Jüngster Philosophie-ProfessorWarum es die Welt nicht gibt

Lesezeit 6 Minuten
Markus Gabriel lehrt Philosophie an der Universität Bonn.

Markus Gabriel lehrt Philosophie an der Universität Bonn.

Köln/Bonn – Herr Gabriel, oft wird Philosophie als die „Suche nach dem Sinn des Lebens“ verstanden. Ist es das für Sie auch?

In gewisser Weise schon. Philosophie ist für mich zunächst einmal eine Wissenschaft, aber es ist eine, die eine besondere Eigenschaft hat: Es geht bei ihr nämlich auch um uns selbst und zwar nicht nur als wissenschaftliche Subjekte. Und dabei geht es auch um den Sinn des Lebens. In der Philosophie geht man aber subtiler mit der Frage nach dem Sinn des Lebens um, weil es eben auch eine Wissenschaft ist.

Inwiefern subtiler?

Philosophie heißt, dass man erst einmal seine Urteile zurückhält. Normalerweise urteilen wir schnell, etwa über Menschen, unsere Umgebung, aber auch über den Sinn des Lebens. Daraus resultieren Konflikte mit anderen Personen. Philosophen setzen dieses Urteilen erst einmal außer Kraft und fragen sich, welche Urteile berechtigt sind: Es gibt immer ein „Warum?“ mehr als im Alltag.

Markus Gabriel, geboren 1980 in Remagen, hat den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart am Institut für Philosophie der Universität Bonn inne. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Antike und dem 20. Jahrhundert sowie im deutschen Idealismus. Systematisch beschäftigt er sich mit Erkenntnistheorie, Metaphysik, Religionsphilosophie und Ästhetik. 2005 promovierte Gabriel über die Spätphilosophie Schellings nachdem er in Bonn, Hagen und Heidelberg Philosophie studiert hat. 2008 habilitierte er in Heidelberg. Seit 2009 ist er Professor am Lehrstuhl der Uni Bonn nachdem er ein Jahr lang in New York Professor war. 2005 hatte er zudem eine Stelle als Gastforscher an der Universität Lissabon. Gabriel hat einige Auszeichnungen für seine wissenschaftliche Arbeit erhalten, darunter den Paolo Bozzi Preis 2014 der Universität Turin. (stö)

Philosophie wird oft als Gegenpart zur Religion gesehen. Wie stehen Sie dazu vor allem in Hinblick auf das baldige Weihnachtsfest?

Das hängt davon ab, was man wirklich unter Religion versteht. Religion hat immer etwas mit Aberglauben zu tun. Philosophie steht gegen den Aberglauben. Das heißt, sofern Religion etwas mit Aberglaube zu tun hat, ist die Philosophie dagegen, ebenso wenn Religion etwas mit Dogmatismus zu tun hat, also mit unüberprüfbaren Annahmen. Das macht Religion natürlich nicht immer. Das Problem ist nur, dass wir – im Hinblick auf Weihnachten – in einem Land leben, dass sich als christlich inszeniert, obwohl viele Menschen, die in Deutschland leben, keine Christen sind. Das schränkt die Freiheit ein.

Ist Weihnachten dann für Sie eine Inszenierung?

Es ist eine Inszenierung, die gute und schlechte Seiten hat. Einerseits ist Weihnachten mit unserer Marktwirtschaft verschränkt. Andererseits gibt es in der Geschichte von Weihnachten düstere Kapitel: Es ist ja eigentlich ein heidnisches Fest, das aber im Namen des Christentums begangen wird. Gleichzeitig zelebriert es den Kapitalismus und ist noch anti-jüdisch, weil es um die Geburt Jesu Christi geht, der angeblich der Messias sein soll. Da geht einiges durcheinander. Ich glaube, all das, was alle an Weihnachten schön finden, ist heidnisch. Die religiöse Seite von Weihnachten ist ausgesprochen problematisch und dann ist es fragwürdig, dass Weihnachten staatlich sanktionierte Feiertage anbietet. Warum sollte der Staat eine Religion bevorzugen?

