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EifelDie Herren der Pfeifen – Orgelbauer haben viel zu tun

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Feinarbeit: Markus Moutschen überprüft im Hauptwerk der Gemünder Orgel mit dem Stimmeisen jede Pfeife.

Feinarbeit: Markus Moutschen überprüft im Hauptwerk der Gemünder Orgel mit dem Stimmeisen jede Pfeife.

Eifelland – Die Weihnachtszeit – eine wichtige Zeit für große Musik. Damit die Orgeln bei den anstehenden Christmetten und Oratorien in den Kirchen richtig klingen, werden viele in den Adventswochen überprüft. Rund 100 Orgeln in der gesamten Eifel und im Rheinland erhalten von den Spezialisten von Orgelbau Weimbs in Hellenthal die „Winterstimmung“.

„Da: ein Heuler!“ Nein, es ist kein Seehundbaby, das gerade nach seiner Mutter ruft. Das am Spieltisch auf der Orgelempore von St. Nikolaus in Gemünd kaum hörbare, leise Pfeifen kommt nicht vom Strand.

Sondern aus der von Friedbert Weimbs, dem Seniorchef der gleichnamigen Orgelbaufirma mit 16 Mitarbeitern, 1973 erbauten Orgel gegenüber. Hoch ragen die meterlangen Prospektpfeifen empor. „Optisch sieht sie für ihr Alter noch richtig gut aus“, sagt Markus Moutschen aus der Nähe von St. Vith, Orgelbaugeselle bei Weimbs.

2792 Pfeifen in den 36 Registern

Nur eine der 2792 Pfeifen in den 36 Registern des Instrumentes vor ihm hat diesen akustischen Fehler, den „Heuler“, wie er in der Fachsprache heißt. Es ist so etwa wie der tropfende Wasserhahn des Orgelbauers: Irgendwas ist undicht! Aber wo? Und warum? Aufgefallen ist es Moutschen beim Tastencheck.

Eine Taste nach der anderen wird dabei gedrückt, alle 36 Register hindurch. Tonleitern erklingen – und plötzlich, beim leisesten Tastenandruck, ist da dieser kaum hörbare Pfeifer. Sekundenbruchteile vor dem eigentlichen Ton.

Auch deshalb ist Moutschen mit Orgelbau-Azubi Raphael Haas, 17, zur „Winterstimmung“ der Orgel hier. In St. Nikolaus in Gemünd, in der gesamten Eifel und im Rheinland arbeiten zwei Orgelbauteams an die 100 Aufträge in der Adventszeit ab. Bei der „Sommerstimmung“ können es auch dreimal so viele Servicetermine sein. Viele Kirchengemeinden legen Wert auf beides.

Weltkulturerbe

Im hohen Montagesaal der Hellenthaler Manufaktur, die Vater Friedbert und Sohn Frank Weimbs (Foto) führen, ist die Orgel für die neue evangelische Kirche in Jessheim bei Oslo beinahe fertig aufgebaut. Jede Orgel ist ein Unikat. Die neu gebauten wie die ganz alten Orgeln gehören nun zum immateriellen Welterbe. Die Unesco hat die deutsche Orgelbaukunst und Orgelmusik vor wenigen Wochen neu in den Kulturerbe-Katalog aufgenommen. Für Deutschland gilt die Auszeichnung schon seit 2014.

Weltweit gibt es – vor allem in Kirchen, aber auch in Konzertsälen – nicht so viele Orgeln wie in Deutschland. Im Bund Deutscher Orgelbaumeister (BDO), dessen stellvertretender Vorsitzender Frank Weimbs ist, sind 126 der rund 310 deutschen Orgelbaubetriebe angeschlossen. Die Branche beschäftigt an die 1400 Mitarbeiter. Rund 200 Betriebe sind Kleinbetriebe mit einem bis vier Mitarbeitern. Gerade in den Kleinmanufakturen wird allerdings nur selten ausgebildet, weshalb der BDO sich für die Wiedereinführung des Meisterzwangs in der Handwerksordnung ausspricht. Nur so lasse sich dem auch in der Nischenbranche drohenden Fachkräftemangel begegnen.

In einem Aufwasch verlieh die Unesco auch der neapolitanischen Pizza die Ehre des Kulturerbes. Muss Frank Weimbs da jetzt nicht tapfer sein? „Im Gegenteil! Ich freue mich für unseren Berufsstand ebenso wie für die Pizzabäcker, die ihren Beruf so ernst nehmen wie ich den meinen.“ Hohe Maßstäbe kann sich nämlich jeder setzen. (sli)

Die Adventszeit wiederum ist in diesem Jahr bekanntlich eine Woche kürzer. Egal – an Heiligabend stehen Christmetten auf dem Programm. Mit verstimmter Orgel? Undenkbar! 36 Register sind in St. Nikolaus zu prüfen. 60 waren es wenige Tage zuvor in St. Paulus in Düsseldorf, vier in einem Altenheim in Grevenbroich-Gustorf. Die König-Orgeln in der Schlosskirche in Schleiden und in Steinfelds Basilika wurden ebenfalls frisch gewartet und gestimmt. „Wie jedes Klavier gepflegt werden muss, so ist es auch bei der Orgel“, betont Markus Moutschen. Bei der „Winterstimmung“ ist er froh, wenn – wie gerade in St. Nikolaus – noch die „Sonntagstemperatur“ im Kirchenschiff herrscht. Denn wäre es jetzt winterwerktäglich kalt, kann die Orgel in der Christmette, wenn die Kirche voll ist, ganz anders klingen. In Gemünd ist die Kirche auf Bitten der Orgelbauer seit dem Sonntag vor dem Orgel-Check ausnahmsweise nicht gelüftet worden. Wobei das mit dem Lüften ohnehin so eine Sache ist: Alles, was die Temperatur oder die Luftfeuchtigkeit im Kirchenraum beeinflussen kann, beeinflusst auch das Großinstrument.

