Kommentar zur FlutIn der Not bestmöglich improvisiert – aber nicht effektiv

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Für so etwas sind wir nicht wirklich gewappnet.

Für so etwas sind wir nicht wirklich gewappnet.

Euskirchen – Die vier Wochen seit der Flutnacht sind förmlich dahingerast, auch wenn es für die, die mit den Folgen zu kämpfen habe, trotz der ungezählten Helfer, die in der Not zur Stelle waren, nur quälend langsam vorangeht. Und das Ende in weiter Ferne liegt.

Nach wie vor hat Priorität, denen zu helfen, die es getroffen hat. Die vor schier unlösbaren Problem stehen. In Existenznot sind. Die Häuser und Orte, die beschädigt oder zerstört wurden, wieder aufzubauen. Die Ortskerne mit den Läden wieder zu Anlaufpunkten für Besucher und Kunden zu machen. Wieder in den geregelten Tritt zu kommen.

Fatal von Jahrtausendhochwasser zu sprechen

Eine schier unendliche To-do-Liste, ein ungeheures Pensum, das es zu bewältigen gilt. Und ein finanzieller Kraftakt, wie er sonst nur in von Krieg zerstörten Regionen und Ländern nötig ist.

Trotzdem darf auch die Aufarbeitung der Geschehnisse nicht auf der Strecke bleiben, in der Bürokratie oder den Paragrafen der Bedenkenträger verloren gehen. Es ist fatal, von einem Jahrtausendhochwasser zu sprechen. So, als ob wir und die nächsten Generationen nun statistisch gesehen von einer solch verheerenden Flut verschont bleiben werden.

Maßgeblich muss sein, alles Menschenmögliche zu tun, um so etwas künftig zu vermeiden oder zu mildern. Bei uns, oder in der Region, die vielleicht als nächstes dran ist. Auch das ist ein irres Pensum, das es schnell abzuarbeiten gilt. Damit man beim nächsten kräftigen Regenschauer nicht mehr angstvoll in den Himmel blickt, sondern sich freut, dass es auch im August überall noch grünt und gedeiht.

Die Welt sucht Sündenböcke

Bürger, Medien und auch Staatsanwaltschaften haben begonnen, nach möglichen Schuldigen zu suchen. Wer hat Fehler gemacht, mit seinem Versagen Menschen um ihr Hab und Gut oder gar um ihr Leben gebracht?

Die Welt sucht gerne Sündenböcke. Wobei eigentlich jeder von uns mit dazu beiträgt, dass es zu einem 14. Juli kommen kann. Also jeder auch etwas Sündenbock ist. Entscheidend ist doch, dass man aus solchen Fehlern lernt. Es besser macht. Im Großen wie im Kleinen, im Klima- und Naturschutz. In der Städtebauplanung. Und im eigenen Verhalten.

Ganz oben auf der To-do-Liste steht die künftige Warnung der Menschen. Das kann man nicht schönreden. Das ist im Kreis Euskirchen in der Katastrophennacht nicht gut gelaufen. Konnte es auch nicht.

Aufarbeitung darf nicht auf der Strecke bleiben

Die zunehmend digitalisierte Welt, die ja Chancen bietet, hat uns vor Augen geführt, wie anfällig sie ist. Wenn die Netze und der Strom plötzlich weg sind, wenn Krisen- und Führungsstäbe bei Kerzenlicht sitzen. Damit muss man bei jeder Katastrophe, sei es Hochwasser, Sturm oder Erdbeben, rechnen. Auch für den Fall muss es den Plan B geben: Notstromversorgungen für kritische Infrastruktur, satellitengestützte Kommunikation, Einschaltung von auswärtigen Führungsunterstützungseinrichtungen, die nicht mitten drin in der Katastrophe stecken, Anlaufpunkte für Bürger in den Orten (etwa Feuerwehrgerätehäuser). Und vor allem: Warn- und Informationssysteme.

Seit Jahren führen uns landesweite Sirenenwarntage vor Augen, dass es mit der Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall nicht weit her ist. Mit aller Zeit der Welt arbeiten wir an Dingen, die schon vor Jahrzehnten funktionierten. Ein auf- und abschwellender Heulton, ob von der Leitstelle oder per Hand vor Ort ausgelöst, hätte die Menschen alarmiert. Ihnen geholfen. Wenn sie denn auch Infos erhalten.

Es kann nicht sein, dass Redaktionsleiter oder Chefredakteure einen Anruf aus dem Führungsstab erhalten, um über Liveticker im Internet oder übers laufende Radioprogramm die Menschen zu warnen und zu informieren, als die Geschehnisse eskalieren. In der Not bestmöglich improvisiert, aber nicht effektiv genug.

Andere Länder haben längst bessere Warnsysteme

Gerade Radio Euskirchen, das über Autoradios nahezu jedem Bürger selbst bei Stromausfall zur Verfügung steht, könnte im Katastrophenfall mit Direktschaltung aus dem Krisenstab nahezu jeden erreichen, bis hin zu konkreten Infos für Ortsteile oder Straßenzüge. Doch so was muss vorbereitet, technisch eingerichtet und nicht schon im Vorfeld von Bedenkenträgern zerredet worden sein.

Die Warnapps Nina und Katwarn haben zumindest etwas zur Warnung beigetragen, wenn auch lange Zeit mit Wetterwarnungen und schwer greifbaren Literzahlen für Regen, mit denen die meisten wenig anzufangen wussten. Zumal man durch das monatelange Bombardement mit sinnbefreiten Wetterwarnungen die Apps sowie nicht mehr ernst nahm.

Warum machen wir deutschen Bedenkenträger immer alles so kompliziert? Andere Länder setzen längst das SMS-Warnsystem Cell Broadcasting ein. Denn SMS laufen oft auch dann noch, wenn mobile Daten in die Knie gehen. Dann bitte aber auch mit klaren Botschaften für ganz konkrete Bereiche. Mit „könnte“, „eventuell“ und schwergreifbaren Literzahlen pro Quadratmeter kann man wenig anfangen.

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Auch die Ausstattung und Ausbildung der Einsatzkräfte muss sich erweitern. Es ist bezeichnend, dass es Polizisten gelang, mit Kinder-Schlauchbötchen Menschenleben zu retten. Kentersichere Boote und watfähige Fahrzeuge müssen an Brennpunkten vorgehalten, Strömungsretter ausgebildet werden.

Vor allem aber müssen wir ein vernünftiges Wetter- und Pegelmonitoring haben. Eines, das den Stäben frühzeitig echte Hilfestellung durch Prognosen gibt, um schnell Entscheidungen treffen zu können. Auch auf die Gefahr hin, dass es dann vielleicht nicht so schlimm kommt.

Aus dem Verlauf der Katastrophe kann man unfassbar viel lernen. Wir haben erlebt, wie namenlose Vorfluter und Bäche zu reißenden Monstern wurden. Menschengemachte Schwachstellen wie Rohrdurchführungen, versiegelte Flächen sowie fehlende Überschwemmungsbereiche und Rückhaltungen wurden gnadenlos aufgedeckt. Da müssen die Kommunen, die Kreise und das Land ran. Und zwar schnell, vor dem nächsten Jahrtausendhochwasser.

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