Kalte ProgressionWarum von der Gehaltserhöhung so wenig übrig bleibt

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Nur ein paar Euro? Warum viele durch die kalte Progression wenig Geld im Portemonnaie haben. 

Köln – Wieso kommt von der letzten Gehaltserhöhung eigentlich so wenig bei mir an? Was ist nochmal die „kalte Progression“? Und welche Rolle spielt die hohe Inflation dabei? Wir beantworten diese Fragen einfach und verständlich.

Wieso bekommen Menschen unterschiedlich viel von den 300 Euro Energiegeld?

Die Energiepreispauschale ist steuerpflichtig. Je höher das zu versteuernde Einkommen ist, desto weniger bleibt daher von der Energiepreispauschale netto übrig. Der Bund der Steuerzahler (BdSt) rechnet vor:

• Ein Single mit einem Monatsbrutto von 2500 Euro erhält netto 217 Euro. • Ein Single mit einem Monatsbrutto von 5000 Euro erhält netto 187 Euro. • Eine Doppelverdiener-Familie mit 2 Kindern, bei der beide Partner ein Monatsbrutto von je 3000 Euro verdienen, bekommt netto 422 Euro beziehungsweise beide je 211 Euro.

Die vollen 300 Euro erhalten Arbeitnehmer und Selbstständige, die unter dem Grundfreibetrag von aktuell 10.347 Euro liegen. Dieser Betrag steht allen Erwerbstätigen steuerfrei zu, er soll ein Existenzminimum sichern. 300 Euro ohne Abzug bekommen außerdem Minijobber, wenn es sich um das erste Dienstverhältnis handelt, erklärt der Bund der Steuerzahler. „Auch Schüler oder Studenten, die sich nebenbei etwas dazu verdienen, erhalten die Energiepreispauschale, wenn sie im September in einem Arbeitsverhältnis sind.“

Wirkt sich das Energiegeld auch auf die Einkommensteuer aus?

Die Energiepreispauschale kann dazu führen, dass sich der individuelle persönliche Steuersatz ändert, erklärt der Bund der Steuerzahler. Grundsätzlich bleibe aber netto immer ein Teil von der Pauschale übrig. „Eine hundertprozentige Steuerlast ist hier nicht möglich.“

Warum kommt von der letzten Gehaltserhöhung so wenig bei mir an?

Ein Grund ist die Steuerprogression: Mit einem höheren Einkommen zahlt man nicht nur mehr Steuern, sondern rutscht in der Regel auch in einen höheren Steuersatz. Das heißt, man muss einen höheren Anteil des eigenen Einkommens abgeben. Betroffen sind alle Jahreseinkommen bis 58.597 Euro beziehungsweise bis 117.194 Euro für Ehepaare.

Besonders deutlich ist der Effekt bei niedrigen Einkommen bis knapp 15.000 Euro. Schon bei einer geringen Gehaltserhöhung wächst ihre Steuerlast deutlich, weshalb ihnen davon meist wenig bleibt. Aber auch Steuerzahler mit einem mittleren Einkommen bekommen die Progression zu spüren. Das Nettogehalt steigt nicht gleich stark wie das Bruttogehalt. Eine Gehaltserhöhung oder ein zu versteuernder Bonus kommt nur zum Teil beim Arbeitnehmer an.

Wie ist das bei der hohen Inflation aktuell?

Berücksichtigt man die Inflation, ist die Gehaltserhöhung noch weniger wert. Wenn auch die Preise steigen, können sich Angestellte trotz Gehaltserhöhung nicht unbedingt mehr leisten als vorher – oder sogar weniger. Dieser Effekt ist gemeint, wenn von „kalter Progression“ die Rede ist.

Was ist kalte Progression?

Sie wird auch erklärt als „Gehaltserhöhung, von der man nichts hat“.

Ein Beispiel für kalte Progression:

Angenommen die Inflation liegt bei 4 Prozent. Zur Entlastung der Angestellten erhöht der Arbeitgeber das Gehalt ebenfalls um 4 Prozent. Für das gestiegene Gehalt werden auch mehr Steuern fällig. Die Angestellten erhalten in Folge nur 3,5 Prozent mehr Nettogehalt, 0,5 Prozent gehen ans Finanzamt. Das Gehalt steigt also nicht so stark wie die Preise und die Angestellten können sich – trotz Gehaltserhöhung – weniger leisten als vorher.

Kalte Progression für Verbraucher

3,5 Prozent mehr Nettoeinkommen bei 4 Prozent Inflation sind -0,5 Prozent Kaufkraft, also ein Kaufkraftverlust

Die Auswirkungen auf die Steuer: „Die kalte Progression verursacht steigende Durchschnittssteuersätze, selbst wenn das Einkommen nur in Höhe der Inflation steigt“, erklärt der Bund der Steuerzahler. Der Betroffene müsse dann mehr Einkommensteuer zahlen, obwohl er gar keine „echte“ Gehaltserhöhung erhalten hat. Und auch der Arbeitgeber hat höhere Abgaben.

Kalte Progression bei der Steuer

4 Prozent Gehaltserhöhung heißt netto 3,5 Prozent mehr Gehalt sind 0,5 Prozent mehr Einkommensteuer an das Finanzamt

Wer ist besonders betroffen von der kalten Progression?

Die kalte Progression betrifft praktisch alle Einkommensteuerpflichtigen, erklärt der Bund der Steuerzahler. „Bei kleinen und mittleren Einkommen steigen im derzeitigen Tarif die Grenz- und Durchschnittssteuersätze aber viel stärker an als bei Spitzenverdienern, die bereits Spitzensteuersätze zahlen.“ Bei Einkommen über 58.597 Euro (117.194 Euro für Ehepaare) gilt der Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Er bleibt konstant, auch wenn das Einkommen steigt. Nur für Einkommen über 277.826 Euro (555.652 Euro für Ehepaare) steigt er noch einmal: Dann gilt die Reichensteuer von 45 Prozent.

Was heißt kalte Progression für den Staat?

Nach einer Gehaltserhöhung steigt die Steuerlast. „Das ist vor allem dann der Fall, wenn die Lohnerhöhung nicht höher ausfällt als die Preissteigerungen“, erklärt der Bund der Steuerzahler. „Netto hat der Steuerzahler dann weniger Kaufkraft.“ Der Staat selbst profitiere von diesem Effekt bei einer hohen Inflation. „Er nimmt zum Beispiel durch steigende Preise mehr Umsatzsteuer beim Einkauf und über die Lohnerhöhungen mehr Einkommensteuer ein“, erklärt der Bund der Steuerzahler. Je höher die Inflation sei, desto gravierender seien die Belastungen der Bürger durch die kalte Progression. „Und umso wichtiger sind daher Reform-Maßnahmen des Steuergesetzgebers.“ 

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