StilkolumneWarum kann die Frage nach der Herkunft fremdenfeindlich sein?

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Name, Haarfarbe, Hautfarbe – das sind keine Hinweise darauf, wo ein Mensch geboren ist.

  • Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
  • Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
  • In dieser Woche beantwortet Anatol Stefanowitsch die Leserfrage, warum die Frage nach der Herkunft fremdenfeindlich sein kann.

Köln – Meine Tochter hat mir neulich eine Freundin vorgestellt, die einen ausländisch klingenden Namen und sehr dunkle Haare hatte, so dass ich annahm, dass sie nicht aus Deutschland ist. Ich habe sie freundlich gefragt, woher sie kommt, und habe erfahren, dass ihre Eltern aus dem Iran stammen, was ich sehr interessant fand. Später hat meine Tochter mir aber gesagt, dass diese Frage fremdenfeindlich sei und dass ihre Freundin sich unwohl gefühlt habe. Ich bin aber im Gegenteil ein sehr weltoffener Mensch und frage deshalb auch Deutsche, die einen mir nicht geläufigen Dialekt sprechen, nach ihrer Herkunft. Das ist doch eine normale Frage. Wieso sollte sie dann bei Menschen, die nicht aus Deutschland stammen, fremdenfeindlich sein?

Der entscheidende Unterschied ist folgender: Ein ortsfremder Dialekt ist ein eindeutiger Hinweis darauf, dass Ihr Gegenüber woanders geboren oder zumindest aufgewachsen ist, denn einen Dialekt erwerben wir ja nur dort, wo er gesprochen wird. Mit Ihrer Frage zur Herkunft erkundigen Sie sich hier also nach einem offenkundigen Teil der Biografie Ihres Gegenübers. Ob das angemessen ist, hängt sicher von der Situation ab. Aber Sie haben Recht, es ist keine ungewöhnliche und sicher keine fremdenfeindliche Frage.

Auch bei einem französischen, englischen, russischen oder türkischen Akzent können Sie Ihr Gegenüber nach der Herkunft fragen, ohne dass dies unbedingt fremdenfeindlich sein muss – auch hier haben Sie ja einen klaren Hinweis darauf, dass Ihr Gegenüber seine Wurzeln woanders haben muss.

Name und Aussehen sind kein Hinweis darauf, wo eine Person aufgewachsen ist

Ganz anders sieht es aus, wenn Sie einen Menschen aufgrund des Namens oder gar des Aussehens nach seiner Herkunft fragen, denn anders als ein Dialekt oder ein Akzent sind Name und Aussehen kein Hinweis darauf, wo eine Person geboren oder aufgewachsen ist.

Deutschland ist faktisch seit Jahrhunderten ein Einwanderungsland, und so leben hier viele Menschen mit einem mehr oder weniger weit in der Vergangenheit liegenden sogenannten Migrationshintergrund; Menschen, die vielleicht anders heißen oder aussehen als Menschen ohne einen solchen Hintergrund, die aber in Deutschland geboren und/oder aufgewachsen sind und oft keinen sehr engen Bezug zum Herkunftsland ihrer Eltern oder Großeltern haben.

Frage nach Familiengeschichte ist eine sehr intime Frage

Für diese Menschen – ich gehöre selbst dazu – ist es selbstverständlich, dass Deutschland ihr Heimatland ist (ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht). Mit der Frage nach der Herkunft stellen Sie diese Selbstverständlichkeit in Abrede und signalisieren Ihrem Gegenüber, dass es mit seinem Aussehen oder Namen nicht wirklich Teil der deutschen Gesellschaft ist oder sogar niemals werden kann.

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Das ist gerade für jüngere Menschen, in deren Biografie die familiäre Migrationsgeschichte keine direkte Rolle mehr spielt, ein sehr bitteres Gefühl – und natürlich ist es auch allgemein ein fatales gesellschaftliches Signal. Das bedeutet nicht, dass Sie die Frage der Herkunft in diesen Fällen nie stellen dürften – wenn sich Menschen näher kennenlernen, möchten und dürfen Sie sie sicher auch über die jeweilige Familiengeschichte ausfragen. Es bedeutet aber, dass es sich um eine sehr intime Frage handelt, die eine gewisse gegenseitige Vertrautheit voraussetzt.

Überlegen Sie zum Vergleich einmal, wie gut Sie einen Menschen kennen müssten, bevor Sie sich nach seiner sexuellen Orientierung erkundigen würden. Auch hier haben Sie vielleicht manchmal das Gefühl, Hinweise in eine bestimmte Richtung zu erkennen, aber ganz sicher würden Sie die Frage nicht als geeigneten Gesprächseinstieg beim ersten Kennenlernen betrachten.

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