„Was es gibt, kommt irgendwo vor“

Ihr Buch heißt „Warum es die Welt nicht gibt“. Warum gibt es die Welt nicht?

Der Gedanke ist ganz einfach: Was es gibt, kommt irgendwo vor. Wir kommen hier in diesem Raum vor, Geräusche kommen vor, Zahlen kommen vor. Die Frage ist dann: Gibt es einen Bereich, in dem alles stattfindet? Das wäre normalerweise die Welt, weil unsere Stadt ja in der Welt vorkommt. Was ist aber dann die Welt? Wenn darauf die Antwort wäre, dass alles Teil des Universums ist, wird es schwierig. Wo im Universum gibt es die Zahl drei? Es gibt keinen Bereich, wo alles stattfindet. Es gibt alles, was passiert, aber das koexistiert nicht in einem riesigen Behälter.

Sie wollen eine Schule des „Neuen Realismus“ gründen. Warum ist das nötig?

Es gibt zwei Gegner: Die einen sind die „Weltfreunde“, die glauben, dass es die Welt gibt. Sie suchen nach einer Weltformel, haben ein Welt- und Menschenbild. Sie täuschen sich aber. Auf der anderen Seite gibt es die Konstruktivisten, die glauben, dass das meiste in unserer Einbildung stattfindet und sozial konstruiert ist. Das ist ein anderes Extrem. Die einen überschätzen, die anderen unterschätzen den Menschen und ich suche die richtige Mitte.

Wie stellen sie sich das vor?

Die Idee ist ganz einfach: Wir sehen die Dinge, wie sie sind, aber wir sehen sie vom Standpunkt eines Menschen aus. Wir bilden uns zum Beispiel Meinungen, die alle verschieden sein können, aber sie können wahr sein. Meinungen sind manchmal Geschmacksfragen: Der eine mag Spaghetti mit Tomaten-, der andere mit Sahnesoße. Dabei kann man sagen: Gut, jedem seine Meinung. Das kann man aber nicht mehr sagen, wenn es darum geht, ob für das Christentum der Sonntag oder der Samstag der heilige Tag sein sollte oder vielleicht gar kein Tag, weil wir Mitglieder einer säkularen Gemeinschaft sind.

Philosophie für den Otto-Normal-Verbraucher

In Ihrem Buch benutzen sie eine Sprache, die leicht zu verstehen ist. Ist es heute notwendig, die philosophische Sprache in Alltagssprache zu übersetzen?

Unbedingt. Es gibt so viele philosophische Fachsprachen aus den unterschiedlichen Traditionen, dass sich sogar Philosophen untereinander nicht mehr verstehen. Vielleicht sprechen sie sogar manchmal über dasselbe, reden aber aneinander vorbei, weil jeder seine eigenen Worte hat. Viele große Momente in der Philosophie bestanden darin, dass jemand gesagt hat: Stop! Jetzt halten wir mal an und sagen, wie es ist. Wittgenstein, Hegel, Kant – Sie alle haben das versucht und es wiederholt sich immer wieder: Es entwickelt sich eine Fachsprache, die irgendwann zu einem Jargon wird, aus dem man wieder die Luft rauslassen muss. Genau das versuche ich zu tun.

Versuchen Sie damit die Philosophie für den Otto-Normal-Verbraucher verständlicher zu machen?

Auf jeden Fall. Man kann nicht von jedem verlangen, sich wie Studierende oder Professoren an der Universität intensiv mit der Fachphilosophie zu beschäftigen. Trotzdem wollen auch die anderen Menschen informiert werden und jeder soll verstehen, was behauptet wird.

Sie sind ein sehr junger Philosoph. Spielen Alter und Zeit keine Rolle in der Philosophie?

Ja. Philosophie ist eine Beschäftigung mit der Ewigkeit. Platon hat gesagt: „Philosophie ist ein bewegtes Bild der Ewigkeit“, das heißt, dass wir in der Zeit diskutieren, aber gleichzeitig herausfinden wollen, was ewig wahr ist.

KStA abonnieren