Drei junge Kölnerinnen erzählenWie Frauen sich im Alltag gegen Sexismus wehren können

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Auf ungewollte Annäherungsversuche auf der Straße reagieren Frauen am besten laut.

Köln – „Ich habe mich umgedreht und gesagt: Nein, das ist kein Kompliment und hör auf damit“ – Leonie (26). „Am Ende des Praktikums habe ich mich bei meiner Chefin über den Kollegen beschwert“ – Greta (23). „Ich habe mit klopfendem Herzen geschrien: Was willst du?“ – Bianca (31). Drei junge Frauen und drei Zitate, bei denen gleich jeder und jede weiß, worum es im folgenden Text gehen wird: Sexismus – auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der U-Bahn. Spätestens seit der FDP-Politiker Rainer Brüderle 2013 einer jungen Journalistin unverhohlen ins Dekolleté stierte und sie daraus ein Talkshow-Thema machte, weiß es eigentlich auch der letzte Macho: Manche Verhaltensweisen sind nicht mehr gesellschaftsfähig. „Das Wort Sexismus ruft bei fast allen Befragten spontan Abwehr und Missbilligung hervor“, schreiben die Macher der Studie „Sexismus im Alltag“, die 2020 im Auftrag des Familienministeriums durchgeführte wurde.

Dieser Text widmet sich nicht der zermürbenden Frage, warum es Sexismus noch gibt, wenn ihn doch eigentlich alle blöd finden. Dazu werden hier nur drei Stichwörter genannt: Machtstrukturen, toxische Männlichkeit, Patriarchat – sondern was die Frau tut, wenn er ihr begegnet. Und zwar in den alltäglichen Situationen, die nicht bedrohlich oder gewalttätig sind und die Männer immer noch viel zu oft normal, charmant und lustig finden. Und Frauen ängstlich, wütend oder verstört zurücklassen.

Die drei Frauen, von denen die Zitate stammen, wehren sich. Sie wollen keine Opfer sein. Sie sind Teil der Unmute-Reclaim-Community auf Instagram. Die Account-Gründerinnen aus Berlin veröffentlichen dort Schilderungen ihrer überwiegend weiblichen Userinnen, wie sie sich in sexistischen Situationen verhielten. Um andere zu ermutigen, das Gleiche zu tun. „Unmute“ ist das Aufheben der Stummschaltung in Videokonferenzen. „Reclaim“ wird mit Zurückfordern übersetzt. Nicht mehr still sein. Drei junge Kölnerinnen und eine Genderforscherin erklären uns, wie das gehen kann.

„Ich habe mich umgedreht und gesagt: Nein, das ist kein Kompliment und hör auf damit“ – Leonie (26)

Wenn Leonie alleine aus ihrer Haustür in Köln-Kalk trat, konnte sie fast sicher sein, dass ein Mann sie anspricht. Immer standen Männergruppen vor Cafés und Wettbüros herum und ein Mutiger sei immer dabei gewesen, sagt die 26-jährige Studentin im Videochat. Einmal rief einer „Boah, was für Beine“ und als sie ihn anschnauzt, fragt er, ob sie ihre Tage hätte und betont, dass sei nur ein Kompliment gewesen. „Ich bin lange davon ausgegangen, dass das als Frau einfach dazu gehört. Dass man auf der Straße manchmal mit Blicken ausgezogen wird“, sagt Leonie. In ihrem Teenie-Freundeskreis hätten sich die Jungen gegenseitig Männlichkeitskarten gegeben oder auch mal entzogen, wenn einer zu einem pinken Cocktail gegriffen oder eine romantische Komödie geschaut hätte. Nach der Schulzeit begann sie, dieses Verhalten kritisch zu hinterfragen.

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Anna Schiff promoviert an der Ruhr-Universität Bochum zur Geschichte des Geschlechterverhältnisses.

Anna Schiff von der Ruhr-Universität Bochum promoviert zu Geschlechtergeschichte, gibt Workshops und hält Vorträge zu Sexismus im Alltag. Über Leonies Schilderungen muss sie fast lachen. „Der Anteil der Frauen, die so eine willkürliche, ungefragte, optische Bewertung auf der Straße als positiv empfinden, muss verschwindend gering sein.“ Eigentlich müsste also schon der kollektive Erfahrungsschatz der Männer diese Praxis wegen Erfolglosigkeit längst beerdigt haben.

