Ritual unter FreundenSoll Köln Hauptstadt der Junggesellenabschiede werden?

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Dicht gedrängt feiern junge Menschen in den Gassen der  Altstadt Junggesellenabschiede.

Köln – Vergangenes Jahr war ich auf meinen ersten Junggesellinnen-Abschied eingeladen. In meinem Kopf entspann sich unmittelbar darauf ein Horrorszenario: Bauchladen, Motto-T-Shirts, Domplatte. Das alles, um die überholte Vorstellung zu feiern, man müsse noch ein letztes Mal vor der Ehe die Sau rauslassen – denn als verheiratetes Paar geht das natürlich nicht mehr. Kurzum: Ich war kein Fan. Heute kann ich sagen: Junggesellenabschiede sind ein fantastisches Ritual. Ob mit Bauchladen oder ohne.

Denn was ich gemerkt habe, als ich neben der Braut mit farblich abgestimmten Krawatten durch die Stadt lief: Es geht hier nicht um mein Schamgefühl. Oder meine eigenen Vorstellungen von dieser Feier. Und den allermeisten Bräuten und Bräutigamen geht es auch nicht um einen „letzten Tag in Freiheit“. Es geht um den Tag, den Abend und natürlich die Nacht mit den engsten Freunden. Eine Einladung zu einem Junggesellinnenabschied ist ein Kompliment an die Freundschaft. Und ein Versprechen, auch im nächsten Lebensabschnitt füreinander da zu sein.

Albernheit als Team-Building-Maßnahme

Die gemeinsame Albernheit ist dabei eine nicht zu unterschätzende Team-Building-Maßnahme. Oft kommen an solchen Tagen ganz unterschiedliche Freundeskreise der Braut oder des Bräutigams zusammen. Der Sandkastenfreund, die Lieblingscousine, Wegbegleiter aus Studium oder Ausbildung und Arbeitskollegen. Wer sich später auf der Hochzeit vielleicht mal höflich zugenickt oder unter Umständen gar nicht erst kennengelernt hätte, hat auf dem Junggesellenabschied schon zusammen probegefeiert. Für die Stimmung auf der Hochzeit selbst kann das nur von Vorteil sein.

Westkämper

Volontärin Anna Westkämper hat ein Herz für Junggesellenabschiede.

In den Wochen vor der Hochzeit ist der Junggesellenabschied außerdem einer der wenigen Tage, an dem sich das Paar vom Planungsstress lösen kann. Statt sich den Kopf über Tischgedecke zu zerbrechen, kann es sich treiben lassen – den Junggesellenabschied haben schließlich die Trauzeugen organisiert. Ob es dabei den sagenumwobenen Bauchladen mit lauwarmen Sahneschnäpsen braucht, ist jedem selbst überlassen: Vom Töpferkurs bis zum Kartfahren sind die Möglichkeiten unerschöpflich. Wem die Kosten, die Leute oder der Tagesplan des Junggesellenabschieds also nicht zusagen, muss das den Organisatoren anlasten – das Konzept selbst kann schließlich nichts dafür, wenn die Party am Ende schlecht ist.

Köln muss Hauptstadt der Junggesellenabschiede werden!

Als Kölnerin oder Kölner auf Junggesellenabschiede zu schimpfen, ist sowieso paradox: Auf Kommando gute Laune haben schaffen wir schließlich auch jedes Jahr pünktlich zu Karneval. Die in dieser Stadt hochgelobte Toleranz darf doch bei Menschen in Motto-T-Shirts nicht aufhören! Deshalb fordere ich: Köln sollte sich um ein Gütesiegel für Junggesellenabschiede bemühen. Die Gastronomen in der Altstadt werden sich gerade nach den Umsatzeinbußen nach Corona für ein bisschen Geschäftsbelebung  bedanken. Einen Verzicht auf den Wirtschaftsfaktor Junggesellenabschied können wir uns gar nicht leisten.

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Wenn Sie also das nächste Mal an einem grölenden Junggesellenabschied vorbei gehen, unterdrücken Sie den Drang, die Augen zu verdrehen. Hinter den Bierfahnen und Schärpen steckt nämlich ein tieferer Sinn: Ein Fest der Freundschaft.

Anna Westkämper, Volontärin

Kontra: Vergessen Sie es einfach!

