Reform im JugendfußballKünftig wird ohne Torhüter gespielt

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Künftig soll ohne Torwart gespielt werden.

Kreis Euskirchen – Die Leistung der deutschen Fußballnationalmannschaft bei der  Weltmeisterschaft der Männer in Russland möchte man sowohl als Fan  als auch als Verantwortlicher beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) vergessen. Sang- und klanglos schied man 2018 in der Vorrunde  aus. Jetzt könnte aber eben genau diese schlechte Leistung für eine Neuausrichtung der Art und Weise sorgen, wie Fußball in Deutschland den Jüngsten gelehrt wird.

Unlängst veröffentlichte der DFB mit seinen Landesverbänden Reformen des Kinderfußballs, die ab der Saison 2024/25 bundesweit verpflichtend gelten sollen. Statt dem gewohnten Spiel auf zwei Tore mit Torhütern und sechs Feldspielern werden die Kinder künftig auf vielen kleinen Spielfeldern in deutlich verkleinerter Anzahl auf vier Mini-Tore spielen. Die Reformen betreffen die Altersklassen Bambini (U6/U7), F-Jugend (U8/U9) und E-Jugend (U10/U11).

Kinder sollen Spaß am Fußball haben

Die Änderungen setzen an den Grundprinzipien der Sportart an und sollen den Fokus wieder vermehrt auf die Kinder und den Spaß am Fußball legen. Man wolle durch die neuen Spielformen den Kindern mehr Ballaktionen und Chancen auf Tore ermöglichen und durch Spaß und individuelle sportliche Entwicklung den Nachwuchs langfristig an den Sport und die Vereine binden, ließ der DFB durch Vizepräsident Amateure, Ronny Zimmermann, verlauten.

Dieses Vorhaben setzt an den Hauptkritikpunkten der deutschen Talentförderung an. Im allgemeinen Konsens heißt es, dass vor allem die Straßenfußballermentalität bedingt durch einen zu hohen Anteil an Taktiklehre im frühen Kindesalter verloren gehe und auf den Fußballnachwuchs ein zu hoher Leistungsdruck ausgeübt werde. Zusammengefasst ist die Talentförderung zu „deutsch“.

Keine Torhüter mehr

Damit soll jetzt  Schluss sein. Je nach Altersklasse stehen bei den Jüngsten in den Bambini nach den neuen Richtlinien zwei bis drei Spieler pro Team auf dem Platz, in der F-Jugend duellieren sich die Mannschaften im drei gegen drei oder fünf gegen fünf, und für die E-Jugend-Kicker stehen ab 2024 vorrangig Partien mit jeweils fünf Spielern an.

Die Reformen finden auch im Kreisgebiet bei DFB-Trainer Horst Bartz vom Stützpunkt Euskirchen Anklang: „Das sind richtig tolle Änderungen, die uns sehr gut gefallen und auch mit dem Grundsatz unserer Arbeitsphilosophie übereinstimmen.“ Am Stützpunkt Euskirchen werde nämlich bereits seit einiger Zeit in kleinen Kadergrößen und mit möglichst viel Einsatzzeiten und Ballbesitz der Schwerpunkt auf die Individualförderung des Kindes gelegt.

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Horst Bartz

Die zusätzlichen Anpassungen würden dem deutschen Fußball helfen, das spielerische Lernen zu fördern und vor allem die Technik der Spieler von morgen durch viele Ballaktionen und das freie Ausprobieren verbessern.

„Euskirchener Model“

Auch der jüngst wiedergewählte Vorsitzende des Kreisjugendausschusses in Euskirchen, Wilfried Ronig, steht den Reformen offen gegenüber und zeigt sich zuversichtlich, was die Entwicklung des Nachwuchses im Kreisgebiet angeht: „Wir haben dieses Thema schon lange im Visier und pilotieren diese Art der Spielform bereits. Wir sind der einzige Fußballkreis, in dem diese Änderungen schon flächendeckend in der F-Jugend praktiziert werden.“

Im September hatten die Zuständigen des Fußballkreises zwei Schulungen abgehalten und die F-Jugend-Trainer über die  Entwicklungen informiert und eingewiesen. As Pilotprojekt ließ man die Junioren der F-Jugend in Viererstaffeln in Ligasystemen mit Tabellen antreten und probierte zusätzlich die neuen Spielformen aus.

