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JVA SiegburgDie Abende sind am schwersten

4 min

In gelbes Licht ist die Justizvollzugsanstalt in Siegburg-Brückberg Nacht für Nacht getaucht. Gebäude und Zäune werden über 24 Stunden streng bewacht.

Siegburg – In der Justizvollzugsanstalt Siegburg ist es nie dunkel. Die Lampen in den langen Gängen brennen rund um die Uhr. Und im Außengelände, wo jeder Quadratmeter von Infrarotkameras überwacht wird, leuchten nachts Scheinwerfer. „Das Licht ist gelblich, damit die Anwohner nicht so stark belastet werden“, sagt Harald Zunker. Der Leiter des allgemeinen Vollzugsdienstes und sein Stellvertreter Manfred Bolten erwarten die Reporterin an der Eingangspforte.

Es ist 22.30 Uhr. Die Nachtschicht hat gerade begonnen. Auch für die Vollzugsbeamtin Nadine Caputo und Nachtdienstleiter Michael Lotz. Sie stehen in der Sicherheitszentrale, in der ein rundes Dutzend Monitore Bilder von den Außenkameras empfängt. Die Kollegen haben die Bildschirme beständig im Blick. „Hier fliegt kein Schnipsel Papier aus dem Fenster, ohne dass wir es merken“, kommentiert Lotz. Kein Wunder, dass Ausbruchsversuche, wie Bolten ergänzt, selten geworden sind.

In den beiden Häusern, in denen zurzeit etwa 140 jugendliche Untersuchungshäftlinge und 300 erwachsene Straftäter leben, finden auch nachts Rundgänge statt. Die Beamten wechseln sich auf ihren Posten ab. Im Außengelände, zwischen Sicherheitszaun und -mauer kreist zur Kontrolle ein Fahrzeug. Und „Wachkatze“ Nemo. „Die macht auch Rundgänge“, sagt Bolten schmunzelnd. „Allerdings hält sie Ausschau nach Ratten und Mäusen.“

Um 21 Uhr, am Wochenende um 17 Uhr werden die Zellentüren geschlossen. Dann sind die Gefangenen, die tagsüber vielfach in den JVA-Werkstätten arbeiten oder eine Ausbildung absolvieren, allein in ihren Zellen. „Die Abende sind am schwersten“, sagt André. Der 21-Jährige ist seit 2009 in Haft. „Ein Gewaltdelikt“, mehr will André über seine Tat nicht sagen.

Stattdessen spricht er über das Leben im Knast: „Tagsüber ist man beschäftigt. Ich mache eine Ausbildung als Kfz-Mechatroniker.“ Doch abends holen ihn regelmäßig die Gedanken ein. „Die erste Stunde, allein eingeschlossen, ist okay. Ich räume die Zelle auf, lege die Sachen für den nächsten Tag raus.“ Aber wenn die Ablenkung weg sei, verändere sich die Atmosphäre: „Man realisiert den Geruch der Abendluft, die Geräusche der Grillen. Da schlagen die Erinnerungen hoch. Man denkt nach, was man alles falsch gemacht hat. Auch gegenüber der Familie.“ Oft liege er deshalb wach, wie viele andere Inhaftierte. „Ich will aber kein Schlafmittel.“

Der 21-Jährige stammt aus Osteuropa, die Wände der Acht-Quadratmeter-Zelle hat er mit Familienfotos und Postern geschmückt. Auf dem kleinen Tisch steht der Fernseher. Aber den schalte er nachts nicht ein. „Da läuft nur Schrott, jedes Jahr dasselbe.“ Er grinst. „Eine Zeit lang habe ich Origami gemacht.“ Wie viele Nächte er noch in der Zelle sein muss, weiß er nicht. Die Strafe läuft bis 2016. „Vielleicht werde ich nächstes Jahr abgeschoben.“

Auf dem Gang ist es ruhig. Nur einzelne Insassen unterhalten sich rufend von Zelle zu Zelle. An einer leuchtet eine rote Lampe. „In jeder Zelle ist eine Notruf-Anlage. Darüber können die Gefangenen Kontakt zur Sicherheitszentrale aufnehmen“, erklärt Zunker. Vor allem in Haus zwei, in dem die Jugendlichen untergebracht sind, komme das häufig vor, berichtet Nadine Caputo: „Vor zwei Tagen fragte einer um drei Uhr, ob wir ihm noch etwas zu essen machen können. Und einer wollte nachts den Müll rausstellen.“ Beides sei natürlich nicht möglich. Caputo lächelt: „Ich verstehe solche Fragen eher als Versuch der Kontaktaufnahme.“ Gerade junge U-Häftlinge müssten sich in der Situation erstmal zurechtfinden.

Weder die 27-Jährige noch Lotz (45) empfindet den Nachtdienst als belastend. „Wir können uns alle freiwillig für die Nachtschicht eintragen“, sagt Caputo. Sie arbeite eine Woche im Monat nachts. „Nur die Umstellung auf den Frühdienst fällt mir danach schwer.“ Michael Lotz macht dauerhaft Nachtschicht. „Meine Frau arbeitet auch nachts, als Krankenschwester. Da passt das gut.“

Caputo und Lotz sind sich einig, dass die Nächte in der JVA alle Sinne beanspruchen. „Man hört vor allem sehr genau hin“, so Caputo. Bei einigen Gefangenen schauen die Kollegen in unregelmäßigen Abständen, aber mindestens alle 15 Minuten durch eine Sichtklappe in die Zelle. Auch nachts. „Diese Sicherungsmaßnahme wird angeordnet, wenn ein Gefangener selbstmordgefährdet ist oder einen starken Drogenentzug hat“, erklärt Bolten. Das treffe zurzeit auf bis zu acht, neun Prozent der Inhaftierten zu. Um einzuschätzen, ob und wie gefährdet der einzelne ist, würden Bereichsleiter, Sozialarbeiter und medizinischer Dienst mit jedem Neuzugang intensive Gespräche führen. Zunker: „Man darf nie vergessen: Wir haben die Verantwortung für die Menschen, die hier leben.“