Sicherheit höchste PrioritätEuskirchener Frauenhaus gibt Geheimhaltung auf

Die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen Silvia Alt, Ursula Kaminski, Sabine Heinz und Sylvia Nießen vor der Einrichtung, an der nun auch ein Schild angebracht wurde. )
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Euenheim – Geheimhaltung der Adresse war viele Jahre lang das oberste Gebot eines jeden Frauenhauses.
So auch in der Euskirchener Einrichtung. Seit der Eröffnung 1992 galt die strenge Regel, niemandem zu verraten, wo die Frauen und Kinder, die aus ihren gewalttätigen Beziehungen geflohen waren, Unterschlupf fanden. Bewohnerinnen, die die Adresse ausplauderten, weil sie sich vielleicht selber nicht mehr in Gefahr wähnten, mussten das Haus sogar verlassen.
Doch dann kamen Internet und Handys mitsamt Ortungsdiensten und Diskussionsforen auf, in denen sich Informationen blitzschnell verbreiten.
Das Team des Frauenhauses in Euskirchen konnte faktisch keinen verlässlich geheimen Schutzraum mehr bieten.
Wer herausfinden wollte, wo sich die Einrichtung befindet, hatte schon lange keine Mühe mehr damit. „Die Polizei hat auch schon bei Bewohnerinnen Apps zur Ortung auf den Handys gefunden, von denen die Frauen gar nichts wussten“, erzählt Sabine Heinz.
Inspiration, das eigene Konzept zu überdenken, bekam das Team des Euskirchener Frauenhauses vor einigen Jahren durch die Eröffnung des Oranje Huis im niederländischen Alkmaar.
Diese Einrichtung nämlich durchbrach das Prinzip der Geheimhaltung, platzierte sich gut sichtbar inmitten der Innenstadt und nimmt seither die Gesellschaft mit in die Verantwortung. Das Problem der häuslichen Gewalt wird nicht länger vor der Allgemeinheit versteckt.
Das Untertauchen an einem geheimen Ort ist zudem für viele Frauen mit Isolation und dem Abbruch ihrer sozialen Beziehungen verbunden, was nicht hilfreich ist, wenn man die Betroffenen aus ihrer Opferrolle herausholen möchte.
Hohe Auslastung
Das Frauenhaus Euskirchen ist eines von mehr als 60 Häusern in NRW. 2015 und 2016 betrug die Auslastung fast 90 Prozent. 38 Frauen und 37 Kinder konnten 2016 wegen Platzmangels nicht aufgenommen werden.
24 Prozent blieben bis zu einer Woche, 29 Prozent bis zu einem Monat, 20 Prozent bis zu drei Monaten und 22 Prozent bis zu einem halben Jahr. Nur zwei Frauen blieben bis zu einem Jahr in der Einrichtung. (hn)
www.frauenhelfenfrauen- euskirchen. de
„Wir haben lange Zeit beraten und diskutiert, ehe wir den Schritt gewagt haben, die Geheimhaltung zu beenden“, berichtet Silvia Alt vom Frauenhausteam.
Seit kurzem prangt am Zaun des Frauenhauses in Euenheim ein Schild, das den Ort als eine Einrichtung des Trägervereins „Frauen helfen Frauen“ ausweist. Getreu dem neuen Motto „Nicht geheim, aber sicher“ wurde das gesamte Sicherheitskonzept überarbeitet, denn der Schutz der Frauen hat nach wie vor allerhöchste Priorität.
Mit der Euskirchener Polizei wurde ein System ausgeklügelt, das bestmöglich schützen soll: Kameras rund um das Haus überwachen das Grundstück und übertragen die Aufnahmen auf Bildschirme im Haus.
Eine hochmoderne Schließanlage mit umprogrammierbaren Schlüsseln, Bewegungsmelder und auf jeder Etage Notrufknöpfe, mit denen Tag und Nacht ein Sicherheitsdienst alarmiert werden kann, sind nun genauso Standard wie bruchsichere Scheiben. Finanziert wurde die technische Aufrüstung durch den Kreis.
Die Bewohnerinnen, zurzeit sechs Frauen mit zehn Kindern, finden am neuen Sicherheitssystem und der Konzeptänderung Gefallen, können sie sich nun auch am Haus abholen oder auch mal eine Pizza bringen lassen. „Und sie und die Kinder dürfen sich nun auch vor dem Haus mit Freunden und Verwandten treffen“, erklärt Silvia Alt. Hinzu komme ein Plus an Privatsphäre, denn die Wohnbereiche sind nun abgeschlossene Einheiten.
Natürlich ist das Konzept nur für Frauen geeignet, die nicht um ihr Leben fürchten müssen. „Frauen, die die Geheimhaltung brauchen, werden in andere Häuser vermittelt“, so Sabine Heinz.
Um auszuloten, wie groß die Gefahr für die Frau und ihre Kinder ist, wird beim Erstgespräch ein bewährtes Verfahren angewendet, das die reale Bedrohung einzuschätzen hilft. Das Screening per Fragebogen mündet in einer Art Ampel-Bewertung, die zwischen durchschnittlicher, hoher und sehr hoher Gefährdung unterscheidet.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass selbst bei massiv gefährdeten Frauen die Geheimhaltung oft nicht aufrechtzuerhalten war, da involvierte Ämter und Institutionen wie Jugendamt oder Familiengerichte nicht mitspielten. Hier sei noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, bekräftigen die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen.
Sabine Heinz: „Wir merken immer wieder, dass die Bedeutung von häuslicher Gewalt noch immer nicht in den Köpfen angekommen ist.“ So werde auch ein Großteil der Verfahren wegen häuslicher Gewalt wieder eingestellt. Eine Verbesserung dieser Situation sei nur zu erreichen, „wenn wir in Kontakt gehen“, glaubt Silvia Alt.
Erst kürzlich habe sie ein langes, sehr positives Gespräch mit Mitarbeitern des Jobcenters geführt, bei dem viele Fragen und Unsicherheiten beseitigt werden konnten. „Mit dem neuen Konzept dürfen nun auch Verfahrenspfleger und Mitarbeiter des Jugendamtes ins Frauenhaus kommen. Solche Termine müssen nicht mehr außerhalb stattfinden.“
Im Sommer plant das Team ein kleines Fest im Außenbereich, zu dem die Nachbarn eingeladen werden sollen. „Wir wollen auch da mehr Nähe schaffen“, sagt Alt.
Das Oranje Huis in Alkmaar weist einen weiteren wesentlichen Unterschied zu herkömmlichen Frauenhäusern auf: Es versteht sich als Stützpunkt gegen häusliche Gewalt und bietet allen Beteiligten Beratung, Hilfe und Betreuung an – auch den Tätern. „Das Ziel dieser Hilfe liegt nicht unbedingt darin, Beziehungen zu beenden, sondern Gewalt zu beenden“, heißt es auf der Internetseite.
Soweit ist man in Euskirchen noch nicht. Aber der Runde Tisch Häusliche Gewalt – ein Zusammenschluss verschiedener Verbände, Institutionen und Behörden im Kreis Euskirchen – setzt sich dafür ein, soziale Trainingsprogramme für Täter zu verordnen. Erfolgreiche Täterarbeit, so heißt es da, sei schließlich der beste Opferschutz.