Nostalgie purMit der Tüte Süß auf den Bolzplatz – Neuer Adidas Tango schwamm auf der Olef

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Das Bild zeigt den Bolzplatz zwischen Kolvenbach und Bouderath. Im Hintergrund geht die Sonne auf.

Bolzplätze im Kreis Euskirchen gibt es einige. Manche sind zum Lost Place verkommen, manche sind Orte der Champions League.

Der Bolzplatz ist Kindheitserinnerung. Viele der Plätze im Kreis Euskirchen sind im schlechten Zustand, andere modern. Fußballer erinnern sich.

Es gibt sie noch – die Refugien der Kindheit. Die Orte, an dem sich ein Bolzplatz ins Camp Nou verwandelt. Sich Kinder das Trikot des Fußballidols überstreifen und zu Cristiano Ronaldo, Messi, Kylian Mbappé, Erling Haaland oder Jonas Hector werden – und dabei die Champions-League-Hymne summen.

Bis Sonnenuntergang vergessen die Fußballer, dass sie nicht an der Anfield Road spielen und ihr Theater of Dreams gerade nicht in Manchester liegt, sondern es sich um einen Bolzplatz in Kalkar, Eicks, Rheder oder Dreiborn handelt.

Viele Bolzplätze im Kreis Euskirchen sind einem schlechten Zustand

Allerdings gibt es auch Bolzplätze, die an einen Lost Place erinnern. Wo die Tornetze viel bessere Zeiten erlebt haben und ein fehlender Spieler mühelos durch einen Maulwurfhügel ersetzt werden kann – wie beispielsweise in Roggendorf. Oder auf denen seit vielen Jahren kein Rasen mehr gemäht worden ist – er also eher an Kuhwiese als an Wimbledon Center Court erinnert.

Unabhängig vom heutigen Zustand ist der Bolzplatz ein Ort, an dem viele Karrieren begonnen haben, aber auch sicherlich die eine oder andere Freundschaft nach einem Beinschuss endete. Der Bolzplatz ist der Ort, der die ersten Fußballlektionen des Lebens erteilt: Welche Wirkung ein Pass im richtigen Moment haben kann, oder dass das Spiel erst vorbei ist, wenn derjenige, der den Ball mitgebracht hat, nun wirklich nach Hause muss. Der Bolzplatz ist der Ort, der für die Kinder oft eine Pilgerstätte ist.

Löcher im Netz, Maulwurfshügel und viel Nostalgie

Bolzplätze im Kreis Euskirchen

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Für David Sasse war das so. „Weil der Sportplatz in Bessenich umzäunt wurde, mussten wir mit dem Rad einige Strecken zurücklegen, um kicken zu können“, erinnert sich der Trainer des TuS Zülpich: „Wir sind samstags um 10 Uhr los und waren erst abends wieder zu Hause.“ Und weil die Kohlenhydratvorräte für ein Spiel, das deutlich länger dauert als 90 Minuten, aufgefüllt sein mussten, wurde in der Dorfkneipe in Bessenich zusammengeschmissen.

„Wir haben eine gemischte Tüte Süß gekauft und dann gings los“, so Sasse, der nicht nur in Erinnerungen schwelgt, sondern auch kritische Töne anstimmt: „Einige Jungs hatten damals schon keine Lust mehr, weil viele Sportplätze umzäunt wurden. Das war und ist schade.“

Meine Freunde und ich wateten durch das Wasser, bis wir schließlich in Blumenthal waren – ohne den Ball wiederzufinden.
Martin Kerkau

