehrgenerationenwohnen und neue Genossenschaften fördert.
Wie das denn? In Köln gibt kein älterer Mensch seine Wohnung auf, weil sie zu groß geworden ist. Weil eine kleinere in der Regel teurer ist. Wenn er eine findet.
Ibn Salem: Ältere Menschen wohnen teilweise alleine in größeren Wohneinheiten und wünschen sich mehr Gesellschaft und Unterstützung im Alltag. Für Studierende reicht das Geld kaum, um ein WG-Zimmer zu finanzieren. Diese Bedürfnisse wollen wir zusammenführen und das Zusammenleben von Studierenden und Senioren gezielt fördern. Erst kürzlich ist auf der Aachener Straße ein Haus für das Wohnen von Studierenden und Senioren vergeben worden. Aus unserer Sicht ist das Thema Wohnen die wichtigste soziale Frage in Köln.
Die Grünen waren im Stadtrat in dieser Zeit durchgehend Teil des Ratsbündnisses und somit in der politischen Verantwortung. Warum ist nichts passiert?
Jahn: Es ist viel passiert – und in einem Bündnis muss man Kompromisse aushandeln – wie in einer jeden Beziehung. Und sicherlich hätten wir Grüne es uns an mancher Stelle mehr gewünscht.
Das klingt alles sehr hilflos.
Ibn Salem: Nein, ganz im Gegenteil. Es geht um eine klare politische Prioritätensetzung in der Stadtverwaltung und der Stadtführung. Ich nehme jetzt schon wahr, dass wir im September mit Berîvan Aymaz eine Kölner Oberbürgermeisterin wählen können, die das Wohnproblem konsequent angehen wird.
War es ein Fehler, dass Sie vor fünf Jahren noch ein zweites Mal auf Henriette Reker als Oberbürgermeisterkandidatin gesetzt haben?
Ibn Salem: Die Zusammenarbeit war sehr erfolgreich, und Henriette Reker hat große Verdienste für Köln. Wir respektieren ihre Entscheidung, nicht mehr anzutreten. Für die kommende Zeit braucht es eine Persönlichkeit mit starkem politischen Handlungswillen, die entschieden Antworten auf die drängenden Herausforderungen unserer Stadt geben wird.
Die Grundstücke am Deutzer Hafen gehören der Stadt. Aber es passiert seit Jahren nichts. Wie ist das möglich?
Jahn: Die Abrissarbeiten von etwa 50 Prozent des Bestands sind beendet. Die ersten Grundstücke sind in der Vergabe, und die Freiflächen werden geplant. Auch wenn es lange erscheinen mag, auch hier passiert einiges. Wir wollen, dass der Deutzer Hafen zu einem lebendigen Quartier für alle wird und Schwimmen und Wassersport im Hafenbecken möglich ist. Stadtentwicklung ist meist ein langer Prozess, und zugleich sehr nah an den Menschen. So wie Kommunalpolitik anstrengend und faszinierend ist.
Beim ÖPNV und der Ost-West-Achse gibt es einen Mehrheitsbeschluss des Stadtrats für die U-Bahn, und die Grünen, die dagegen waren und sind, fordern jetzt einen Bürgerentscheid. Können Sie nicht verlieren?
Ibn Salem: Noch ist kein Tunnel gebaut, noch sind nicht alle nötigen Beschlüsse gefasst. Auch die Finanzierungsfrage muss noch geklärt werden. Es gibt also noch viele offene Fragen. Als Grüne haben wir immer klar gesagt: Wenn man ein Milliardengrab, eine riesige Baustelle mitten ins Herz unserer Stadt setzt, ist das das genaue Gegenteil eines schnell funktionierenden, leistungsfähigen Nahverkehrssystems. Wenn der Tunnel wie geplant umgesetzt werden sollte, werden der Stadt das Geld und die planerischen Kapazitäten zunehmend fehlen, um die dringend nötige Erweiterung des Stadtbahnnetzes und einen funktionierenden ÖPNV für alle Kölnerinnen und Kölner zu ermöglichen.