Pflege im Kreis EuskirchenIn der Neco-Beatmungs-WG fühlen sich Pflegekräfte wohl

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Schätzt es sehr, dass es in der Beatmungs-WG nicht so starre Tagesabläufe gibt wie in anderen Einrichtungen: Olaf Schmitz, hier mit Pflegerin Saskia Geck.

Euskirchen – Im Zimmer von Zarah (alle Namen der Patienten geändert) läuft der Fernseher. Eine Castingshow, von der die Pflegerinnen wissen, dass die 24-Jährige sie gerne mag. Neben dem Bildschirm an der Wand hängt eine Liste mit weiteren Lieblingssendungen und einigen YouTube-Kanälen, zusammengestellt von den Angehörigen der jungen Frau, die sich aufgrund ihrer schweren Erkrankung selber nicht mitteilen kann. „Wir tun alles, damit sich die Patientinnen und Patienten wohl bei uns fühlen“, sagt Claudia Nettersheim. „Mein Konzept ist, dass das hier ein zweites Zuhause ist für diese Menschen.“ Ganzheitliche Betreuung mit Herz, so lautet ihr Credo.

Erste Intensivpflege-Wohngemeinschaft

2019 hat die examinierte Altenpflegerin und Pflegeexpertin in Euskirchen den Neco Intensivpflegedienst gegründet. Im März 2021 eröffnete sie dann die erste Intensivpflege-Wohngemeinschaft in Euskirchen am Kirchwall. 22 Angestellte, darunter 19 examinierte Pflegekräfte, kümmern sich in den Räumlichkeiten um sechs Frauen und Männer, die tracheotomiert sind (siehe „Ein anderer Zugang zur Luftröhre“). „Mit meinem Team aus Pflegefachkräften, alle mit langjähriger Erfahrung und Fortbildungen in der außerklinischen Beatmung, habe ich ein Umfeld geschaffen, in dem sich Menschen mit Würde und Respekt begegnen“, sagt Claudia Nettersheim.

Hintergrundinformationen

Die Pflege-Serie

Im Zuge der Corona-Pandemie erfahren die Menschen, die in der Pflege tätig sind, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit als gewöhnlich. Dennoch: Die Arbeit ist anstrengend, oft belastend und leider auch nicht gut bezahlt. Manche Pflegebeschäftigte geben ihren Beruf deshalb auf und verstärken so die Personalnot der Branche.

Einigen der Protagonisten, die sich dennoch für einen Beruf in der Pflege entscheiden oder aber als pflegende Angehörige im Einsatz sind, schauen wir in unserer Serie über die Schulter. Wie meistern sie ihre Aufgaben? Was sind die besonderen Herausforderungen in ihrem Alltag? Und welche Verbesserungen würden sie sich wünschen? Und wir fragen Experten, wie sie die Situation der Pflege im Kreis Euskirchen jetzt und in der Zukunft einschätzen. (hn)

Ein anderer Zugang zur Luftröhre

Bei einer Tracheotomie wird über einen Schnitt im Hals ein anderer Zugang zur Luftröhre geschaffen, damit der Organismus mit ausreichend Sauerstoff versorgt wird.

Die Tracheotomie kann vorübergehend als lebensrettende Sofortmaßnahme oder auch langfristig etwa bei neurologischen Erkrankungen wie ALS, in Folge schwerer Schädel-Hirn-Verletzungen oder eines Schlaganfalls nötig sein.

Bei Patienten mit schweren Schluckstörungen kann eine Tracheotomie ebenfalls notwendig werden, um das Schlucken vom Atmen zu trennen. Speichel, der nicht geschluckt wird, gelangt ansonsten in die Lunge und verursacht dort Entzündungen.

Die Zahl der Tracheostoma-Träger ist steigend. Nach Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin gab es 2021 in Deutschland 60 000 bis 80 000 Beatmungspatienten. Eine genau Anzahl gibt es nicht. 2016 gab es zwischen 15 000 und 30 000 Patienten, und 2005 etwa 1000, so die Schätzung des Ärzteblattes. (hn)

Respekt und Würde - beides wird im Alltag der sogenannten Beatmungs-WG groß geschrieben. Dazu gehört beispielsweise auch, dass Teresia Schmidt und Kathi Wolff mit Patientin Zarah sprechen, ihr jeden Handgriff beim Umlagern erläutern, jede pflegerische Handlung mit freundlichen Worten begleiten, sie loben. Wichtig ist es auch, die Vorlieben und Bedürfnisse der Patienten zu kennen. „Die Zusammenarbeit mit den Angehörigen ist hier von großer Bedeutung“, erklärt Claudia Nettersheim. Sie geben Auskunft, was der erkrankte Mensch mag – welche Musik, welchen Duft, welche Farben.

Aus Mimik und Pulsfrequenz lesen

Aber wie bekommen die Pflegekräfte nun mit, ob beispielsweise Zarah sich nach der morgendlichen Wäsche wirklich wohlfühlt? „Man lernt, die Mimik der Menschen zu lesen, untern anderem lässt auch die Pulsfrequenz Rückschlüsse zu“, sagt Schmidt. Ehe die beiden das Zimmer verlassen, stellen sie ein Foto von Zarahs Familie auf den Beistelltisch - in Blickrichtung der jungen Patientin.

