Studie zu deutschen GrundschulenVerheerendes Zeugnis für Nordrhein-Westfalen

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Schule SYMBOL DPA 070922

Für viele Viertklässler steht im kommenden Jahr eine wichtige Entscheidung an.

Berlin/Düsseldorf – Die Herbstferien sind zu Ende, und als würde der erste Schultag mit trüben Aussichten auf den nächsten Corona-Winter nicht schon die Stimmung drücken, stellt eine neue Studie Deutschlands Grundschulen ein reichlich verheerendes Zeugnis aus. Die Leistungsbilanz der Viertklässler in den Fächern Deutsch und Mathematik fällt im Vergleich zu den Ergebnissen aus den Jahren 2011 und 2016 bundesweit deutlich ab – zu diesem Schluss kommt der „IQB-Bildungstrend 2021“, der am Montag in Berlin veröffentlicht wurde. Der negative Trend hat sich seit 2016 sogar verstärkt.

Das Kürzel IQB steht für das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen. Zum dritten Mal hat dieses von der Kultusministerkonferenz den Auftrag erhalten, die Kompetenzen des Abschlussjahrgangs in den deutschen Grundschulen bezogen auf Deutsch und Mathematik zu erforschen. Die Daten wurden zwischen April und August 2021 erhoben, ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie. Bundesweit ist im Vergleich zur letzten Datenerhebung 2016 der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die den Regelstandard in den Kompetenzbereichen Lesen, Zuhören und Orthografie sowie Mathematik erreichen, 2021 im Schnitt zwischen acht und zehn Prozent gesunken. Gleichzeitig hat der Anteil der Kinder, die am Ende der vierten Klasse den Mindeststandard verfehlen, in allen Bereichen zwischen sechs und acht Prozentpunkten zugenommen.

NRW klar unter Durchschnitt

Auf Nordrhein-Westfalen bezogen fällt das Ergebnis noch schlechter aus: Wie in Berlin und Brandenburg liegen die Werte überall klar unter dem bundesweiten Durchschnitt. Besonders gut schneiden in allen Kompetenzbereichen die Schülerinnen und Schüler in Bayern und Sachsen ab; hier lässt sich sogar eine Verbesserung zum Vergleichszeitraum der letzten Erhebung feststellen. Auch Hamburg liegt zum Teil weit vorn. Schlusslicht ist – wie schon 2016 – in fast allen Kompetenzbereichen Bremen.

Normalerweise üben sich die Mitarbeitenden wissenschaftlicher Studien in akademischer Zurückhaltung. Nicht so die Autorinnen und Autoren der IQB-Untersuchung. Unumwunden stellen sie fest, dass die Ergebnisse ihrer Studie besorgniserregend seien. „Solche Zahlen sind nicht hinnehmbar.“ Da gibt es die Familien mit Migrationshintergrund, die besonders betroffen sind – hier sind die sprachlichen Defizite gravierend, und diese spielen in nahezu alle Schulfächer hinein. Doch eine Verschlechterung der Werte bei den Kompetenzen im Lesen, Zuhören, in Mathematik und Orthographie seien „auch bei Kindern ohne Zuwanderungshintergrund und bei Kindern aus sozial besser gestellten Familien zu verzeichnen“, so die Studie. Zwar lassen sich Unterschiede zwischen den Ländern feststellen, aber insgesamt zeigten die Ergebnisse einen bundesweiten Trend.

Soziale Unterschiede

Dass die Zahlen gerade nach dem ersten Corona-Jahr mit Schulschließungen und einem besonders auch in NRW holprig angelaufenen Distanzunterricht so niederschmetternd ausfallen, spricht für sich – eine hinreichende Erklärung ist das noch nicht. In dieser Situation wirkten sich soziale Unterschiede besonders deutlich aus, denn Wohnverhältnisse und Familieneinkommen entschieden über Bildungserfolge beim Homeschooling.

Und mit Blick in die Zukunft sei der Lehrkräftemangel eine bleibende Herausforderung, betont die Studie. Es sei schwierig, schlechte Werte zu verbessern und erreichte Verbesserungen stabil zu halten, wenn sich hier nicht dauerhaft eine Lösung finde.

Unzureichende Finanzierung in NRW

In Nordrhein-Westfalen fallen die Reaktionen auf die Studie ernüchtert aus. Verbände und Gewerkschaften führen das schlechte Abschneiden des Bundeslandes vor allem auf unzureichende Ausgaben für Bildung zurück: Vor allem bei der Grundbildung bestehe erheblicher Investitionsbedarf, sagt die Vorsitzende des Grundschulverbands NRW, Christiane Mika, und Ayla Çelik, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW im Land, pflichtet ihr bei: „NRW investiert seit Jahren viel zu wenig in Bildung. Im Vergleich der Bundesländer ist NRW seit Jahren auf dem letzten Platz. Dazu kommt der eklatante Fachkräftemangel, besonders im Grundschulbereich.“ Der Philologenverband NRW macht für das schlechte Ergebnis „auch bestimmte didaktisch-methodische Ansätze (‚Schreiben nach Gehör‘) mitverantwortlich“.

Dorothee Feller (CDU), neue Bildungsministerin in NRW, bezeichnet die Studie als Alarmsignal. Schwierige Rahmenbedingungen wie Corona und Zuwanderung reichten bei der Ursachenforschung nicht aus: Das Ministerium für Schule und Bildung habe bereits vor zwei Jahren Maßnahmen zur Stärkung der Fachlichkeit in der Grundschule ergriffen – gemeint ist ein 718-Millionen-Euro-Programm für Fortbildung, Fachkonferenzen und zur Schaffung von Netzwerken insbesondere für die Fächer Deutsch und Mathematik.

„Doch aufgrund der weiterhin schlechten Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen gehört für mich noch einmal alles auf den Prüfstand. Wir brauchen einen grundlegenden und umfassenden Ansatz, um den negativen Trend umzukehren“, sagt Feller.

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Bis zum Sommer 2022 war die FDP verantwortlich für die Schulpolitik in Nordrhein-Westfalen. Deren bildungspolitischer Sprecher ist mittlerweile Andreas Pinkwart, zuvor Wirtschaftsminister in Düsseldorf: Er legt der neuen Regierung nun nahe, auf dem „Masterplan Grundschule“ seiner Partei aufzubauen. Pinkwart empfiehlt einen „Mix aus nachhaltigen strukturellen Maßnahmen und Sofortmaßnahmen“, damit die derzeitigen Defizite rasch aufgeholt werden könnten.

Auch die bildungspolitische Sprecherin der SPD, Dilek Engin, ist alarmiert: Es sei zu befürchten, dass sich die Zahlen durch die Corona-Pandemie in den folgenden Jahren weiter verschlechtern werden. „Aber auch bereits vor Corona haben die Probleme begonnen – insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Familien und Kinder mit internationaler Familiengeschichte verlieren so den Anschluss."

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