Für Männer, die nicht verstehen, warum das so genannte Catcalling – also Frauen auf der Straße etwas hinterherrufen – nichts mit Komplimenten zu tun hat, empfiehlt sie folgendes: „Stellen Sie sich vor, ein Kompliment ist ein Geschenk. Nehmen Sie da willkürlich irgendetwas und werfen es einer fremden Person auf der Straße an den Kopf? Eher nicht.“ Sie findet, Leonie hat in der Situation richtig reagiert. Wenn es keine potenziell bedrohliche Situation ist, ist es das Beste, das Fehlverhalten direkt anzusprechen. „Dass man zu vielen Menschen dabei nicht durchdringt, ist aber leider auch normal“, sagt Schiff. „Wer wird schon gern auf einen Fehler aufmerksam gemacht?“

„Am Ende des Praktikums habe ich mich bei meiner Chefin über den Kollegen beschwert“ – Greta (23)

Greta erinnert sich, dass sie bei einem Praktikum in einer Fernsehredaktion erschrocken war, „was für Witze dort noch lustig waren und wie dort von mittelalten Männern mit Bierbauch das Aussehen von Kolleginnen kommentiert wurde“. Einmal sollte sie einen Kollegen zu einem Dreh begleiten, musste dann wegen eines anderen Termins aber kurzfristig absagen. Der Kollege schrieb ihr eine E-Mail mit dem Hinweis, sie könne sich ja mal überlegen, wie sie das wieder gut mache. „Mit so einem Zwinker-Smiley dahinter“, sagt Greta. „Da war mir natürlich klar, in welche Richtung dieser Kommentar gemeint war.“ Sie sei ihm danach aus dem Weg gegangen und er habe sie nochmal angesprochen, dass das nur Spaß war. Trotzdem hätte sie den Vorfall am Ende ihres Praktikums der Vorgesetzten erzählt und das schlechte Arbeitsklima angeprangert.

Er fand es also lustig, sie fand es unangebracht und übergriffig. Für Genderforscherin Anna Schiff ein klarer Fall von „humorlose Feministin“. Indem der Kollege sich auf einen vermeintlich unterschiedlichen Humor zurückzieht, entzieht er einer möglichen Diskussion die Grundlage und verschanzt sich hinter der vermeintlichen Meinungsfreiheit. Deshalb war auch Gretas Impuls, sich bei der Vorgesetzen zu beschweren, richtig. Generell rät Anna Schiff dazu, im Büro die einfachen Regeln des menschlichen Miteinanders zu beherzigen, die schon Kinder lernen: „Wenn ich merke, ich habe jemanden verletzt, entschuldige ich mich.“

Wie schwierig das offenbar immer noch ist, zeigt auch die Sexismus-Studie des Familienministeriums. Die Forschenden erkennen bei vielen Männern die Grundhaltung, dass Sexismus ein Problem der Betroffenen ist. Sie fühlt sich herabgewürdigt, also war es wohl sexistisch. Diskriminierung beginne aber im Kopf. Schon bevor sie ausgesprochen wird.

„Ich habe mit klopfendem Herzen geschrien: Was willst du? Hau ab!“ – Bianca (31)

Schon in der Straßenbahn merkt Bianca, dass ein Mann sie mit Blicken verfolgt. An ihrer Haltestelle steigt er ebenfalls aus. Sie läuft extra hoch und die nächste Treppe wieder runter, um ihn abzuschütteln. Er folgt ihr weiter, sie dreht sich um und schreit ihn für alle Umstehenden hörbar an. Er hebt entschuldigend die Arme und geht.

„Ich bin so stolz auf mich, dass ich in der Situation laut geworden bin. Eigentlich werden wir Frauen ja dazu erzogen, anderen bloß kein schlechtes Gefühl zu geben“, sagt sie. Als sie ihre Geschichte bei Instagram teilt, gibt es jede Menge positive Kommentare. „Das hat mir so viel Energie gegeben.“ Accounts wie Unmute-Reclaim oder auch Catcalls-of-Cologne sind gewissermaßen die gute Seite von Sozialen Medien. Betroffene bestärken sich gegenseitig, helfen sich, tauschen Informationen und Tipps aus. Wer weiß, wie universell das eigene Erleben ist, fühlt sich weniger hilflos. Bianca spricht im Freundes- und Bekanntenkreis auch gezielt mit Männern über ihre Erlebnisse. „Das ist für mich ein wichtiger Hebel: Die Männer sensibilisieren und ermutigen, den Mund aufzumachen, wenn sie sexistisches Verhalten beobachten.“

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Trotzdem kennt auch Bianca noch Situationen, in denen sie selbst wie gelähmt ist und kein Wort herausbringt. Das sei völlig normal, sagt Anna Schiff. „Gerade junge, engagierte Frauen hadern damit, wenn sie sexistische Handlungen mitkriegen und nicht reagieren.“ Aber es sei zu bedenken: „Feminismus ist ein Marathon. Auch in 20 Jahren werden wir wohl noch ähnliche Situationen erleben. Aber um uns herum verändert sich die Welt ganz langsam.“ Und vielleicht ein bisschen schneller, wenn Frauen sich regelmäßig zur Wehr setzen – und Männer endlich mitmachen.

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