„Wir setzen auf eine vernünftige Einführung des neuen Modus und wollen die Vereine gezielt bis 2024 darauf vorbereiten“, so Ronig, der gleichzeitig  die Erwartungen an die  Reformen etwas  mildert: „Das Ganze wird ein bisschen so verkauft, als wäre das die Neuerfindung des Fußballs. Der alte Fußball war auch nicht schlecht.“

Festivaltage am Wochenende

Was sich komplett ändern wird, ist die Organisation des Ligabetriebs. Statt eines Spiels am Wochenende werden die Mannschaften nach Einführung der Richtlinien an sogenannten Festivaltagen gegeneinander antreten. Dabei wird  auf eine Bewertung jeglicher Leistungen durch Tabellen verzichtet werden. Ums Gewinnen soll es  dennoch gehen: Besiegt ein Team den Gegner, rotieren die Sieger ein Spielfeld vor und bespielen ein neues Team. „Dieses System nimmt den Kindern den Leistungsdruck und sorgt für ausgeglichenere Duelle. Gerade im Kreis Euskirchen gibt es viele Spiele mit zweistelligem Ergebnis. Das führt zu Frustrationen und nimmt den Kindern den Spaßfaktor,“ erklärt Bartz.

Einige Vereine kritisieren die Reformen. Sie befürchten durch eine Abschaffung der Tabellen fehlenden Ehrgeiz und eine Abnahme des Wettbewerbsgedankens. Der DFB-Trainer hält dagegen: „Es geht ja trotzdem ums Gewinnen, und Kinder wollen immer gewinnen, gleichzeitig können sie das aber ohne Druck und mit mehr Spaß machen.“ Zusätzlich erwartet Bartz durch die Reformen eine Reduzierung des im Kindesalter für gefährlich empfundenen Kopfballspiels sowie aufgrund der gerecht verteilten Spielzeiten eines jeden Kindes mehr Verantwortungsbewusstsein und faireres Scouting für alle.

Kein Sinn schon früh positionsspezifisch auszubilden

Ob sich mit der später beginnenden Torhüter-Ausbildung ein weiterer Kritikpunkt zu einer tatsächlichen Problematik entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Aber auch hier hält der Stützpunkt-Trainer dagegen: „Ich sehe keine Gefahr für die Entwicklung von Torhütern. In dem jungen Alter macht es noch keinen Sinn, Positionen spezifisch auszubilden.“ Er erwartet sich sogar von dem Spiel ohne Torhüter und dem gleichzeitigen Beibehalten des Torwartspiels im Trainingsalltag den positiven Effekt, dass zunächst jedes Kind jede Position erlernen kann. Auch der DFB und der Fußballverband Mittelrhein erwarten diese Entwicklung.

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Die Mannschaften sollen kleiner werden.

Der Kreisjugendausschuss hingegen wird künftig einen Ansatz wählen, den Wilfried Ronig als den „Euskirchener Weg“ bezeichnet. Trotz verpflichtender Reform soll es  mindestens eine Spielform mit dem klassischen Spiel mit Torhütern in Kleinfeldtoren geben, um das Torwartspiel nicht zu vernachlässigen. Schließlich gehe es auch  darum, die Vereine vor Ort am Prozess zu beteiligen und ihre Meinungen in Entscheidungen einfließen zu lassen.

Um sich eben diese Meinung einzuholen, veranlasste der Kreisjugendausschuss durch den Leiter Spielbetrieb, Rudi Sass, nach der Pilotphase der neuen Spielreformen des Kinderfußballs eine Umfrage. Das Ergebnis des Stimmungsbildes ist laut Wilfried Ronig kontrovers: „Während sich einige Vereine für die von uns ausgetestete Kombination aus klassischem Spielbetrieb und den neuen Festivalspieltagen ausgesprochen haben, lehnten ein paar Vereine die Reform sogar ganz ab.“

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Derweil stellt Ronig zudem noch Potenzial bei der Organisation der neuen Spielformen fest: „Wir sind ein wenig enttäuscht vom DFB. Die Unterstützung durch den Verband ist nicht wirklich gegeben, und wir müssen vieles improvisieren.“ So fehlt noch ein geeignetes Tool im DFB-net, um die neuen Spielformen wie erforderlich abzubilden, weshalb   noch auf eigene Tabellen zurückgegriffen wird. Weiterhin würden die Verantwortlichen beim DFB vergessen, was die Reformen für den Kinderfußball für einen Aufwand innerhalb der Vereinsstrukturen bedeuten, so Ronig: „Wenn auf Mini-Tore gespielt werden soll, dann müssen Mini-Tore vom Verband gestellt werden. Zudem bedeuten Festivalspieltage mit mehreren Spielfeldern auch einen höheren Personal- und Zeitaufwand von Ehrenamtlern, um die Organisation überhaupt stemmen zu können.“

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