Martin Kerkau spielte mit dem SV Nierfeld lange auf hohem Niveau. „In den frühen 1990er-Jahren bestand die größte Sorge darin, wer das nächste Tor schießt“, so Kerkau. Er erinnert sich an einen Bolzplatz in Hellenthal direkt neben der Olef. Und so kam es, wie es kommen musste. Der nigelnagelneue Adidas Tango landete im Fluss und schwamm davon. „Stunden vergingen, in denen wir wie nach einem verlorenen Schatz in den Fluten der Olef gesucht haben“, so Kerkau: „Meine Freunde und ich wateten durch das Wasser, bis wir schließlich in Blumenthal waren – ohne den Ball wiederzufinden.“

Obwohl ein neuer Ball beschafft worden sei, sei das Gekicke auf dem Bolzplatz nie mehr dasselbe gewesen. „Es war ja nicht mehr der glanzvolle Adidas Tango, sondern ein einfacherer Ersatzball. Dennoch ergriff uns wieder die Freude am Spiel, wenn auch mit einem Hauch Wehmut“, so Kerkau ergriffen: „Im Laufe der Jahre wurden viele Bälle von uns bolzenden Kindern geopfert, verschlungen von den unersättlichen Wassern der Olef. Doch keiner wird je die Legende des verlorenen Adidas Tango übertreffen, der als Märtyrer des Bolzplatzes in die Annalen meiner Erinnerung eingehen wird“.

Auf dem Bolzplatz hält sich der Ausverkauf des Fußballs in Grenzen

Damals wie heute: Auf dem Bolzplatz hält sich der Kommerz in Grenzen: Natürlich wird gerne das überteuerte Trikot des Lieblingsspielers übergestreift, doch der Eintritt ist kostenlos. Der Bolzplatz ist nur für den Fußball da – und ja, er wird eher unzureichend gepflegt. Vor dem Tor ist der Rasen bestenfalls l höchstens noch zu erahnen. Manchmal reicht der rasenfreie Streifen auch von Tor zu Tor, nur auf den Außenbahnen steht das Grün noch.

Die Kuhlen, die die Bälle verspringen lassen, oder die Pfütze vor dem Tor, die jeden Flachschuss entschärft, werden leidenschaftlich verflucht. Genau wie die Stadt oder Gemeinde, die Bolz- oder Sportplatz in Bauland umwandeln wollen. So ist in Billig der Bolzplatz verkauft worden. Heute stehen dort einige Einfamilienhäuser. Der Erlös wurde in den neuen Rasenplatz gesteckt.

Eicks: Funkmast auf dem Bolzplatz

In Eicks steht auf dem Bolzplatz ein Funkmast – Funklöcher gibt es dort keine, dafür Löcher im Tornetz. Ein wenig Ausverkauf hat also auch in der Eifel Einzug gehalten – auch ohne Millionentransfers.

Schaut man sich die Bolzplatzlandschaft im Kreis genauer an, stellt man eine gewisse Modernisierung fest. So gibt es beispielsweise an der Grundschule in Gemünd ein Minispielfeld aus Kunstrasen. Verspringende Bälle? Fehlanzeige! Bälle, die in der Pfütze liegen bleiben? Fehlanzeige! Auf dem Immergrün lässt sich die Champions-League-Hymne ein wenig lauter summen.

Dafür haben die Tornetze keine Löcher und auch die Bolzplatzregel „Drei Ecken, ein Elfer“ gibt es eigentlich nicht, denn an allen Seiten kann Doppelpass mit der Bande gespielt werden. Wer auf der Suche nach einer Art Allianz-Arena der Bolzplätze ist, der sollte sich auf den Weg nach Kleinbüllesheim machen.

Und dann gibt es die Bolzplätze, die praktisch mitten im Wohngebiet zu finden sind. Ähnlich wie in England tut sich der Ort des Doppelpasses, der Fallrückzieher oder der doch einfach kläglich vergebenen Torchance auf, wenn man um die Straßenecke biegt. Es gibt aber auch die, die bewusst außerhalb des Dorfes liegen – wie beispielsweise in Kallmuth. Dort kann fernab der kritischen Blicke der Dorfbewohner geflucht, gejubelt und trainiert werden.

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