Mein Nachrichten-Messenger lädt mich zu einer neuen Gruppe ein. Der Titel: „JGA“. Mit Party- und tanzenden Frauen-Emojis. Meine Laune: im Keller. Wenn es wenigsten ein Junggesellinnenabschied wie im Film Hangover werden würde. Ein Abend, der in Erinnerung bleibt, an dem alle Spaß haben. Aber die Realität sieht meistens  anders aus. Die Braut enttäuscht, die Gäste genervt. Die Trauzeugin hat ein schlechtes Gewissen, weil der Tag eben nicht filmreif war.

Rehbock

Larissa Rehbock, Volontärin, findet sogenannte letzte Abende in Freiheit sterbenslangweilig.

Denn die Aktivitäten, auf die sich eine Gruppe mittelmäßig kreativer Freunde dann einigen können, sind gelinde gesagt meist so spannend wie ein Hauswirtschaftskurs. Ein Tag im Wellnessbad kommt für den „letzten Tag in Freiheit“ oft zum Beispiel raus. Oder so eine wilde und abenteuerliche Sache wie Blumenschmuckbasteln – der Junggesellinnenabschied-Klassiker in meiner kleinen Heimatstadt.

Keine Highlights, kein Abenteuer, nirgends

Auch die Diskussionsthemen vorab erinnern wenig an Hollywood: Wer trinkt Alkohol? Wer nicht? Muss derjenige, der den ganzen Tag bei Apfelschorle bleibt, einen Rabatt kriegen? Wer bringt sein Baby mit? Meine Hoffnung, dass der Tag doch noch filmreif werden könnte, schwindet in solchen Momenten rasant. Und glauben Sie nicht, dass ein Junggesellinnenabschied wenigstens modische Highlights und Verrücktheiten in sich bergen könnte. Nein. In den meisten Fällen kommt irgendjemand mit der Ansage um die Ecke: Alle kommen bitte in langer Jeans und schwarzem T-Shirt. Dieser Gruppenzwang nervt.

Und ja, das Wort „irgendjemand“ war bewusst gewählt, denn die Hälfte der Nummern derer, die da einen verrückten Abend miteinander verleben sollen, habe ich nicht in meinem Handy eingespeichert. Meine Freunde haben natürlich noch andere Freundinnen. Was grundsätzlich ja ok ist.

Nackt neben der Frau des Ex - unschöne Sache

Es sei denn, es handelt sich bei einer der anderen Freundin um die neue Liebste des eigenen Ex-Freundes. In Kleinstädten gar nicht mal so unüblich, dass man sich beim Junggesellinnenabschied plötzlich also unvorbereitet in der Sauna neben der frisch Angetrauten seines Verflossenen wiederfindet. Nackt. Keine schöne Sache.

Und dann hat einem der Horrortag am Ende auch noch ein halbes Monatsgehalt weggefressen. Ich war bis vor einem Monat noch Werksstudentin. Und die Summe, die man zu Junggesellinnenabschieden beisteuern soll, belaufen sich gerne auch mal auf stolze 200 Euro. Selbst während Corona blieben die Gäste – und das bei Komplettabsage der ganzen Junggesellinnenabschiedssause – auf ihren Kosten sitzen. Ich zum Beispiel musste mal 90 Euro zahlen: Die Blumenkränze mit eingravierten Wörtern wie „Home“ und „Family“  für die Haustür ließen sich nicht mehr abbestellen.

Am Ende: Überfressen und angetrunken

Aber auch wenn der Junggesellenabschied stattfindet, endet es meist im Desaster: Überfressen und angetrunken. Denn nur mit Nudelsalat und Sekt in rauen Mengen sind solche Abende überhaupt auszuhalten. Am Ende steht der Kater: Die ersten „Freunde“ sind schon um 20 Uhr gegangen, die Braut heult, weil enttäuscht. Hätte man doch feiern gehen und mal richtig die Sau rauslassen sollen, statt Rosen zu Dahlien zu drappieren?

Merke: Wer einen Junggesellenabschied plant, sollte das nur dann tun, wenn er kreativ, wild und dem Risiko zugeneigt ist. Sie haben ein „Lass uns mal alle zusammen in die Sauna gehen“ im Kopf? Dann vergessen Sie es einfach!

Larissa Rehbock, Volontärin

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