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FamilienforschungAuf der Suche nach den Wurzeln

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Peter Engels aus Kall staunt nicht schlecht, dass zu seinem Familienkreis der bedeutende Politiker Hermann Pünder gehört. BILD: F.A. HEINEN

Kall – Peter Engels war von Beruf Schreiner, der Job beanspruchte ihn ganz. Hinzu kam ein zeitaufwendiges Hobby, die Sportfliegerei, dann folgten Heirat und Hauskauf und die Anlage des Gartens nach eigenen Vorstellungen. Für weitere Interessen blieb da kaum Zeit.

Heute ist er 62 Jahre alt und Frührentner, und das Zeitkonto bietet genügend Raum für das, was er außerdem immer mal tun wollte.

Das war zum Beispiel die Familienforschung, die Suche nach den eigenen Wurzeln. Engels fragte in der Verwandtschaft nach und erhielt erste Hinweise auch auf seine Urgroßmutter. Die hieß mit Geburtsnamen Anna Pünder und stammte aus einer Familie, die – wie der Name verrät – früher mal für das Eintreiben von Steuern auf Bodenschätze zuständig war. Die Pünder hatten diese Bergbausteuern wohl im Raum Kall-Mechernich eingetrieben, so dass ihre Berufsbezeichnung irgendwann zum Familiennamen wurde. Die Anwesen dieser Pünder hießen „Pünderhof“, man kennt sie noch heute beispielsweise in Mechernich-Lückerath und in Kall-Heistert.

Als Engels sich bei den Recherchen diesem Verwandtschaftszweig näherte, erlebte er eine faustdicke Überraschung, mit der er absolut nicht gerechnet hatte. Und er musste dafür auch nicht bis in spekulative Frühzeiten zurück graben, sondern zwei Generationen rückwärts reichten schon aus. Da stieß Engels alsbald auf einen „Onkel Hermann“, von dem er bis dahin nur sporadisch in der Familie gehört hatte. Es war auch mal erwähnt worden, dass der „Onkel“ in der Politik aktiv war.

Je mehr Engels über diesen Verwandten erfuhr, umso größer wurde sein Erstaunen. Tatsächlich handelte es sich um einen Staatsmann und Politiker von wahrlich europäischer Dimension, der im 20. Jahrhundert Geschichte schrieb, wie man dem Werk seiner Biografin Hildegard Wehrmann entnehmen kann.

Pünder stammte aus Lückerath, wo die Familie seit Jahrhunderten im Dunstkreis des „Bleyberges“ ansässig war. 1870 kam der Vater als Amtsrichter nach Trier, und im Dreikaiserjahr 1888 wurde Sohn Hermann geboren, ab Herbst 1900 besuchte er das Gymnasium in Münstereifel, wo er – inzwischen mit gediegener humanistischer Bildung versehen – auch das Abitur bestand. Nach Jurastudium und Promotion nahm er als Offizier am Ersten Weltkrieg teil, dann begann sein Weg zum Staatsmann.1919 wurde er Regierungsrat im Reichsfinanzministerium und wechselte bereits 1926 bis 1931 unter verschiedenen Kanzlerschaften in die Reichskanzlei. In der Phase erlebte und gestaltete er hautnah wichtigste politische Geschehnisse der Weimarer Republik mit, wie etwa die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. Zu seinem Freundeskreis zählte beispielsweise der Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII.

Pünder wurde Mitglied im Pro-Palästina-Comité, und „zwar aus innerster Überzeugung“, wie er seinen Lebenserinnerungen anvertraute. Diese Tatsache hielt ihm später beim Hochverratsprozess im Nachgang zum Stauffenberg-Attentat der berüchtigte Nazi-Blutrichter und Präsident des „Volksgerichtshofs“, Roland Freisler, als „würdelose Gesinnungslumperei“ vor. Bei dem Comité lernte er unter anderem Chaim Weizmann kennen, den Leiter der internationalen Zionistenbewegung. Auch mit Reichspräsident Paul von Hindenburg führte Pünder mehrfach lange Gespräche.

Pünder landete im Konzentrationslager

In der Übergangszeit zur NS-Herrschaft nahm Pünder seinen Abschied als Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei aus Berlin und wurde zum Regierungspräsidenten in Münster berufen, bis er auf Druck Görings auch dieses Amt aufgeben musste, als er sich weigerte, Mitglied der Nazi-Partei zu werden. Nach Kriegsbeginn hatte er Kontakt zum Widerstand in der Person von Carl Goerdeler. Im Nachgang zum 20. Juli 1944 folgten Gestapohaft, Volksgerichtshof und Konzentrationslager. Endgültig befreit wurde Hermann Pünder erst im Mai 1945 in Tirol durch US-Truppen.

In der Nachkriegszeit brauchten die Alliierten aufrechte Demokraten wie ihn, um eine erste demokratische staatliche Verwaltung aufzubauen. Er zählte zu den Gründern der CDU und wurde als Nachfolger von Konrad Adenauer, der sich mit der britischen Besatzung angelegt hatte, Oberbürgermeister in Köln und 1948/49 sogar zum Oberdirektor des Verwaltungsrats der sogenannten „Bizone“ ernannt. Das war das höchste Amt, das ein Deutscher bis zur Gründung der Bundesrepublik bekleiden konnte. Später spielte er noch eine bedeutende Rolle bei der europäischen Einigung.

Zweifellos war Hermann Pünder ein außerordentlich bedeutsamer Politiker des 20. Jahrhunderts. Was aber bedeutet diese Erkenntnis für Hobby-Familienforscher Peter Engels? „Ich war beeindruckt zu erfahren, dass unsere Familie so nah mit diesem Mann verwandt ist. Aber darauf werde ich mir nichts einbilden.“ Was Engels aber schwer in Rage bringt: „Von solchen Leuten, die nach 1945 die Grundlage unseres Staates neu gestaltet haben, redet heute keiner mehr. Aber die, die vorher Europa in Trümmer gelegt hatten, sieht man jeden Abend im Fernsehen.“