Vor GerichtIn welchen Fällen Trunkenheit eine Strafe mildern oder sogar ganz aussetzen kann

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Ein Richter im Gerichtssaal hält das Strafgesetzbuch (StGB) in der Hand.

Die Prüfung der Schuldfähigkeit ist Aufgabe eines Gerichts.

Mildernde Umstände vor Gericht, weil der Täter alkoholisiert war? Wann das gilt, erklärt Staatsanwältin Laura Neumann in unserer Rechtskolumne.

Während der Konsum von Alkohol oder anderen Rauschmitteln bei Delikten wie Trunkenheit im Verkehr strafbegründend wirkt, also Voraussetzung für eine Strafbarkeit ist, kann er in anderen Fällen zu einer Strafmilderung oder sogar zu Straflosigkeit führen.

Gemäß Paragraf 20 des Strafgesetzbuchs handelt nämlich derjenige ohne Schuld, der bei seiner Tat wegen sogenannter seelischer Störungen unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Strafminderung? Alkoholrausch stellt „krankhafte seelische Störung“ dar

Der Alkoholrausch stellt nach herrschender Meinung eine solche „krankhafte seelische Störung“ dar, weil er die Hirntätigkeit vorübergehend beeinträchtigt.

Ein wichtiges Indiz für ein schuldloses oder vermindert schuldfähiges Handeln in jedem einzelnen Fall ist die Höhe der Blutalkoholkonzentration (BAK). Zur Bedeutung für die Bestrafung hat die Rechtsprechung gewisse Faustregeln entwickelt: Zwei Promille und mehr sind ein deutlicher Hinweis für verminderte Schuldfähigkeit. Ab drei Promille kommt sogar Schuldunfähigkeit in Betracht.

Strafminderung durch Alkoholrausch: Alle Tatumstände müssen berücksichtigt werden

Über die BAK hinaus müssen alle Umstände der Tat berücksichtigt werden: Wie komplex waren die Abläufe? Wie planvoll und zielgerichtet ist der Täter vorgegangen? Wie situationsgerecht war das Verhalten vor und nach der Tat. Die bloße Flucht vom Tatort zum Beispiel dürfte keine große Indizwirkung haben, aufwendiges Verwischen der Spuren schon eher. Von Bedeutung ist auch die Schwere der Tat, da die Hemmschwelle für Mord oder Totschlag selbst bei starker Alkoholisierung extrem hoch ist.

Staatsanwältin Laura Neumann von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

Staatsanwältin Laura Neumann von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf.

Rein körperliche Leistungen fallen eher weniger ins Gewicht. Grobmotorische Fähigkeiten bleiben – insbesondere bei hoher Alkoholgewöhnung – durch entsprechende Übung oft erhalten. Gleiches gilt zum Beispiel für das Autofahren. Größeren Einfluss auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit haben hingegen die geistigen Leistungen. Ist der Täter fähig, auf veränderte Tatumstände oder plötzliche Schwierigkeiten zu reagieren und seinen Tatplan adäquat anzupassen, dann spricht dies für eine erhaltene Steuerungsfähigkeit.

Prüfung der Schuldfähigkeit: Gericht kann psychiatrischen Sachverständigen hinzuziehen

Die Prüfung der Schuldfähigkeit ist Aufgabe des Gerichts. Es kann aber einen psychiatrischen Sachverständigen mit einem Gutachten beauftragen. Kommt das Gericht in der Hauptverhandlung zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war, spricht es ihn frei. Bei eingeschränkter Schuldfähigkeit kann das Gericht die Strafe mildern. In beiden Konstellationen kann aber, gegebenenfalls neben der Strafe, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet werden.

Nun kommt eine tatgeneigte Person vielleicht auf die Idee, sich vor der Tat ordentlich zu betrinken, um dann wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen zu werden. Für diese Konstellation wurde die Rechtsfigur der „actio libera in causa“ (alic) entwickelt: Handlungen im Vorfeld einer Tat, also zum Beispiel der vorsätzliche Alkoholrausch, können eine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen, wenn der Täter damit rechnet, dass er eine bestimmte Tat begehen wird. Wann und wie diese Rechtsfigur im Einzelfall angewandt wird, ist allerdings umstritten.

Unabhängig davon gibt es gemäß Paragraf 323a die Strafbarkeit wegen Vollrauschs, wenn in diesem Zustand eine Straftat begangen wird. Weiß jemand zum Beispiel, dass er in betrunkenem Zustand regelmäßig aggressiv wird, und betrinkt sich dennoch, kann er dafür bestraft werden, wenn er später jemanden verprügelt und zu diesem Zeitpunkt schuldunfähig ist. In dieser Konstellation wird der Täter also nicht für die später begangene Tat bestraft, sondern wegen des Alkoholkonsums.

Dieser Text ist eine Folge unserer Rechtskolumne „Recht & Ordnung“. In dieser Serie schreiben Staatsanwältin Laura Neumann (Düsseldorf) sowie die Rechtsanwälte Pia Lorenz („Beck aktuell“), Martin W. Huff (ehem. Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln) und Rechtsanwalt Thomas Bradler. Er leitet bei der Verbraucherzentrale NRW den Bereich Markt und Recht. In ihren Kolumnen geben sie Auskunft zu oft kniffligen Fragen des Rechts, können aber keine Rechtsberatung bieten oder in konkreten Fällen den Gang zu einem Anwalt ersetzen. Haben Sie eine Frage an unsere Experten? Dann schreiben Sie uns eine Mail an: recht-und-ordnung@dumont.de

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