„Alle hier im Team kommen gerne zur Arbeit“, weiß Krankenschwester Teresia Schmidt. Die Atmosphäre sei einfach gut. In großen Einrichtungen wie Krankenhäusern sei einem oft nicht mehr als die Diagnose der jeweiligen Patienten geläufig. In der Beatmungs-WG lerne man die Menschen viel besser kennen. „Dem Beruf, den wir einmal gewählt haben, können wir hier viel näher sein“, fügt Kollegin Saskia Geck an.

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Patientin Zarah ist die Jüngste in der WG. Pflegerin Teresia Schmidt massiert ihr die Füße und stimuliert damit gleichzeitig ihr Zungenbein.

Seit 27 Jahren arbeitet Kathi Wolff schon in der Pflege – sowohl in Heimen als auch in der ambulanten Pflege. „Glücklicher denn je“ sei sie seit der Anstellung in der Neco-Beatmungs-WG. „Hier gibt es nicht dieses gnadenlose Arbeiten auf Zeit. Das hat mich vorher krank gemacht. Ich musste kündigen.“ Von einer guten Arbeitsatmosphäre würden natürlich auch die Patienten profitieren: „Wenn uns die Arbeit Spaß macht, fühlen sie sich auch wohler.“ Vor allem müsse man den Bewohnern zeitliche Abläufe nicht überstülpen, sondern könne individueller pflegen: „Wenn mal jemand länger schlafen will, dann wird er eben erst später geduscht.“

Zeit für Zuwendungen und Trost

In der Beatmungs-WG bleibt neben den pflegerischen Tätigkeiten auch Zeit für Zuwendung und Trost - für Patienten wie für Angehörige. „Oder auch mal für ein Späßchen. Und wenn wir dann einem der Patienten ein Lachen damit entlocken, dann schwebe ich nach der Arbeit regelrecht nach Hause“, meint Kathi Wolff.

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Die Wege in der kleinen Einrichtung sind kurz: Neco-Geschäftsführerin  Claudia Nettersheim (l.) im Austausch mit Kollegin Teresia Schmidt.

In einem der WG-Zimmer lebt Olaf Schmitz. Der 50-Jährige hat eine angeborene Erkrankung und muss durchgehend beatmet werden. Er ist der einzige der sechs Bewohner, der sprechen, essen und trinken kann, alle anderen werden künstlich ernährt. „Im Unterschied zum Pflegeheim habe ich hier mehr Freiheiten. Mein Zimmer habe ich zum Beispiel selber eingerichtet“, sagt er. An den Wänden hängen Poster von Musicals und seinem Lieblingsverein, dem 1. FC Nürnberg. Was ihm sonst noch gefällt? „Die Nähe zur Stadt. Und dass es hier nicht so feste Strukturen gibt: immer zur gleichen Zeit aufstehen oder essen zu müssen.

Gemeinsames Frühstück hebt die Moral

Am großen Tisch in der Küche wird derweil der Frühstückstisch für das Team gedeckt. „Wir versuchen immer, gemeinsam zu frühstücken. Das hebt die Moral“, meint Teresia Schmidt. Den Brötchen-Lieferdienst übernehme jeden Tag die Chefin – eine Geste, die alle am Tisch sehr schätzen. Zwischen Kaffee und Marmeladenbrötchen bleibt die Aufmerksamkeit der Pflegekräfte weiter bei den Patienten. Sobald ein Alarm ertönt, der Hinweis auf auffällige Körperparameter anzeigt, geht es zügig in das entsprechende Zimmer. Aufschub gibt es hier nicht - wer hier lebt, dessen Leben hängt immer am seidenen Faden.

Besonders zu spüren bekamen das Bewohner und Mitarbeiter im letzten Jahr während der Flut. Die WG hatte erst wenige Wochen zuvor geöffnet. Drei Bewohner waren eingezogen, Olaf Schmitz lebte damals noch im gleichen Haus in seiner Privatwohnung, wurde aber bereits mitversorgt. Und dann fiel plötzlich der Strom aus. Für Intensivpatienten, die auf Beatmungsgeräte und Absaug-Apparaturen angewiesen sind, ein Worst-Case-Szenario. „Natürlich laufen die Geräte einige Stunden über Akkus, und natürlich haben wir ein Notstromaggregat, das in einem solche Fall automatisch anspringt. Tat es aber nicht, obwohl es regelmäßig gewartet wird und bei den Testläufen immer funktionierte“, erzählt Claudia Nettersheim von den nervenaufreibenden Stunden.

Flut zwang zur Improvisation

Ihr Vater und ein Nachbar, beide Elektriker, schafften es schließlich, von Bad Münstereifel nach Euskirchen zu kommen. Im Gepäck ein Notstromgenerator, den sie dann anschließen konnten. „Was für ein tolles Team ich habe, hat sich ganz besonders in diesen Tagen der Flut gezeigt“, erzählt Nettersheim. Jede und jeder half und improvisierte, so gut es ging. „Mit Campingkochern wurde im Freien Wasser erwärmt, um die Patienten nicht mit kaltem Wasser waschen zu müssen.“ Da die elektrischen Jalousien nicht mehr hochfuhren, trugen die Mitarbeiter Stirnlampen bei der Pflege. Batteriebetriebene Weihnachtsbeleuchtung kam ebenfalls zum Einsatz: An Bettgalgen und Infusionsständern spendeten Girlanden ein wenig Licht.

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Den Moment, als der Strom wiederkam, haben alle in besonderer Erinnerung. Nettersheim: „Es flossen Tränen der Erleichterung. Selbst der nette Mitarbeiter der Westnetz GmbH, der uns schließlich wieder ans Netz bringen konnte, hatte feuchte Augen.“

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