Markus Moutschen windet sich durch den engen Durchlass zum Orgelboden hinter dem Instrument. Zum turnusmäßigen Check gehört der Blick in den „Motorraum“. Vor den Wänden stehen in dichten Reihen große Holzpfeifen, auf dem Boden ein Gewimmel kleinerer Pfeifen, dazwischen schmale Holzstege. Was so unübersichtlich wirkt, ist tatsächlich in jeder einzelnen Position der 2792 Pfeifen genau so gewollt und entstammt dem Bauplan von Friedbert Weimbs, der mit der Orgel in St. Nikolaus einen Teil seines Meisterstücks ablieferte.

Die kleine Holzleiter, die der Fachmonteur hochsteigt, führt ihn direkt vor den mit festen Holzriegeln luftdicht verschlossenen Windkasten. In gut drei Metern Höhe ist ein knapp 30 Zentimeter schmaler Laufsteg seine Arbeitsebene, gesichert ist Moutschen nun nur noch durch ein einfaches Stahlgeländer in Hüfthöhe. „Kann ja sein, dass Staub im Windkasten liegt. Dann schließt die Ventilklappe nicht mehr hundertprozentig, daher der Heuler“, vermutet der Fachmann. Doch das ist nicht die Ursache. Und nun?

An den „Abstrakten“ unterhalb glaubt Moutschen tatsächlich den „Heuler“-Auslöser zu finden. Im Zentimeterabstand stehen die dünnen Stäbe aus Fichtenholz senkrecht gespannt. Sie schaffen die Verbindung zwischen den Tasten am Spieltisch und den Tonventilen der Pfeifen. Doch welche „Abstrakte“ ist die Richtige in den bräunlichen Bündeln? Moutschen reicht ein Blick. Mit dem Schraubenzieher wird vorsichtig an der Stellschraube nachjustiert. Holz arbeitet bekanntlich mit den Temperaturschwankungen. Am Spieltisch setzt Azubi Raphael Haas sanft den Kontrollandruck der Taste: Der „Heuler“ ist verstummt.

Noch eine Etage höher, direkt unter der Dachabdeckung des Hauptwerks, hätte der Orgelbauer jetzt ein Privileg: Vorbei an den Orgelpfeifenspitzen geht der Blick durch eine Lücke im Prospekt hinunter durchs Kirchenschiff bis zum großen Kreuz über dem Altar gegenüber. Doch der Spezialist greift lieber flugs zu Stimmeisen und Taschenlampe, der Schraubenzieher ist griffbereit. Moutschen schaut hier, prüft dort – alles einwandfrei.

Jetzt nur keine falsche Bewegung! Denn dicht an dicht stehen die Orgelpfeifen, meist aus Zinnblei-Legierungen, manchmal auch aus Zink. Auf dem Boden sind kleinste Exemplare, keine zehn Zentimeter hoch – ein hoch empfindliches Orgelpfeifen-Beet. Vorsichtig orientiert sich Moutschen über eine dünne Holzleiste an den Pfeifenreihen vorbei zur Holztreppe zurück. Eine geschickte Körperdrehung. „Orgelbauer sollten gelenkig und nicht zu korpulent sein“, sagt der Spezialist und grinst. Doch in St. Nikolaus habe man Platz – das sei längst nicht überall so. Man versucht sich vorzustellen, was noch weniger Platz für seinen Job in luftigen Höhen bedeuten kann. Da wird der Fachmann wohl zum Gummimenschen.

„Winterstimmung“ in St. Nikolaus

Knappe drei Stunden dauert die „Winterstimmung“ in St. Nikolaus. Alle 20 Jahre sollte eine Orgel, in aller Regel einer der wertvollsten Teil der Innenausstattung einer Kirche, komplett gereinigt werden. Die Bistümer, wichtigste Auftraggeber für Deutschlands Orgelbauer, unterstützen allerdings nur notwendige Reparaturen. Für die Reinigungs- und Stimmungskosten soll in Kollekten gesammelt oder gespendet werden. Und das ist nicht mehr so einfach wie früher. Konsequenz: Die großen Prüf-Intervalle verschieben sich tendenziell auf 25 bis 30 Jahre.

Orgelbaumeister Frank Weimbs, stellvertretender Vorsitzender des Bund Deutscher Orgelbaumeister (BDO), sieht das mit gemischten Gefühlen: „Ein Stimmen einer stark verschmutzten Orgelpfeife schadet der Pfeife und somit dem Instrument – eine verstimmte Pfeife nicht nachzustimmen jedoch dem Ohr des Kirchenbesuchers.“

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