Umberto Eco warnte vor rechter Welle„Faschisten lehren Angst vor dem Andersartigen”

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  • Das Kleine Buch des verstorbenen italienischen Schriftsteller Umberto Eco erklärt aktuelle politische Ereignisse.
  • Eine seiner höchst aktuellen Diagnosen: Der Appell an frustrierte Mittelklassen gehört zum Kernbestand des Faschismus.
  • Unsere Besprechung.

60 Jahre umfasse die Lebensdauer des Faschismus, erklärte Benito Mussolini 1923. Den Südtirolern hatte er nur zwei Jahre zuvor gedroht: „Wir werden euch auf faschistische Weise die Knochen brechen.“ Der 2016 verstorbene italienische Schriftsteller Umberto Eco glaubt gar an die Existenz eines „ewigen Faschismus“. So lautet auch der Titel eines kleinen im Hanser-Verlag erschienenen Büchleins des Erfolgsautors, in dem einige seiner politischen Schriften gebündelt werden.

An der Tankstelle aufgehängt

Der Verfasser von Romanen wie „Der Name der Rose“ oder „Das Foucaultsche Pendel“ hielt 1995 einen Vortrag in New York zum 50. Jahrestag der Befreiung Italiens vom Faschismus. Mussolini hatten die Italiener 1945 an einer Tankstelle zusammen mit dessen Lebensgefährtin mit dem Kopf nach unten aufgehängt.

Aktuelle Bedeutung

Eco wuchs noch in der Zeit des italienischen Faschismus auf und berichtet aus seiner Kindheit, dass ihm immer eingetrichtert worden sei, ein Italiener befinde sich ständig im Krieg. Dass plötzlich nach ’45 viele Parteien zur Wahl standen, hätte ihm verdeutlicht, dass sie im Untergrund gekämpft haben müssten. Anschließend nimmt Eco, der nicht nur ein gefeierter Schriftsteller, sondern auch ein international bekannter Sprachwissenschaftler war – er lehrte als Professor an der Universität Bologna –, einige wichtige begriffliche Differenzierungen vor.

Gerade in Zeiten, in denen in Ostdeutschland die rechten Kräfte immer stärker im Licht der Öffentlichkeit stehen und mit der Hilfe einer rechtsradikalen Partei der Ministerpräsident gewählt wurde, gewinnt Ecos Schrift an Bedeutung. Zunächst erblickt Eco im deutschen Nationalsozialismus ein singuläres Phänomen.

Keine Wiederkehr

Das bedeutet, dass dieser Typus nur in der Zeit der 30er und 40er Jahre auftrat und sich also solcher wohl nicht wiederholen werde. Man könne beruhigt sagen, so Eco, dass die Regime des Zweiten Weltkriegs „schwerlich unter den heutigen Bedingungen wiederkehren werden“. Die Alleanza Nationale in Italien der 90er Jahre habe nur eine geringe Ähnlichkeit mit den Faschisten unter Mussolini, erklärte er. Der Nationalsozialismus und der Stalinismus seien totalitäre Systeme gewesen. Hitler habe in „Mein Kampf“ ein politisches Programm ausgearbeitet, das den totalitären Charakter des Nazismus umrissen habe. Das sei bei den Faschisten anders gewesen. „Der italienische Faschismus war eine Diktatur, aber er war nicht durchgehend totalitär, nicht wegen seiner Milde, sondern wegen der philosophischen Schwäche seiner Ideologie“, so Eco. „Mussolini hatte überhaupt keine Philosophie, er hatte nur Rhetorik.“

Spezielle Variabilität

Im Gegensatz zum Nationalsozialismus besitzt der Faschismus jedoch eine spezielle Variabilität, so dass wir seinen Erscheinungsweisen auch in der Gegenwart begegnen. Gerade der Begriff des Faschismus ist zu einer Sammelbezeichnung für verschiedene totalitäre Bewegungen geworden. Und das, obwohl es bereits in den 1920er Jahren Diskussionen darüber gab, ob der Faschismus ein nur auf Italien anwendbares Phänomen sei. Allerdings bezeichneten sich Hitler und seine Anhänger im Sommer 1933 als „deutsche Faschisten“. Der Kommunist Georgij Sinowjew sah bereits 1922 eine Epoche des Faschismus heraufziehen, womit er klug die Ereignisse der 1930er Jahre vorwegnahm. Und auch heute gibt es wieder viele mahnende Stimmen, die vor einem neuen autoritären Zeitalter warnen.

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Dass der Faschismus allein ein in die Zwischenkriegszeit anzusiedelndes Phänomen sei, negiert Eco. Alle ähnlichen Bewegungen, die später kamen, fanden in Mussolinis Bewegung eine Art Archetypus. Mit seiner Kleidermode habe der italienische Faschismus im Ausland sogar spätere Modemarken wie Armani, Benetton oder Versace in ihrem Erfolg übertroffen, erwähnt der Autor. Gerade weil der italienische Faschismus keine Quintessenz, ja nicht einmal eine Essenz besessen habe, sei er leicht für Nachfolger zu adaptieren gewesen. Er weise zwar wie jeder Begriff gewisse Merkmalskomplexe auf, das Konzept bleibe jedoch bestehen, auch wenn man einige seiner Komponenten herausfallen lasse.

Faschistisches Spiel

Deshalb bezeichnete Eco diese politische Idee auch „faschistisches Spiel“, eine Anspielung auf den zentralen Begriff des Philosophen Ludwig Wittgenstein. Würde man den Imperialismus vom Faschismus abziehen, blieben eben noch politische Formen wie in Portugal unter Diktator Salazar oder Francos Spanien. Auch ein radikaler Antikapitalismus sei mit dem Faschismus kompatibel. Dennoch lassen sich die Merkmale des Faschismus aufzeigen. Zu ihnen gehören ein „Kult der Überlieferung“, die „Ablehnung der Moderne“, der „Kult der Aktion um der Aktion willen“, „Angst vor dem Andersartigen“, „Appell an die frustrierten Mittelklassen“, die urfaschistische Psychologie der „Obsession einer Verschwörung“, der „Appell an die Fremdenfeindlichkeit“, ein „Leben für den Kampf“, die „Verachtung der Schwachen“. Zudem beruhe er auf einem selektiven oder qualitativen Populismus, erklärt Eco in seiner hellsichtigen Schrift weiter. „Aufgrund seines qualitativen Populismus muss sich der Ur-Faschismus gegen die »verrotteten« parlamentarischen Regime stellen.“ Des Weiteren spreche der Ur-Faschismus die ärmliche Sprache des Newspeak, wie ihn George Orwell in „1984“ dargestellt habe: ein verarmtes Vokabular und eine versimpelte Syntax.

Gleich nach der Wahl sagte der berühmte Soziologe Richard Sennett über Donald Trump: „Er ist eine Art Mussolini.“ Die verschiedenen Spielformen dieser politischen Richtung haben überlebt und Umberto Eco, jener begnadete Schriftsteller, hat uns eine Skizze seiner Ideologie hinterlassen, die seine Formen identifizierbarer macht.

„Nicht vergessen”

Denn die Identifikation sei nicht immer einfach. „Es wäre so bequem für uns, wenn jemand auf die Bühne der Welt träte und erklärte: »Ich will ein zweites Auschwitz, ich will, dass die Schwarzhemden wieder über Italiens Plätze marschieren!« Das Leben ist nicht so einfach.“ Daher gelte: „Unser Motto muss heißen: »Nicht vergessen!«“

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