InterviewVon Beruf: Klischeetürke

Seine Kollegen halten seine Heimat für ein „hartes Pflaster“: Michael Keseroglu in Chorweiler.
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Köln – Als Jugendlicher hast du in einer Gruppe namens „Crazy Breakers“ gebreakdanced. Machst du das heute noch?
Michael Keseroglu: Nein, das ist Vergangenheit. Das haben wir damals in unserer Kindheit gemacht. Wir sind alle älter geworden, und jeder ist seinen eigenen Weg gegangen.
Wie ist aus dem „Breaker Micha“, wie du heute noch gerne in deinem Umfeld genannt wirst, der Schauspieler Michael Keseroglu geworden?
Keseroglu: Alles hat mit dem Breakdance angefangen. Wir hatten damals viele Auftritte und sind viel rumgekommen. Eines Tages legte mein Lehrer mir einen Zeitungsartikel vor. Die Theatergruppe „Planet Kultur“ suchte für ein Musical nach Talenten. Das interessierte mich natürlich auf Anhieb, und ich meldete mich für das Casting an. Da ich aus der Breakdance-Szene kam, tanzte ich ihnen etwas vor. Auf die Frage, ob ich schauspielerische Erfahrung hätte, musste ich mit „Nein“ antworten, aber Bühnenerfahrung hatte ich. Es gefiel ihnen, und zwei Tage später wurde ich angenommen.
In deinen Filmen spielst du oft Klischeerollen. In „Gangs“ verkörperst du Gangmitglied Rambo, im Film „Schleuderprogramm“ spielst du einen Häftling. Hast du das Gefühl, in eine Schublade gesteckt zu werden?
Keseroglu: Ja, das Gefühl habe ich. Leider Gottes ist das so, dass mir fast ausschließlich Klischeerollen angeboten werden. Ich sehe eben nicht aus wie jemand, der aus gutbürgerlichem Hause kommt. Aber wird die Besetzung für die Rolle eines Kriminellen gesucht, werde ich angefragt. Das regt mich natürlich manchmal auf, und ich frage mich auch mal, ob die ganze schauspielerische Ausbildung und Erfahrung umsonst war.
Inwiefern kannst du dich mit diesen Rollen identifizieren?
Keseroglu: Mit den meisten dieser Rollen kann ich mich gar nicht identifizieren. Zum Beispiel, wenn ich einen Häftling verkörpern muss. Ich weiß nicht, wie es im Gefängnis ist. Ich war auch nie in einer Gang.
Wir leben in einer multikulturellen Zeit. Das heißt, dass auch türkischstämmige Ärzte, kurdischstämmige Anwälte und Lehrer mit arabischer Herkunft Teil unserer Gesellschaft sind. Glaubst du, dass dieses Bild in der deutschen Film- und Fernsehbranche angekommen ist?
Keseroglu: Mit einem Migrationshintergrund wird man in der Regel nicht für eine größere Rolle ausgewählt. Es herrscht Abgrenzung. Diejenigen, die doch eine Hauptrolle spielen dürfen, können meist keinen akzentfreien Satz in ihrer Muttersprache sprechen. Man muss schon überintegriert sein. Die schauspielerische Erfahrung wird völlig ignoriert, und es wird ausschließlich auf das Optische geachtet. In den USA war es früher genauso, als Weiße alle Hauptrollen besetzten. Aber dort hat sich etwas verändert. Es gibt zahlreiche Afroamerikaner, die einen Oscar haben.
Du bist in einem sogenannten sozialen Brennpunkt, nämlich in Chorweiler geboren und aufgewachsen. Beeinflusst das deine Arbeit?
Keseroglu: Von Kölnern am Filmset wird Chorweiler zwar als hartes Pflaster gesehen. Mich persönlich beeinflusst es jedoch weder positiv noch negativ.
Welche Rollen würdest du gerne spielen, wenn du die freie Wahl hättest?
Keseroglu: In einem Film, der sich lange vor unserer Zeit abspielt, würde ich sehr gerne mitwirken. Streifen im antiken Rom oder einen mittelalterlichen Film fände ich spannend.
In einem anderen Interview hast du einmal gesagt, dass dir das Theater mehr Spaß bereitet als die Arbeit an einem Film. Warum?
Keseroglu: Im Theater hast du mehr Spielraum, mehr Freiheiten. Wohl jeder Bühnenschauspieler erlebt einmal den Moment, in dem er seinen Text vergisst, aber daraufhin so gut improvisiert, dass es den Zuschauern nicht auffällt. Da liegt meiner Meinung nach die Kraft des Theaters. Auf der anderen Seite: Wenn du beim Filmdreh deinen Text nicht auf die Reihe kriegst, wird die Szene wiederholt, bis alles klappt. Im Theater zu spielen ist einfach ein anderes Gefühl. Meine Liebe zum Theater wird immer größer sein.
Viele junge Menschen unserer Generation interessieren sich nicht für das Theater. Warum, glaubst du, ist das so?
Keseroglu: Schau dir das System an. Leute aus dem Brennpunkt gehen für einen Hungerlohn arbeiten. Ihnen bleibt gar kein Raum, sich mit dem Theater zu befassen. Ich hatte damals Glück. Ich hatte mir schon vorgenommen aufzuhören, weil man beim Theater einfach schlecht verdient. Und ausgerechnet bei meiner, wie ich dachte, letzten Vorstellung bekam ich das Angebot von meiner ehemaligen Agentur. Zwei Wochen später kam das Kinoangebot zu „Gangs“. Das war damals ein totaler Flash und ich dachte, es folgen Angebote aus Hollywood. Es kommt natürlich auch auf das soziale Umfeld an. Wenn man aus einer zerrütteten Familie kommt, hat man keinen Nerv für so was. Zudem verstehen viele das Theater nicht. Ich habe in Stücken mitgewirkt, in denen Schauspieler nackt über die Bühne gelaufen sind. Das konnte ich anfangs auch nicht verstehen und habe Fragen gestellt, wie: „Kriegt ihr dafür mehr Geld?“ Doch es war einfach die Leidenschaft zum Theater. Wenn du noch nie mit Theater in Berührung gekommen bist, weißt du auch nicht, was es ist. Heutzutage schauen sich die meisten lieber Science-Fiction und Action-Streifen wie „Transporters“ an.
Kannst du vom Schauspiel leben?
Keseroglu: Wenn es auf Dauer läuft, ja. Wenn man jedoch nur an ein bis zwei Jobs im Jahr beteiligt ist, benötigt man ein zweites Standbein, um über die Runden zu kommen.
Was machst du sonst beruflich, wenn du nicht genügend Jobs bekommst?
Keseroglu: Ich arbeite in einem Sicherheitsunternehmen. Die Chefs sind Freunde von mir und für Film- oder Fernsehprojekte kann ich mich jederzeit abmelden. Nach den Dreharbeiten arbeite ich dann weiter.
Als wir einen Gesprächstermin vereinbaren wollten, hast du mir gesagt, dass du wegen Dreharbeiten gerade nur selten Zeit hast. Was sind deine aktuellen Projekte?
Keseroglu: Ich habe für den SWR gedreht, beim Schweizer Tatort. Da habe ich einen ehemaligen albanischen Verbrecher gespielt (lacht). So viel also zum Thema Klischeerollen.
Das Gespräch führte Cem Yalim