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CaritasImmer mehr Obdachlose in Euskirchen – Besuch in der Notschlafstelle

Lesezeit 4 Minuten

Die Caritas-Mitarbeiter Frank Commer (hinten links) und Markus Niederstein (hinten rechts) kickern mit Besuchern der Wohnungslosen-Tagesstätte an der Kommerner Straße.

Euskirchen – Wenn es draußen so kalt ist, wie im Moment, weiß Hubert (Name geändert) oft nicht, wohin. „Auf Bänken oder am Bahnhof will man dann nicht sitzen“, sagt der 53-Jährige, der seit drei Monaten wieder einmal auf der Straße lebt. Also läuft er durch die Stadt, hält sich in Geschäften oder Einkaufspassagen auf, „eben überall da, wo es einigermaßen warm ist“. Eine Jogginghose unter der Jeans, mehrere Oberteile und eine dicke Winterjacke machen die Minusgrade für ihn erträglich. „Das, was ich am Leib trage, ist mein einziger Besitz.“

Nachts kommt Hubert in der Notschlafstelle des Caritasverbandes unter. Die Tagesstätte der Wohnungslosenhilfe, die sich im selben Haus an der Kommerner Straße befindet, hat angesichts der frostigen Temperaturen ihre Öffnungszeiten verlängert: „Jetzt haben wir hier von 8 bis 18 Uhr – anstatt wie sonst bis 16 Uhr – geöffnet“, berichtet Mitarbeiter Frank Commer.

In der Tagesstätte können sich die Wohnungslosen aufwärmen, den Computer nutzen, kickern, spielen, Kaffee trinken und mittags auch eine warme Mahlzeit bekommen. Obdach- und Wohnungslose, die keine eigene Meldeadresse haben, haben die Möglichkeit, sich ihre Post in die Tagesstätte senden zu lassen. „Zurzeit haben 117 Männer und Frauen ihr Postfach hier bei uns“, erzählt Mitarbeiterin Katharina Münch.

Der Konsum von Alkohol oder Drogen ist sowohl in der Tagesstätte als auch in der Notschlafstelle verboten, was ein Grund dafür sein dürfte, dass es viele der Klienten vorziehen, sich anderwärtig ein warmes Plätzchen zum Schlafen zu suchen. „Von den zwölf Betten sind im Moment acht bis zehn belegt. Viele unserer Klienten schlafen zurzeit bei Freunden und Bekannten“, so Frank Commer. Manchmal dort auch nur in Hausfluren oder Kellerverschlägen, das aber ist immer noch besser, als im Freien zu campieren. „Die Lage hier in Euskirchen hat sich entspannt, seitdem wir seit fünf Jahren Wohnungslose ins Betreute Wohnen bringen“, so Frank Commer.

Der Sozialpädagoge, der für „Moses“, die Mobile Sozialarbeit Euskirchen Stadt, verantwortlich ist, erinnert sich, dass die Notlage im Winter vor acht Jahren noch viel brisanter war. „Als wir mit Moses anfingen, campierten sicher 15 bis 20 Leute im Freien.“ Manchmal käme das auch heute noch vor: „Erst kürzlich hatten wir zwei junge Männer, die frisch aus der Haft entlassen worden waren und die ersten Nächte draußen schliefen.“ Zur Routine des Moses-Teams gehört das sogenannte Monitoring: Regelmäßig fahre man durch das Stadtgebiet und die Außenorte, um Ausschau nach Wohnungslosen zu halten und sich einen Überblick über deren Aufenthaltsorte zu verschaffen. Durch das Betreute Wohnen, das vom Landschaftsverband Rheinland getragen wird, sei ein flächendeckend einheitliches Hilfesegment eingeführt worden, das gut angenommen werde. „Im Moment betreuen wir 36 Klienten im Betreuten Wohnen. Zu Spitzenzeiten hatten wir im vergangenen Jahr 45 Betreute“, so Commer. Zwei Stunden pro Woche stehen jedem dieser Menschen zu. In der Regel nutzen die Sozialpädagogen und -arbeiter die Zeit dazu, mit den Menschen das „Wohnen wieder einzuüben“. Themen von Haushaltsführung bis zu nachbarschaftlich korrektem Verhalten stünden im Vordergrund.

Viele psychisch Kranke

Unter den Menschen, die ihre Bleibe verlieren und auf der Straße landen, sind immer mehr psychisch Kranke zu finden. „Natürlich geht das oft Hand in Hand mit einer Suchterkrankung“, so Commer. Verschärft werde das durch die Substanzen, die im Umlauf sind, „und von denen keiner genau weiß, was drin ist“. Erst kürzlich habe er von Cannabis gehört, das mit einem Bleigemisch versetzt worden sei: „Um das Gewicht beim Verkauf zu erhöhen.“ Heroinabhängige würden ihren Stoff glücklicherweise immer häufiger rauchen anstatt ihn zu spritzen. Im Rahmen der HIV- und Hepatitis-Prophylaxe verteilt das Moses-Team sogenannte Smoke-it-Sets an die Abhängigen. Damit sinkt auch das Risiko einer unbeabsichtigten Überdosierung.

Verbessert werden könnte die Lage der Wohnungslosen in der Stadt Euskirchen vor allem durch eine größere Bereitschaft bei Vermietern, an diese Klientel zu vermieten. Frank Commer: „Im Moment haben wir nur drei oder vier Vermieter, die das machen. Es dürften gerne mehr sein.“ Überhaupt sei der Markt an bezahlbarem Wohnraum zurzeit sehr schwierig. Davon kann auch Ludwig (Name geändert) ein Lied singen. Der 46-Jährige ist aus seiner Wohnung geflogen, weil er die Miete nicht mehr zahlen konnte. „Ich habe ein halbes Jahr auf mein Geld vom Arbeitsamt gewartet“, erzählt er. Vor Gericht habe er später auch Recht zugesprochen bekommen, doch da war Ludwig, der kein Suchtproblem und mittlerweile wieder feste Arbeit hat, längst auf der Straße. Seither sucht er verzweifelt eine kleine, bezahlbare Wohnung – am liebsten im Grünen, in der Eifel, denn: „Ich wandere gerne.“

Nachts ist Ludwig bei Freunden oder eben in der Notschlafstelle, aber vor einigen Wochen verbrachte er die Nächte bei minus zehn Grad in einem Abbruchhaus. Der 46-Jährige: „Ich weiß also, wie das jetzt da draußen ist.“