Meltem Kaptan im Gespräch„Für mich war Bielefeld die große, weite Welt”

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Meltem Kaptan küsst ihren Silbernen Bären, der jetzt einen Ehrenplatz zwischen Retroradio und 70er-Jahre-Lampe in Köln gefunden hat

Köln – Sie war DIE Überraschung auf der Berlinale. Die Kölner Comedienne Meltem Kaptan (41) gewann in ihrer ersten großen Rolle gleich den Silbernen Bären als beste Schauspielerin in „Rabiye Kurnaz gegen Goerge W. Bush”. Was sie daran reizte, in die Haut der türkischen Mutter aus Bremen zu schlüpfen, die im wahren Leben Jahre um die Freilassung ihres Sohnes Murat aus Guantanamo kämpfte, schildert sie in unserem Interview.

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Verstehen sich gut und schreiben sich noch immer viel: Rabiye Kurnaz (links) und Meltem Kaptan, hier zusammen auf der Berlinale

Frau Kaptan, Glückwunsch, Sie haben sich auf der Berlinale gegen Namen wie Juliette Binoche und Charlotte Gainsbourg durchgesetzt. Die ganze Welt spricht über den Film. Wie erleben Sie das? Meltem Kaptan: Es ist der Wahnsinn. Vergangene Woche war ich in der Türkei, „Rabiye” war der Eröffnungsfilm eines Festivals, jetzt die Premieren in Deutschland. Vorgestern habe ich 19 Interviews an einem Tag gegeben, da war am nächsten Tag erst mal Salbeitee angesagt. Apropos Tee: Im Film löffeln sie massenhaft Zucker in die Tasse. Ein türkisches Klischee – oder sind Sie so eine Süße? Das denkt jeder. Wer solche Kurven hat wie ich und dann auch noch eine Backsendung moderiert, muss Süßes lieben. Ist aber gar nicht so. Wenn am Set ein Teller mit Süßem steht, nascht mein gertenschlanker Agent alles weg. Und die Caterer denken: Oh, Meltem braucht Nachschub. Die meisten Leute glauben ja, Türken essen Baklava, bis die Zähne ausfallen. Aber die türkische Küche hat sich da sehr gewandelt.

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Alexander Scheer (l.) und Meltem Kaptan in einer Szene des Films „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” in Washington.

Übermütter sind heute etwas aus der Mode gekommen … Und das finde ich ganz schlimm, erst recht den Begriff „Nur-Hausfrauen”. Diese Frauen werden oft belächelt und unterschätzt. Ich würde mich freuen, wenn die Gesellschaft Hausfrauen, Frauen mit Job und Kind und Frauen, die Karriere machen wollen, gleichwertig betrachten könnte. Die Entscheidung, wenn man mit vollem Herzen dahintersteht, sollte jeder Frau selbst überlassen sein. Sie sind, ebenso wie der bekannte Satiriker Oliver Welke, im ostwestfälischen Harsewinkel groß geworden. Klingt nicht gerade nach dem Nabel der Welt, oder? Und: Haben Sie sich da mal getroffen? Meine Mama und seine waren Lehrerinnen an der gleichen Schule. Es heißt, Oliver ist mit mir, als ich vier war, und meinen Monchichis im Kinderwagen mal um den Ententeich gegangen. Daran kann ich mich leider nicht erinnern. Aber so eine Kindheit auf dem Land prägt schon. Für mich war Bielefeld die große weite Welt, ich war durstig nach Kultur. Doch weil es nun mal nicht dieses Überangebot wie in der Stadt gab, bin ich selbst kreativ geworden. Ich habe viel gemalt, bin im Schultheater aufgetreten und habe immer viel gelesen.

Eine echte Königin der Comedy-Szene

Eine echte Königin der Comedy-Szene Meltem Kaptan – deutsch-türkische Comedienne, Moderatorin, Schauspielerin und Autorin. Sie lebt mit Ehemann Daniel Holl in Köln. Kaptan studierte Anglistik, Medienwissenschaften und Malerei in Marburg, absolvierte eine Schauspiel- und Gesangsausbildung in Istanbul und den USA. Dort spielte sie bereits in Musicals mit. 2004 gründete sie das English Theatre in Marburg, wo sie auch Regie führte. Ab 2007 konzipierte sie mehrere Comedy-Formate für 1Live, mit ihren Stand-Up-Comedy-Programmen trat sie u. a. in „Ladies Night”, „Nightwash” und im „Quatsch Comedy Club” auf. Als Moderatorin hat sie sich bei „Das große Backen”, „Wie genial ist das denn?!” und „Ladies Night” einen Namen gemacht. Auf der Berlinale 2022 wurde sie mit dem Silbernen Bären für die beste Hauptrolle in „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” (Filmstart: 28. April) ausgezeichnet.

Wie haben Ihre Eltern reagiert, als sie Ihnen mitgeteilt haben, dass sie Künstlerin werden wollen? Sie mussten wie wohl die meisten Eltern schon etwas schlucken. Weil man ja weiß, dass das kein leichter Weg ist. Doch sie standen ebenso wie bei meiner Schwester, die Tänzerin geworden ist, immer hinter uns. Manch einer hat sich gewundert, dass ich bei der Preisverleihung auf der Berlinale als erstes meinen Eltern gedankt habe. Aber es sind doch die Eltern, die ihre Kinder auf dem Lebensweg, den sie eingeschlagen haben, begleitet haben. Das sollte man nie vergessen. Meine Mutter zum Beispiel hat mich immer aufgerichtet, wenn eine Klassenarbeit mal nicht so gut lief oder ich Liebeskummer hatte. Sie liebt Sprichwörter und hat mir immer einen Schnipsel mit einem aufmunternden Spruch ins Zimmer gelegt. Diese positive Lebenseinstellung verdanke ich ihr. 2016 haben Sie im Buch „Verliebt, verlobt, verbockt” über die unterschiedlichen Vorstellungen von Deutschen und Türken geschrieben, was Ihre Hochzeit angeht. Wie sieht es Ihrer Meinung nach heute mit den Klischees aus? Ich bin der Meinung, dass da durch die Generationen hinweg immer mehr Annäherung stattfindet und die Grenzen verwischen. Und das ist auch gut so. Ich finde, ich habe das Beste aus beiden Kulturen mitgenommen – und darüber bin ich glücklich. Sie sind jetzt im „verflixten siebten Jahr” verheiratet. Haben Sie da schon mal was „verbockt”? Ach, jetzt, wo Sie es sagen, da habe ich noch gar nicht dran gedacht ... Vielleicht war das ja ein Zeichen? Letzte Woche habe ich für ein Fotoshooting meinen Ehering abgenommen, weil er farblich nicht zum Kleid passte – und dann liegengelassen. Den habe ich jetzt wieder zurück. Nein, mein Mann und ich leben mit unserem neuen Familienzuwachs – ein kameraverrückter Havaneser namens „Chino” – glücklich in Köln. Und wir freuen uns nach dem ganzen Trubel jetzt auch auf ein paar Tage Urlaub.

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